Kein Gralshüter der Heiligkeit
Der Italiener Capovilla, der heute in Sotto il Monte Giovanni XXIII bei Bergamo lebt, dem Geburtsort von Johannes XXIII., ist so etwas wie der Bewahrer des geistlichen Vermächtnisses dieses Papstes. Nicht zuletzt deshalb machte ihn Papst Franziskus im Februar 2014 zum Kardinal - den aus dem Stand ältesten der Weltkirche. Bis heute ist Capovilla ein gefragter Zeitzeuge, wenn es um das Zweite Vatikanischen Konzil (1962-1965) oder das Pontifikat des Angelo Giuseppe Roncalli geht. So auch während der Kuba-Reise von Benedikt XVI. im Frühjahr 2012. Damals konnte er Medienberichte über eine angebliche Exkommunikation Fidel Castros durch Johannes XXIII. als Irrtum aufklären.
Wenn Johannes XXIII. allerdings auf seinen Sekretär gehört hätte, hätte er das mit dem Konzil lieber einem jüngeren Nachfolger überlassen. "Kühl und ablehnend" sei seine Reaktion zunächst gewesen, als der Papst ihn Ende 1958 erstmals in seine Pläne für die Bischofsversammlung in Rom eingeweiht habe, erinnerte sich Capovilla später. Abschrecken ließ sich der Papst dadurch bekanntermaßen ebenso wenig wie durch die anderen Widerstände an der Kurie.
Der "weise Vater" spricht leise
Ein Gralshüter will Capovilla nicht sein. Im Gegensatz zum früheren Privatsekretär von Johannes Paul II., Kardinal Stanislaw Dzwizisz - dem zweiten noch lebenden Sekretär eines Heiligen -, der kein Mikrofon auslässt, um seine Deutung des Pontifikats unter die Leute zu bringen, ist Capovilla ein Mann der leisen Töne. "Weiser Vater" nennt ihn der Bischof von Bergamo.
Capovilla lehrte die Welt, wie ein Papst stirbt. In seinen Tagebüchern schildert er die letzten Tage von Johannes XXIII. - minutiös, nüchtern und ergreifend. Es war das erste Mal, dass die Öffentlichkeit so hautnah das Sterben eines katholischen Kirchenoberhaupts verfolgen konnte. Der Geistliche gab aber auch ausgewählte Briefe von Johannes XXIII. heraus, zuletzt 2013 dessen Briefwechsel mit dem späteren Papst Paul VI.
Der am 14. Oktober 1915 in Pontelongo bei Padua geborene Capovilla hatte schon einiges erlebt, als ihn der damalige Patriarch von Venedig Roncalli 1953 zu seinem Privatsekretär ernannte: Er war Seelsorger in einem Jugendgefängnis, Religionslehrer, Chefredakteur einer Kirchenzeitung und Zeremonienmeister im Markusdom von Venedig gewesen. Im Krieg diente der 1940 zum Priester geweihte Capovilla bei der italienischen Luftwaffe.
Hausverwalter nach der Emeritierung
Zehn Jahre lang war er Roncallis Privatsekretär. Nach dem Tod des Konzilspastes wurde Capovilla von dessen Nachfolger Paul VI. 1967 zunächst zum Erzbischof von Chieti und 1971 zum Leiter des vielbesuchten Marienwallfahrtsortes Loreto ernannt. Dort wirkte er bis zu seiner Emeritierung Ende 1988. Danach zog er in den Geburtsort von Johannes XXIII. und verwaltet dort das stattliche Haus, das sich Roncalli einst kaufte, als er noch Vatikandiplomat war.
Dossier II. Vaticanum: Macht die Fenster weit auf!
Vieles, was heute in der Kirche als selbstverständlich gilt, ist eine Folge von fast revolutionären Beschlüssen des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-1965). Katholisch.de blickt auf die wegweisende Bischofsversammlung und ihre wichtigsten Beschlüsse zurück.Seine nachlassenden Kräfte erlaubten es Capovilla 2014 nicht mehr, persönlich nach Rom zu reisen, um den Kardinalshut aus der Hand des Papstes entgegenzunehmen. Er bekam ihn nachträglich von Kardinaldekan Angelo Sodano in seinem Wohnort überreicht. Doch die Rede, die der damals 98-Jährige über Johannes XXIII., das Konzil und die Kirche hielt, ließ noch manchen alt aussehen, der noch nicht geboren war, als dieser Papst starb.
Der "gute Papst" war zutiefst konservativ
Wie sieht Capovilla seinen einstigen Dienstherrn heute? Er beschrieb ihn 2014 als zutiefst konservativen Mann, der jedoch stets offen für die Anliegen der Zeit geblieben sei. Damit trifft er ziemlich genau das, was auch eine Mehrheit der Kirchenhistoriker heute über diesen Papst sagt. Capovilla formuliert es so: "Er wollte die Furche vertiefen, in die das Wort Gottes gesät wird. Eine neue Furche aufreißen, das wollte er nicht."
Nur eins konnte Capovilla in den vergangenen 50 Jahren nicht verhindern: dass sich für Johannes XXIII. die Bezeichnung "papa buono" (guter Papst) eingebürgert hat. "Bitte nennt ihn nicht so; ich habe 50 Jahre dagegen gekämpft", sagte er in Interviews. Die einfachen Leute Italiens hätte diese Bezeichnung zwar ursprünglich aufrichtig gemeint - die Presse jedoch habe ihn damit verniedlicht.