Ordensfrauen müssten sich der Realität stellen

Kirchenrechtler: Zu gefährlich, wenn Nonnen in Goldenstein bleiben

Veröffentlicht am 14.10.2025 um 00:01 Uhr – Von Gabriele Höfling – Lesedauer: 

Bonn/Salzburg ‐ Der Kirchenrechtler und Ordensmann Daniel Tibi kennt die Erfahrung der Goldensteiner Nonnen: Auch sein früheres Kloster wurde aufgelöst, erklärt er im Interview mit katholisch.de. Dass ihnen der Weggang schwerfällt, kann er daher gut nachvollziehen – nicht aber ihre Konsequenzen.

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Die Goldensteiner Nonnen seien vom ihrem Oberen Markus Grasl in das Altenheim sozusagen versetzt worden – und diese Entscheidung sei für sie bindend, erklärt der Kirchenrechtler Daniel Tibi (Jahrgang 1980). Mit der Rückkehr ins Kloster hätten sie ihr Gehorsamsgelübde gebrochen, sagt er im katholisch.de-Interview. Eine Entmündigung der Frauen durch die Entscheidung ihres Oberen sieht er dagegen nicht.   

Frage: Herr Tibi, was bindet Ordensleute wie die rebellischen Nonnen von Goldenstein oder auch Bruder Stephan in Himmerod so sehr an ihr Kloster?

Tibi: Ich kann sehr gut nachvollziehen, dass es Ordensleuten sehr schwerfällt, sich von ihrem Klostergebäude zu trennen. Ich habe selbst diese Erfahrung gemacht: Ich bin 2008 in die Benediktinerabtei Michaelsberg in Siegburg eingetreten und war dort als Mönch knapp drei Jahre bis zur Aufgabe des Klosters im Jahr 2011. Auch wenn das eine vergleichsweise kurze Zeit war, hatte ich eine enge Verbindung zu dem Ort: Ich stamme aus der Gegend, wurde vom damaligen Abt gefirmt, habe in der Nähe gearbeitet – das Kloster war für mich immer präsent. Bruder Stephan in Himmerod oder die Nonnen von Goldenstein haben jahrzehntelang in ihren Klöstern gelebt. Sie sind auch mit den Menschen dort eng verbunden. Daher kann ich ihre Situation nachvollziehen.

Frage: Eine andere Sache ist es, ein aufgelöstes Kloster einfach zu besetzen. Ein solches Verhalten steht doch im Gegensatz zum Gelübde des Gehorsams …

Tibi: Das muss man im Einzelfall prüfen. Pater Stephan von Himmerod sagt, er habe von seinem Orden eine kirchenrechtliche Erlaubnis bekommen, für eine begrenzte Zeit außerhalb der Gemeinschaft zu leben. Ein ähnlicher Fall war die Klosterschließung von Altomünster im Jahr 2017: Dort wollte eine Postulantin, also eine Eintrittskandidatin, nicht ausziehen. Da sie aber noch keine Gelübde abgelegt hatte, konnte sie auch nicht das Gelübde des Gehorsams brechen. Die drei Augustiner-Chorfrauen von Goldenstein aber haben – wenn die Medienberichterstattung stimmt – tatsächlich ihr Gehorsamsgelübde gebrochen. Propst Markus Grasl vom Stift Reichersberg ist als ihr Ordensoberer eingesetzt worden. Wenn der Propst die Nonnen dann in ein Altenheim sozusagen 'versetzt', dann sind sie kirchenrechtlich verpflichtet, ihm zu gehorchen. Das ist bindend.

Bild: ©Abtei Kornelimüster

Der Benediktinerpater Daniel Tibi OSB ist Universitätsassistent am Institut für Kirchenrecht und Religionsrecht der Universität Wien.

Frage: Also stehen da zwei Werte im Konflikt: die Bindung an die eigene Heimat und der Ordensgehorsam ...

Tibi: Genau. Das Motiv, dass Ordensleute gegen ihr Gehorsamsgelübde verstoßen und sich dabei auf ihr Gewissen berufen, ist ja nicht neu. In meiner Habilitation über Verwaltungsverfahren im Ordenskontext habe ich dieses Muster mehrfach gefunden, bis zurück in die 1970er Jahre. Papst Paul VI. hat sich 1971 in dem Schreiben Evangelica testificatio damit beschäftigt. Er mahnt darin, dass sich Ordensleute nicht vorschnell auf das Gewissen berufen, sondern ernsthaft den Dialog mit ihren Oberen suchen sollen. Wenn dieser dann eine Entscheidung trifft, sind sie daran gebunden. Wichtig ist, dass dem ein ehrlicher Austausch vorausgeht. Laut dem Bonner Kirchenrechtler Rudolf Henseler bedeutet Gehorsam heute nicht, einem Oberen blind zu folgen, sondern gemeinsam gefasste Beschlüsse mitzutragen, auch wenn ich vielleicht anderer Meinung bin. Und dazu gehört eben auch, sich einfach der Realität zu stellen, wenn eine Gemeinschaft überaltert ist und ein Kloster nicht mehr bestehen kann. Auch im Fall Goldenstein gab es laut Schwester Beate Brandt, der Föderationsoberin der Augustiner-Chorfrauen einen solchen Gesprächsprozess. Es war ja nicht so, dass der Propst die Nonnen überrumpelt, in ein Auto gezerrt und einfach in ein Altenheim geschickt hätte.

Frage: Dass es alten Menschen am Lebensende schwerfällt, ihr Zuhause aufzugeben und in ein Heim zu ziehen, ist ja an sich auch gar nichts Ordensspezifisches …

Tibi: Das sehe ich auch so. Stellen Sie sich vor, es ginge um Ihre eigene Mutter – über 80 Jahre alt, sie lebt allein in dem Haus, das sie mit ihrem verstorbenen Mann vielleicht selbst gebaut hat, in dem die Kinder groß wurden. Und irgendwann steht man als Sohn oder Tochter vor der Frage: Kann sie dort wirklich noch sicher allein leben? Dann gilt es abzuwägen: Versuche ich, sie zu überzeugen, in ein Altenheim zu ziehen, wo sie gut versorgt und sicher ist – auch wenn sie dort nicht so gern ist wie zu Hause? Oder lasse ich sie bleiben und wache jeden Morgen mit der Sorge auf, dass über Nacht etwas passiert ist? Das kann nicht nur in Orden, sondern in jeder Familie vorkommen.

Frage: Der Theologe Wolfgang F. Rothe argumentiert in einem Podcast, dass die Nonnen gegen ihren Willen in ein Altenheim gebracht wurden, also sozusagen in eine "zwangsweise Unterbringung". Das wäre nach weltlichem Recht ja eine Art Entmündigung?

Tibi: Wie gesagt: Nach den Aussagen von Propst Grasl und auch der Föderationsoberin Schwester Beate auf Ihrem Portal gab es vorher einen Gesprächs- und Konsultationsprozess. Dass kein Zwang ausgeübt wurde, zeigt sich auch darin, dass die Nonnen das Altenheim wieder verlassen konnten. Sie waren also offensichtlich nicht in ihrem Zimmer eingesperrt oder Ähnliches. Daher kann ich das Argument von Zwang oder Entmündigung nicht nachvollziehen.

Frage: Wenn jetzt im Kloster etwas passiert, gesundheitlich oder etwas kaputt geht – wessen Verantwortung ist das dann?

Tibi: Als Oberer trägt der Propst Grasl die Fürsorgepflicht für die Nonnen. Aus meiner Sicht hat er diese aber schon ausreichend wahrgenommen, indem er ihnen einen Platz im Altenheim organisiert hat, als er gemeinsam mit Ärzten zu der Einschätzung gekommen war, dass sie nicht mehr allein leben können. Stellen Sie sich vor, er hätte nichts unternommen und dann wäre etwas passiert. Dann hätte man ihm vorgeworfen, seiner Verantwortung nicht nachgekommen zu sein. Jetzt ist die Lage verfahren: Er kann eigentlich nichts machen, die Nonnen ja nicht gegen ihren Willen wieder ins Altenheim umsiedeln. Noch nicht einmal die Polizei kann das. Wenn also etwas passiert, dann wäre die rechtliche Verantwortung im Einzelfall zu klären. Moralisch sehe ich den Propst aber nicht in einer weiteren Verantwortung. Er selbst sagt, verantwortlich seien diejenigen, die den Schwestern geholfen haben, wieder zurück ins Kloster zu gehen. Das sehe ich auch so. Ich frage mich schon, welcher Anteil dieser ganzen Aktion wirklich Eigeninitiative der Schwestern war – und wie viel von außen kam. Denn ohne Unterstützung hätten sie das wohl kaum so durchziehen können oder wären vielleicht gar nicht ernsthaft auf diese Idee gekommen.

„Die Schwestern versuchen zwar alles, um sich über ihren Instagram-Kanal als topfit darzustellen. In einem kurzen Video in einer Story ist das auch nicht allzu schwer. Diese Bilder sagen aber nichts darüber aus, ob Schwester Rita, Schwester Regina und Schwester Bernadette den Alltag wirklich bewältigen können.“

—  Zitat: Daniel Tibi

Frage: Wie ließe sich der Konflikt in Goldenstein aus Ihrer Sicht lösen?

Tibi: Ehrlich gesagt habe ich da auch keine Idee. Die Positionen sind festgefahren: Die Schwestern sagen, sie wollen bleiben. Wäre ich ihr Oberer, würde ich ihnen aber keinesfalls offiziell gestatten, im Kloster weiterzuleben – das wäre einfach zu gefährlich. Sie versuchen zwar alles, um sich über ihren Instagram-Kanal als topfit darzustellen. In einem kurzen Video in einer Story ist das auch nicht allzu schwer. Diese Bilder sagen aber nichts darüber aus, ob Schwester Rita, Schwester Regina und Schwester Bernadette den Alltag wirklich bewältigen können. Ich fürchte, erst ein ernster Vorfall – etwa ein Sturz oder ein Krankenhausaufenthalt – könnte die Situation verändern, so dass die Ordensfrauen oder ihre Unterstützerinnen einsehen: Es geht doch nicht mehr.

Frage: Sind die Gehorsams- und Armutsgelübde für Ordensfrauen in solchen Konfliktfällen aber generell nicht doch eine Stolperfalle, die sie ihres Handlungsspielraums berauben?

Tibi: Wenn Ordensangehörige ihre Rechte durchsetzen wollen, stehen sie tatsächlich vor besonderen Hürden. Gegen eine unrechtmäßige Anweisung des Oberen kann man zwar rechtlich vorgehen – auch die Goldensteiner Nonnen haben ja geklagt, allerdings ohne Erfolg, und ich kann mir auch nicht vorstellen, dass eine erneute Prüfung daran etwas ändert. Das Armutsgelübde erschwert aber generell den Zugang zum Rechtsweg, weil die finanziellen Mittel fehlen. Betroffene Ordensleute sind da auf das Wohlwollen der Oberen angewiesen. Ich habe allerdings erlebt, dass Orden das durchaus tun – etwa in einem Fall in Deutschland, in dem eine Schwester gegen ihre Entlassung vorgegangen ist und der Orden ihr dafür den kirchlichen Anwalt bezahlt hat. Im Kirchenrecht ist das aber nur sehr allgemein formuliert, vieles ist Verhandlungssache.

Frage: Sehen Sie da einen Unterschied zwischen männlichen und weiblichen Ordensangehörigen?

Tibi: Rein rechtlich gibt es keinen Unterschied – Armutsgelübde und Gehorsamsgelübde gelten für alle. Was ich aber aus eigener Erfahrung wahrnehme, ist ein Mentalitätsunterschied: Männer sind tendenziell eher bereit, gegen Entscheidungen der Oberen vorzugehen, während Frauen häufiger sagen: 'Ich füge mich – auch wenn ich es eigentlich anders sehe.'

Von Gabriele Höfling