Respekt vor kirchlichen Vorgaben und Privatleben

Schweiz: Keine "starren Regeln" für Lebensführung von Seelsorgern

Veröffentlicht am 18.11.2025 um 12:50 Uhr – Lesedauer: 

Fribourg ‐ Welche Anforderungen hat die Kirche an das Privat- und Beziehungsleben ihrer Seelsorgenden? In der Schweiz wählen die Bischöfe einen Mittelweg: Der hohe Anspruch wird beibehalten – aber auch die Einzigartigkeit jeder Lebenssituation bedacht werden.

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Die Schweizer Bischöfe verzichten auf klare Vorgaben für die Lebensführung von Seelsorgenden. In einer am Montag veröffentlichten "Standortbestimmung" sprechen sie sich gegen einen "starren Regelkatalog" aus und betonen stattdessen die "Einzigartigkeit jeder Lebenssituation". Die Standortbestimmung solle die aktuellen Lebenswirklichkeiten ernst nehmen und zur geistlichen Unterscheidung einladen. Die verantwortlichen kirchlichen Instanzen seien gefordert, "die Dienstverhältnisse so zu gestalten, dass sowohl die kirchlichen Vorgaben als auch das Privatleben und die Intimsphäre von Seelsorgerinnen und Seelsorgern respektiert werden". Von Vorgesetzten dürfe man erwarten, "so zu handeln, dass nichts verheimlicht werden muss".

Grundsätze der Standortbestimmung sind den Angaben zufolge die Glaubwürdigkeit im kirchlichen Handeln, die Verantwortung des Bischofs, der die Eignung von Personen vor einer Beauftragung sorgfältig prüfen muss, die Sensibilität für das Spannungsfeld zwischen kirchlichen Vorgaben und Lebensrealitäten sowie der Respekt vor der Privatsphäre und der Einsatz für eine menschenfreundliche Kirche.

"Die Lebenswirklichkeit eines Menschen ist einmalig und man kann evangeliumsgemäss nur gerecht handeln, wenn man diese ganzheitlich berücksichtigt", heißt es in dem Papier. Wenn zwei Menschen das gleiche täten, müsse es nicht dasselbe sein: "Nicht allein das Äussere, sondern auch die Herzenshaltung bestimmt, ob unser Tun evangeliumskonform ist." Bei der Entscheidung über die Zulassung oder den Verbleib im kirchlichen Dienst sei "eine von Glaubenstreue inspirierte, höchstsensible Unterscheidungsgabe aller Beteiligten erforderlich".

Öffentliche Personen mit Anspruch auf Privatsphäre

Das siebenseitige Papier betont, dass der seit frühchristlicher Zeit geltende Anspruch an die Lebensart von Christinnen und Christen als Zeugnis für ihren Glauben heute noch bestehe. Seelsorgerinnen und Seelsorger seien "öffentliche Personen, die im Ganzen ihrer Lebensführung an den Werten des christlichen Glaubens gemessen werden, den sie verkündigen". Daher lasse sich bei ihnen "zwischen dienstlichem Verhalten und Privatleben nicht völlig trennen". Zugleich sei zu beachten, dass auch in der Öffentlichkeit stehende Personen ein Recht auf Privatsphäre hätten. "Gleichwohl muss sich auch das private Leben im Licht der Öffentlichkeit abspielen können und darf nicht unter dem Verdikt stehen, nur im Verborgenen gelebt zu werden."

Als Konsequenz für die Praxis bischöflicher Ernennungen und Beauftragungen soll größerer Wert auf Transparenz gelegt werden. Bisher seien Entscheidungen hinsichtlich der Bewertung der Lebensführung durch Einzelfallregelungen getroffen worden. "Diese Entscheidungen tragen zwar den persönlichen Situationen Rechnung, können aber den Eindruck einer gewissen Intransparenz erwecken oder mitunter als Willkür wahrgenommenen werden."

Das Logo der Schweizer Bischofskonferenz
Bild: ©picture alliance/KEYSTONE/ANTHONY ANEX (Symbolbild)

Die Schweizer Bischofskonferenz hat nach langer Beratung ihr Papier veröffentlicht.

Das Papier geht nicht auf spezifische Lebenssituationen ein, betont aber das höhere Gewicht, das in der Praxis der Sexualmoral im Verhältnis zu anderen Anforderungen an die christliche Lebensführung zugewiesen wurde. Dies sei dadurch begründet, dass es in diesem Bereich klare kirchliche Vorgaben gebe, während andere Aspekte im Bereich moralischer und ethischer Verantwortung lägen: "So sind Aspekte des Lebensstils im Bereich sozialer Gerechtigkeit oder des Umgangs mit materiellen Gütern oder mit der Schöpfung nicht Gegenstand von kirchlicher Gesetzgebung." Für das christliche Zeugnis ausschlaggebend sei die Offenheit "auch bei Menschen in persönlichen komplexen Beziehungssituationen", "mit Gottes Hilfe" den Idealen des christlichen Glaubens näher zu kommen.

Klare Regeln in deutschen Diözesen

Die Standortbestimmung ist im Rahmen eines längeren Prozesses von der Kommission für Theologie und Ökumene der Schweizer Bischofskonferenz erarbeitet. Die Kommission wird von der Fribourger Kirchenrechtlerin Astrid Kaptijn geleitet. Die Schweizer Bischöfe haben das Papier bei ihrer Vollversammlung im September eingehend diskutiert und fertiggestellt. Nach der Vollversammlung teilte die Bischofskonferenz mit, dass sich ihre Position auf einen Leitsatz bringen lasse: "Die Überzeugungskraft von Seelsorgerinnen und Seelsorgern gründet in ihren Charismen und Kompetenzen und misst sich zugleich an einem dem Evangelium entsprechenden Lebensstil."

Anders als in der Schweiz sind Fragen der Lebensführung von kirchlichen Beschäftigten einschließlich der Seelsorgerinnen und Seelsorger in Deutschland klar geregelt. 2022 haben die deutschen Bischöfe eine neue Grundordnung des kirchlichen Dienstes beschlossen, die mittlerweile in allen deutschen Diözesen gilt. Darin ist festgehalten, dass der "Kernbereich privater Lebensgestaltung, insbesondere Beziehungsleben und Intimsphäre", rechtlichen Bewertungen entzogen bleibt. Ausgenommen davon sind besondere kirchliche Anforderungen an Kleriker und Ordensleute. (fxn)