Geordneter Übergang
Eigentlich war der Tisch nicht rund; die zunächst 14 Vertreter der "Volkskammer"-Parteien und 15 Vertreter der jungen politischen Kräfte saßen sich an einer langen Tafel gegenüber. An deren Kopf leiteten evangelische und katholische Pfarrer die Beratungen.
Der "Runde Tisch" nach dem Vorbild Polens, zu dem der Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR, die katholische Berliner Bischofskonferenz und die Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in der DDR eingeladen hatten, markierte einen Wendepunkt in der rapiden Entwicklung von der SED-Diktatur zur Demokratie.
Gerade einmal zwei Monate vorher, am 7. Oktober, hatte Erich Honecker noch in einer gespenstischen Inszenierung das 40-jährige Jubiläum des "Arbeiter- und Bauernstaates" zelebriert. Zwei Tage danach scheiterte die vorbereitete Niederschlagung der Montagsdemonstration in Leipzig, weil die 70.000 Teilnehmer von den Staatsorganen nicht mehr zu beherrschen waren. Am 18. Oktober wurde Honecker gestürzt, am 9. November die Mauer geöffnet , und am 3. Dezember war Honecker-Nachfolger Egon Krenz mit seinem Latein am Ende. Es war höchste Zeit, die widerstreitenden Kräfte miteinander ins Gespräch zu bringen.
Theoretisches Rüstzeug
Diese Aufgabe fiel wie von selbst den Kirchen zu. Vor allem die Protestanten hatten lange den oppositionellen Kräften einen Schutzraum geboten. Die von allen Kirchen getragene Ökumenische Versammlung für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung hatte mit ihren Reformforderungen am 30. April dem damals noch kaum zu ahnenden Prozess eine Art theoretisches Rüstzeug mit auf den Weg gegeben. In den teilweise turbulenten Auseinandersetzungen des Herbstes waren es vielerorts die Bischöfe und Pfarrer, die zur Deeskalation beitrugen.
Der "Runde Tisch" sollte nun einen geordneten Übergang gewährleisten.
Die wohl wichtigste Entscheidung der ersten Sitzung war die Festlegung eines Termins für die ersten freien Wahlen - allerdings blieb es nicht beim Datum 6. Mai 1990, sondern die Volkskammer-Wahl wurde später auf den 18. März vorverlegt. Damit erhielt das Drängen in der Bevölkerung einen Fixpunkt. Außerdem beschloss der "Runde Tisch" einstimmig die Aufforderung an die Regierung, das - gerade vorher erst umbenannte - "Amt für Nationale Sicherheit", also den Geheimdienst, "unter ziviler Kontrolle aufzulösen". Dass unter den Vertretern der Oppositionsgruppen gleich mehrere inoffizielle Mitarbeiter der Stasi am "Runden Tisch" saßen, wie sich bald darauf herausstellte, hatte dies nicht verhindert.
Die friedliche Revolution war von nun an unumkehrbar. Vertreter der Opposition traten in eine Übergangsregierung ein. Das Bonhoeffer-Haus erwies sich bald als zu klein. Von der 4. Sitzung am 27. Dezember 1989 an bis zur 16. und letzten Sitzung am 12. März 1990 tagte der "Runde Tisch" im Konferenzgebäude des Ministerrats der DDR in Pankow.
Beitrag zum Lernen von Demokratie
Nicht alle Blütenträume der Opposition reiften - so wurde der ambitionierte Entwurf einer neuen Verfassung zwar an die neugewählte Volkskammer übergeben; diese behandelte ihn aber nicht weiter.
Die Kirchen saßen bewusst nicht mit einer eigenen Fraktion am "Runden Tisch", hatten aber Beobachter entsandt, darunter der spätere Sächsische Staatsminister für Wissenschaft und Kunst und Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken , Hans Joachim Meyer. Der katholische Moderator des Gremiums, Karl-Heinz Ducke, bezeichnete den "Runden Tisch" im Rückblick als Beitrag zum Lernen von Demokratie.
Nach der Einheitspartei hätten sich Viele eine "Einheitsopposition" gewünscht. "Der 'Runde Tisch' war eine Krisensitzung", so Ducke, "und insofern hat er seine Aufgabe erfüllt."
Von Norbert Zonker (KNA)