Die Kirche darf nicht um jeden Preis neue Mitglieder wollen

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Vor einigen Tagen schrieb Regina Nagel hier über das Verschieben der Grenzen des Sagbaren und forderte zurecht ein entschiedenes Veto der Kirchen gegen eine Verrohung der Sprache und das autoritäre Gehabe beispielsweise eines US-Präsidenten Trump ein.
Ich möchte mich Regina Nagel anschließen und den Bogen noch etwas weiterspannen: Ich stelle zunehmend eine Sympathie von "Kirche" (in einem weiten Sinne verstanden, also von Menschen, die sich mit Kirche identifizieren, unabhängig von formaler Mitgliedschaft oder innerkirchlicher Hierarchiestufe) mit rechtspopulistischen, manipulativen, tendenziell autokratisch orientierten Ideen wahr.
Bislang schien es unausweichlich zu sein, dass Kirchen Mitglieder verlieren und die Kurven in den Statistiken steil in Richtung Nullpunkt abfallen. Ein wichtiger Grund dafür war mangelnde Glaubwürdigkeit einer Institution, die sich mit der Moderne schwertat und mal mehr mal weniger rigide sanktionierte, was ihre Mitglieder an Veränderung einforderten.
Das Anhalten zum sexuellen Verzicht vor der Ehe wirkte beispielsweise völlig aus der Zeit gefallen. Und jetzt? Plötzlich muten traditionalistische und längst überwunden geglaubte Wertvorstellungen, die eng verbunden sind mit einer hierarchischen Ordnung, seltsam progressiv an. Es könnte sein, dass gerade die katholische Kirche in einer Zeit starker Autoritäten, einer Schwächung des Minderheitenschutzes und der Frauenrechte und eines neuen Gehorsams- und Standesdünkels (diesmal nicht des Adels, sondern der Geldelite) wieder anziehend wird.
Eine neue Anziehungskraft hätte ich meiner Kirche schon lange gewünscht und ich verstehe durchaus, was die Vorstellung von Erfolg verführerisch macht: So überzeugend finde ich die Botschaft Jesu von der bedingungslosen Hinwendung zu den Schwachen, dass ich die Skepsis vieler meiner säkularen Zeitgenossen gegenüber Gott, Glaube und Kirche nicht teilen konnte. Wenn meine Kirche sich allerdings nicht entschieden davon distanziert, auf der Welle neuer rechtskonservativer, populistischer Strömungen mitzuschwimmen, kann ich nicht mehr für diese Kirche stehen.
Die Zeit drängt: Wir brauchen Reformen, um uns nicht mit denen gemein zu machen, die gerade weltweit für ein Abdriften der bis vor kurzem sehr stabilen Demokratien mit ihren Menschen- und Freiheitsrechten stehen.
Die Autorin
Katharina Goldinger ist Theologin und Pastoralreferentin im Bistum Speyer und Religionslehrerin an einem Speyerer Gymnasium. Sie ist sehr gerne in digitalen (Kirchen-)Räumen unterwegs und ehrenamtlich im Team der Netzgemeinde da_zwischen aktiv.
Hinweis
Der Standpunkt spiegelt ausschließlich die Meinung der Autorin bzw. des Autors wider.