Steht die Kirche vor einem Paradigmenwechsel bei Dogmen und Pastoral?
Die von Papst Franziskus 2021 angestoßene und im Oktober 2024 zu einem vorläufigen Abschluss gebrachte Weltsynode ist inhaltlich noch nicht ganz am Ende. Franziskus selbst hatte auf Anraten des Synodensekretariats frühzeitig dafür gesorgt, dass einige "heiße Eisen" in Studiengruppen parallel zur Synodenarbeit diskutiert und zur Entscheidungsreife gebracht werden sollten.
Diese Studiengruppen, in denen neben Bischöfen und Kardinälen vor allem theologische und kirchenrechtliche Experten mitwirken, haben am 17. November ihre Zwischenberichte veröffentlicht. Die abschließenden Papiere werden noch vor Ende des Jahres erwartet, doch schon die Zwischenberichte geben interessante Einblicke.
Eines der weitreichendsten Papiere hat die Studiengruppe 9 vorgelegt. Sein Titel klingt eher technisch und theoretisch, doch das Papier hat es in sich. Es geht um "theologische und methodologische synodale Kriterien für eine gemeinsame Unterscheidung bei kontroversen lehrmäßigen, seelsorgerischen und ethischen Fragen". Mitgearbeitet haben unter anderem die Professoren Rosalba Manes (Bibelstudien) und Vincenzo Rosito (Philosophie und Methodologie) sowie Erzbischof Filippo Iannone (damals noch oberster Kirchenrechtler im Vatikan) unter der Leitung von Limas Erzbischof, Kardinal Carlos Gustavo Castillo Mattasoglio.
Auswirkungen auf künftige Debatten
Die Gruppe traf sich etliche Male 2024 und 2025, anfangs in Präsenz, später vermehrt online, so auch zuletzt am 12. Juni. Der nun vorgelegte Zwischenbericht macht deutlich, dass die Gruppe erheblich um die Frage gerungen hat, wie die vor allem unter Papst Franziskus verstärkte Hinwendung der Kirche zu einer pastoralen Übersetzung von dogmatischen und moraltheologischen Wahrheiten sich auf künftige innerkirchliche Debatten auswirken soll.
Es ging, so heißt es in dem Zwischenbericht, darum, "mutig und radikal die Herausforderung anzunehmen, mit der die Kirche heute konfrontiert ist: Eine Umwandlung des Denkens und eine Transformation im Handeln in der Treue zur Botschaft Jesu, die gestern, heute und für immer dieselbe ist". Im Verlauf der Beratungen sei deutlich geworden, dass Liebe und Wahrheit, so wie Papst Franziskus das vor allem in "Amoris laetitia" gelehrt hatte, nicht zwei getrennte Sphären sind, sondern ineinandergreifen.
Damit deutet die Studiengruppe an, dass es einen Paradigmenwechsel geben soll. Sprach man früher von unveränderlichen (geoffenbarten) Wahrheiten bei Dogma und Morallehre, die dann – aus Liebe und Nachsicht mit der Schwachheit der Menschen - in der konkreten Anwendung pastoral angepasst und gegebenenfalls "verdünnt" wurden, geht es nun um einen anderen, ganzheitlichen Ansatz. In ihm soll die Wahrheit immer schon in der Beziehung auf die pastorale Vermittlung und Praxis gedacht werden. Ein Ansatz, den der frühere Glaubenspräfekt Joseph Ratzinger (später Papst Benedikt XVI.) vermutlich in der Nähe eines riskanten Relativismus verortet hätte.
Mit dem Apostolischen Lehrschreiben "Evangelii gaudium" präsentierte Papst Franziskus im November 2013 eine Art Regierungserklärung.
Von einem Paradigmenwechsel ist auch im Arbeitsplan der Gruppe für ihr Abschlussdokument die Rede. Dort heißt es, der Text müsse "verdeutlichen, worin der Paradigmenwechsel besteht, der sich in Kontinuität mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil und der von 'Evangelii Gaudium' skizzierten neuen Phase der Evangelisierung innerhalb der synodalen Erfahrung herausbildet". Dieser Wandel betreffe "sowohl die theologische Dimension als auch die anthropologisch-kulturelle Sphäre in einer eng miteinander verflochtenen Weise".
Es sei, so die Studiengruppe, auch schon im Schlussdokument der Weltsynode deutlich zu erkennen, das die praktische Sphäre stets in Verbindung mit dem reflexiven Element stehe und die wechselseitige Interaktion zwischen dem Leben der Glaubenden und der kirchlichen Lehre betone. Somit könne das "Prinzip der seelsorgerischen Dimension als Interpretationshorizont" vorgeschlagen werden, um den Paradigmenwechsel zu verdeutlichen.
Keine Verkündigung ohne Gegenüber
Was das heißt? "Kurz gesagt: Dieses Prinzip bezieht sich auf die Logik, wonach es keine Verkündigung der Botschaft Gottes geben kann, ohne die Subjektivität des Anderen anzuerkennen." In diesem Rahmen müsse auch "das Dienstamt und die Autorität angesiedelt werden, die ihre Rolle genau so, in der Rolle des Hörens, ausüben und die Aktivität des Heiligen Geistes im Volk Gottes und bei den einzelnen Gläubigen voranbringen sollen".
Das "Prinzip des Pastoralen" definiere daher "eine Art fundamentaler Ekklesiologie", die sich auf die "Ekklesiologie des Volkes Gottes" stütze, wie sie vom Zweiten Vatikanum vorgedacht worden sei. Für den künftigen Umgang der Kirche mit kontroversen (oder "neu aufkommenden") Themen wie der Homosexualität oder der Gewalt gegen Frauen bedeute dies, dass man verstärkt auf den Kontext und auf emotionale und kulturelle Widerstände achten müsse. Ziel des Methoden-Papiers werde es nicht sein, Lösungen anzubieten, die für alle Fälle greifen, sondern "Referenzkriterien anzubieten", die bei der jeweiligen Unterscheidung eine Rolle spielen sollten.
