Die lange Geschichte zwischen der Kirche und der Mafia

Über Kreuz

Veröffentlicht am 27.06.2014 um 00:00 Uhr – Lesedauer: 
Kriminalität

Mailand ‐ In Süditalien tun sich die Menschen schwer, offen über die Mafia zu sprechen. Nicht so Papst Franziskus. Während seines Besuchs in Kalabrien griff der Pontifex die Mafia und ihr System des organisierten Verbrechens offen an. Er hatte keine Angst, sich vor Tausenden Menschen mit einer der gefährlichsten Mafia-Gruppe Italiens, anzulegen: Er nannte die "‘Ndrangheta" ein "Beispiel für die Anbetung des Bösen" und forderte die Gangster auf, umzukehren und Buße zu tun.

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Mit seinen Worten wandte sich der Papst direkt an das organisierte Verbrechen und ließ die Mafiosi wissen, dass sie sich von Gott entfernt und praktisch selbst exkommuniziert haben. Von den Sakramenten, so Franziskus, seien sie praktisch ausgeschlossen.

Dabei ist Franziskus nicht der erste Papst, der sich entschloss, die Mauer des Schweigens zu durchbrechen. Schon 1993 warnte Johannes Paul II. die Mitglieder der sizilianischen Mafia, dass sie "eines Tages Gottes Gerechtigkeit spüren" werden. Während seines Besuchs in Agrigento auf Sizilien forderte er die Mafiosi ebenfalls auf, umzukehren. Damit reagierte Johannes Paul II. auf zwei Attentate in der sizilianischen Hafenstadt Palermo, bei denen die Untersuchungsrichter und Chefermittler gegen das organisierte Verbrechen, Giovanni Falcone und Paolo Borsellino, ermordet wurden. Die Mafia beantwortete die Predigt auf ihre Weise und zündete Sprengsätze vor einigen Kirchen in Rom – unter anderen vor der "Erzbasilika des Allerheiligsten Erlösers, des heiligen Johannes des Täufers und des heiligen Johannes des Evangelisten im Lateran", einer der vier Papstbasiliken im Herzen der Stadt.

Kampf gegen die Mafia

Doch nicht nur der Papst hat sich gegen die Mafia posititioniert: Viele Mitglieder der Kirche waren im Kampf gegen das organisierte Verbrechen beteiligt. Einige bezahlten dafür mit ihrem Leben. Ein Beispiel dafür ist Pino Puglisi. Der Priester gilt vielen Italienern als der erste moderne Märtyrer. Geboren und aufgewachsen in Palermo engagierte er sich gegen Korruption und Drogenhandel. Am 15. September 1993, an seinem 56. Geburtstag, wurde er von einem Auftragskiller der Cosa Nostra ermordet. Einer der Mörder, der später verhaftet wurde, sagte beim Prozess aus, Padre Puglisi habe sie vor seinem Tod angelächelt und gesagt: "Damit hatte ich gerechnet". Neunzehn Jahre nach seinem Tod wurde er seliggesprochen.

Papst Franziskus betend. Neben ihm ein Angehöriger eines Opfers der Mafia.
Bild: ©dpa/ABACA

Papst Franziskus hielt am 21. März diesen Jahres in Rom eine Gebetsvigil für die Opfer der Mafia.

Guiseppe Diana hatte vor Gericht gegen die Mafia ausgesagt und bekannten Mafiosi die Kommunion verweigert; auch er wurde niedergeschossen - der Täter war Mitglied der Camorra aus Neapel. Und Verbrechen, das nicht tötet, schüchtert ein. Viele Priester, die sich offen gegen die Mafia stellen, wurden bedroht – insbesondere in Kampanien, wo die Camorra den Drogenhandel kontrolliert und mit illegalen Giftmülldeponien Geld macht. Auch auf Sizilien, wo die Mafia schon immer sehr viel Einfluss hatte, lehnen sich viele Laien und Priester gegen das organisierte Verbrechen auf. Die bekannteste Initiative ist sicherlich "Libra", des Priesters Luigi Ciotti. Die Non-Profit-Organisation erhält den konfiszierten Besitz der Mafia und baut darauf profitable Firmen auf, um der lokalen Wirtschaft auf die Beine zu helfen und der Jugend vor Ort eine neue Perspektive zu bieten.

Mit Gott im Reinen

Trotz des offensichtlichen Widerspruchs zu ihren Verbrechen begreifen sich die Mafiosi selbst als hochreligiös. Hier nur einige Beispiele: Calocero Vizzini, nach dem Zweiten Weltkrieg Pate der sizilianischen Mafia, war Neffe von Bischof Giuseppe Scarlata. Seine Brüder Giovanni und Giuseppe waren ebenfalls Priester. Sein Nachfolger Michele Greco hat traditionell die Fronleichnams-Prozession eröffnet. Man nannte ihn auch den Papst der Cosa Nostra und als er schlussendlich von der Polizei verhaftet wurde, trug er eine Bibel bei sich. Mafia-Boss Pietro Aglieri, der 1997 für mehrere Morde angeklagt wurde, betete regelmäßig in einer Privatkapelle auf seinem Anwesen. Ein Priester zelebrierte dort regelmäßig die Heilige Messe und nahm Aglieri auch die Beichte ab.

„Bekehrt Euch, denn das Urteil Gottes wird kommen.“

—  Zitat: Past Johannes Paul II. bei einem Besuch auf Sizilien 1993.

Auch der Vatikan war lange Zeit in Geschäfte mit der italienischen Mafia verstrickt. Die "Banco Ambrosiano" , eine Tochter der Vatikanbank , ihrerseits nicht gerade für ihre Transparenz bekannt, steht im Verdacht etwa in den 1970er und -80er Jahren Drogengelder über Schattenbanken und Briefkastenfirmen gewaschen zu haben. Als der Skandal ruchbar wurde, tauchte Roberto Calvi, der die Bank gemeinsam mit Erzbischof Paul Casimir Marcinkus leitete, unter; er wurde am 18. Juni 1982 tot an einem Strick hängend unter der Blackfriars Bridge in London gefunden, die Taschen mit Ziegelsteinen gefüllt. Am selben Tag stürzte Calvis Sekretärin, Graziella Corrocher, aus einem Fenster der Bank in Mailand zu Tode. In beiden Fällen wurde sowohl von Suizid als auch von Mord gesprochen. Im Juni 2013 wurde Nunzio Scarano, Prälat und Rechnungsprüfer der Güterverwaltung des Apostolischen Stuhls, in Rom verhaftet. Die Staatsanwaltschaft beschuldigt ihn, mit Hilfe der Vatikanbank Geld für Mafiosi aus Neapel gewaschen zu haben.

Eine Frage der Inszenierung

Süditalienische Mafiosi gerieren sich gerne als fromme Menschen. In der überwiegenden Mehrheit sind sie praktizierende Katholiken; sie nutzen religiöse Feiern, um ihr Image zu polieren und sich in der Öffentlichkeit zu legitimieren. Wann immer Kamerateams verlassene Wohnungen von Mafia-Bossen filmen können, nachdem der Justiz ein Schlag gegen das organisierte Verbrechen gelungen ist, zeigt das Fernsehen Kruzifixe, Heiligenstatuen oder Gemälde der Jungfrau Maria. Das Bild des Gläubigen Mafioso hat sich tief in die Gesellschaft eingeprägt.

Für die Mafiosi ist der Glaube jedoch eher Teil der Tradition – eine Möglichkeit, die "Familie" zusammenzuhalten und ihnen das noble Gefühl zu geben, für eine höhere Sache zu erpressen und zu morden. Zudem sind öffentliche Gottesdienste und Zeremonien für viele Mafiosi ein willkommener Anlass, der Welt zu zeigen, wem man mit "dem nötigen Respekt" begegnen müsse.

Doch Kalabrien begehrt auf: Die Diözese hat die Mafia vergangenen April von der Oster-Prozession in Sant’Onofori ausgeschlossen. Bis dahin war es üblich, dass lokale Mafia-Größen die Heiligen-Figuren bei der Prozession tragen durften. Die Reaktion der Mafia: Aus einem fahrenden Auto beschossen sie das Haus des Priors, den sie für diese Entscheidung verantwortlich machten.

Von Claudia La Via (Übersetzung Michael Richmann)