Queergemeinde Münster: "Wir wissen, dass der Gottesdienst polarisiert"

Am Sonntag, 26. Oktober, wird um 9.30 Uhr zum ersten Mal ein queerer Gottesdienst vom ZDF übertragen. Der Gottesdienst findet in der Kirche St. Anna in Münster-Mecklenbeck statt, die zur Gemeinde St. Liudger Münster West gehört. Den Gottesdienst hat die Queergemeinde Münster vorbereitet. Jan Diekmann, seit 2018 Teil der Gemeinde und Mitverantwortlicher für Pressearbeit, berichtet im katholisch.de-Interview von den Vorbereitungen, von den Sicherheitsmaßnahmen – und was die Gemeinde damit erreichen will. Zudem äußert er sich zu der aktuellen Debatte um die deutsche Handreichung zur Segnung homosexueller Paare.
Frage: Herr Diekmann, in diversen Medien wurde bereits von dem anstehenden TV-Gottesdienst berichtet. Wie viele Hasskommentare hat das Vorbereitungsteam schon erhalten?
Diekmann: Ehrlich gesagt, lese ich mir nicht alle Kommentare durch. Aber die typischen Aussagen sind immer die, dass wir nicht katholisch sind, und dass queere Gottesdienste keine ordentlichen Messen sind. Über unsere E-Mail-Adresse und unsere offiziellen Kanäle auf Instagram und Facebook haben uns bisher wenig Kritik oder Hasskommentare erreicht. Trotzdem wissen wir als Gemeinde, und auch das ZDF, dass dieser Gottesdienst polarisiert. Deshalb wird es ein größeres Sicherheitsaufgebot als bei normalen Gottesdiensten geben.
Frage: Also gibt es Security vor der Kirche?
Diekmann: Es wird einen Streifenwagen geben, der vor der Tür wartet und in Bereitschaft ist. Aber mehr auch nicht – es wird keine Einlasskontrollen geben. Die Polizei ist nur für den Fall der Fälle vor Ort, damit sie im Zweifel schnell reagieren kann. Schließlich ist es ein sensibles Thema.
Frage: Wie kam es zu dem ZDF-Gottesdienst mit der Queergemeinde Münster?
Diekmann: Eine Mitarbeiterin der Katholischen Hörfunk- und Fernseharbeit, die die Gottesdienste zusammen mit dem ZDF betreut, hat sich vergangenes Jahr bei uns gemeldet und gefragt, ob wir 2025 einen Fernsehgottesdienst mitgestalten wollen. Wir haben das intern diskutiert und uns dann dafür entschieden. Als uns die Mitarbeiterin der Fernseharbeit das erste Mal besucht hat, erzählte sie uns, dass sie beim Bistum Münster angefragt habe, welche Gemeinden für Gottesdienste in Frage kämen. Die Queergemeinde sei als erste Adresse genannt worden. Wir sind natürlich sehr stolz und dankbar dafür.
Jan Diekmann engagiert sich seit 2018 in der Queergemeinde Münster.
Frage: Warum haben Sie sich für die Kirche in Münster-Mecklenbeck als Übertragungsort entschieden und nicht für die Kirche, die Sie sonst nutzen?
Diekmann: Normalerweise feiern wir unsere Gottesdienste einmal im Monat in der Krypta der St. Antonius-Kirche in der Pfarrei St. Joseph Münster Süd. Die wäre aber für die Kameras zu klein. Über unseren Zelebranten, Pfarrer Karsten Weidisch, und die "effata-Band", die den Gottesdienst begleitet, sind wir auf die Kirche St. Anna gekommen, die zu unserer Nachbargemeinde gehört. Uns war vor allem wichtig, dass wir nicht in einer Kirche mit frontaler Ausrichtung feiern. Damit meine ich diesen klassischen Kirchbau, in dem alle Sitzplätze auf den Altarraum vor Kopf ausgerichtet sind. Die Kirche sollte ein bisschen widerspiegeln, wie wir sonst Gottesdienst feiern: der Altar recht zentral in der Mitte und alle Gläubigen darum herum.
Frage: Welches Thema wird der Gottesdienst behandeln?
Diekmann: Es geht um die Frage: Wer bin ich für Gott und wer bin ich vor Gott? Aber auch: Wer bin ich für meine Mitmenschen? Diese Fragen spielen auch auf Papst Franziskus an, der auf dem Rückflug vom Weltjugendtag in Rio in der fliegenden Pressekonferenz im Hinblick auf homosexuelle Menschen einen berühmten Satz gesagt hat: "Wer bin ich, um zu verurteilen?"
Frage: Was wird besonders queer sein an dem Gottesdienst?
Diekmann: Innerhalb dieses Gottesdienstes werden wir Glaubenszeugnisse von queeren Christen*innen erleben. Das wird sehr persönlich und sehr bewegend. Ansonsten wird der Gottesdienst in einer sehr sensiblen und inklusiven Sprache gefeiert, das gilt auch für die Kommunionmeditation. Und dann darf ich mit etwas stolz sagen, dass ein Lied, das ich 2019 für die Queergemeinde komponiert habe, zur Gabenbereitung gespielt wird.
Frage: Was ist das für ein Lied?
Diekmann: Das Lied ist trinitarisch aufgebaut. Die erste Strophe behandelt einen Gott, der ganz anders ist, als Menschen ihn sich oft vorstellen. Einen Gott, der uns den Mut für Wandlung gibt. In der zweiten Strophe geht es darum, dass Jesus auch anders war als die Menschen seiner Zeit. Die dritte Strophe behandelt den Heiligen Geist, der wach hält für jede Andersartigkeit. Und der Refrain dreht sich um den Regenbogen als Zeichen der Liebe Gottes und verbindendes Element zu ihm.
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Frage: Was möchten Sie mit dem Gottesdienst erreichen?
Diekmann: Wir möchten mit diesem Gottesdienst niemanden provozieren. Wir möchten einfach nur zeigen, dass queere Menschen einen Glauben haben und wie lebendig sie den feiern können. Die Kirche hat viele queere Menschen bereits verprellt. Die wenigen, die noch geblieben sind, haben einen sehr festen Glauben – und das schafft eine besondere Atmosphäre im Gottesdienst.
Frage: Sind in dem Gottesdienst Paarsegnungen vorgesehen?
Diekmann: Nein, das ist kein Teil der Liturgie. Auf die Idee sind wir gar nicht gekommen.
Frage: Die Handreichung der Deutschen Bischofskonferenz und des Zentralkomitees der deutschen Katholiken zur Segnung homosexueller Paare wird national und international diskutiert. Wie stehen Sie zu der Debatte?
Diekmann: Die Queergemeinde Münster spricht sich ganz klar für die Segnung homosexueller Paare aus. Mit dieser ganzen Debatte um die Handreichung ist die Kirche gerade wieder dabei, viele Menschen zu verletzten und zu retraumatisieren. Es ist zwar wichtig, diese Debatte zu führen, aber ich finde nicht gut, wie sie geführt wird. Manche Leute hätten jetzt besser einfach geschwiegen, anstatt wieder etwas loszutreten. Ich glaube, dass die Debatte nur wieder dafür sorgen wird, dass sich Menschen von der Kirche abwenden.
Frage: Sie meinen, die Kirche hat sich damit keinen Gefallen getan?
Diekmann: Ja. Das Ganze erinnert mich stark an die Debatte 2017, als die "Ehe für alle" in Deutschland eingeführt wurde. Vielen Menschen ist das vielleicht gar nicht bewusst: Die Segnung nimmt niemandem etwas weg. Sie schmälert auch nicht die Ehe von Heteropaaren oder wertet sie ab. Aber den homosexuellen Paaren gibt sie etwas. Daher verstehe ich die Debatte und die damit verbundenen Ängste nicht.
„Es gibt spezielle Gottesdienste für Kinder, es gibt spezielle Gottesdienste für Frauen. Warum also nicht auch spezielle Gottesdienste für queere Menschen?“
Frage: Zurück zum Gottesdienst – was sollen die Zuschauer daraus mitnehmen?
Diekmann: Queere Menschen haben auch ein Glaubensleben verdient. Dazu gehört auch, ihn ausüben zu dürfen. Mir wird häufig die Frage gestellt, warum wir nicht in einen normalen Gottesdienst gehen, da könnten wir unseren Glauben doch auch ausleben. Da sage ich immer: Es gibt spezielle Gottesdienste für Kinder, es gibt spezielle Gottesdienste für Frauen. Warum also nicht auch spezielle Gottesdienste für queere Menschen? Die sind ohnehin wahnsinnig verunsichert, weil die Gesellschaft ihnen sagt, bei ihnen sei etwas nicht richtig. Da sind Orte, an denen sie sich richtig und sicher fühlen, enorm wichtig. Wir wollen uns nicht von der "Normalgesellschaft" absondern, aber wir brauchen ab und zu eine Stärkung von Menschen, die Ähnliches durchgemacht haben. So können wir uns auch im Glauben gegenseitig stärken.
Frage: Nach einem Fernsehgottesdienst haben Zuschauer die Möglichkeit, sich telefonisch bei der Gemeinde zu melden. Haben Sie die Personen, die diesen Dienst übernehmen, irgendwie vorbereitet, gerade auch mit Blick auf mögliche Kritik- oder Hassnachrichten?
Diekmann: Der Telefondienst wird von der Quergemeinde, von der Pfarrei St. Joseph Münster Süd und von der Pfarrei St. Liudger Münster West zusammen übernommen. Es sind viele Theologen und Seelsorger dabei, damit bei Hassanrufen theologisch fundiert geantwortet werden kann. Ansonsten haben alle, die diesen Dienst übernehmen, eine herkömmliche Schulung vom ZDF bekommen.
Frage: Was bedeutet Ihnen diese Gottesdienstübertragung ganz persönlich?
Diekmann: Ich freue mich auf den Gottesdienst und bin froh, wenn viele Menschen einschalten. Das gilt auch für Menschen, die dem Thema skeptisch gegenüberstehen. Ich denke, dass wir sie mit diesem Gottesdienst vielleicht zum Umdenken bringen können.