Jurist: Kirche sollte bei Verjährung von Missbrauch vorsichtig sein
Bei Klagen von Missbrauchsbetroffenen sollte die katholische Kirche nach Ansicht des Kölner Juristen Jan-Luca Helbig zurückhaltend mit der Einrede der Verjährung umgehen. In einem am Mittwoch veröffentlichten Beitrag auf der theologischen Plattform "feinschwarz.net" erinnert Helbig daran, dass die Kirche seit Jahrhunderten strengere Regeln zur Verjährung kenne als der Staat – und dass diese bis heute in Canon 198 des geltenden Kirchenrechts verankert seien.
Während nach staatlichem Recht Ansprüche nach Ablauf bestimmter Fristen in der Regel nicht mehr einklagbar sind, erlaubt das kirchliche Recht die Berufung auf Verjährung laut Helbig nur dann, wenn der Schuldner gutgläubig war. Das bedeute, er müsse überzeugt gewesen sein, niemandem etwas zu schulden. Ein Bistum müsse sich dabei auch das Wissen seiner Verantwortlichen zurechnen lassen. Sobald innerhalb der Verjährungsfrist Hinweise auf Missbrauch vorlagen, sei für die Kirche aus moralischer Sicht eine Berufung auf Verjährung nicht möglich, so Helbig.
Helbig: Kirche geht anderen Weg
Mit Verweis auf diese Regelung widerspricht Helbig der Argumentation einzelner Bistümer und Vermögensverwaltungsgremien, die die Verjährung als notwendiges Instrument des Rechtsfriedens darstellen. Die Kirche habe sich über Jahrhunderte bewusst für einen anderen Weg entschieden, so Helbig. Im Interesse ihrer Glaubwürdigkeit müsse sie daher auch in Schmerzensgeldklagen auf die Einrede der Verjährung verzichten, sofern Verantwortliche innerhalb der Fristen Kenntnis von Missbrauch hatten.
Im außergerichtlichen Anerkennungsverfahren für erlittenes Leid verzichtet die katholische Kirche bereits auf die Anwendung von Verjährungsfristen. Dort erhalten Betroffene Zahlungen, ohne Beweise vorlegen oder sich mit der Frage der Verjährung auseinandersetzen zu müssen. Dieser Grundsatz müsse aus moralischen Gründen auch für gerichtliche Schmerzensgeldverfahren gelten, fordert Helbig.
Helbig ist Jurist und Referent für Aufarbeitung beim Erzbistum Köln. In seiner Dissertation untersuchte er die moraltheologischen Grundlagen des Schmerzensgeldes. (KNA)
