"Kirchensteuer gibt Planungssicherheit"
Frage: Herr Professor Ohly, das deutsche Kirchensteuersystem ist weltweit einzigartig. Kritiker fordern immer wieder die Abschaffung dieses Systems. Was spricht für die Beibehaltung der bisherigen Praxis?
Ohly: Das lässt sich an drei Stichworten festmachen: Planungssicherheit, Transparenz und Gerechtigkeit.
Frage: Fangen wir mit dem ersten an - der Planungssicherheit.
Ohly: Die Kirchensteuer ist eine kirchliche Steuer und stellt eine besondere Form der Unterstützung der Kirche durch die Gläubigen dar. Sie wird als sogenannte Annexsteuer an die Lohn- oder Einkommenssteuer erhoben und gibt den Bistümern - unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Lage - ein hohes Maß an Planungssicherheit. Man weiß, welche finanziellen Möglichkeiten über einen gewissen Zeitraum zur Verfügung stehen.
Frage: Wie verhält es sich mit der Transparenz?
Ohly: Die Kirchensteuergelder fließen in den Haushalt der Bistümer und werden von dort aus in die kirchlichen Aufgabenbereiche wie beispielsweise Pfarreien, Personal oder andere kirchliche Einrichtungen verteilt. Die Diözesen geben Einsicht in die Finanzhaushalte und legen damit Rechenschaft ab, wofür die Gelder verwendet werden.
Frage: Als drittes Stichwort nannten Sie die Gerechtigkeit.
Ohly: Das betrifft zwei Ebenen. Zum einen können die Bistümer das Geld nach einem gewissen Schlüssel, der alle pastoralen Bereiche berücksichtigt, möglichst gerecht verteilen. Zum anderen lässt sich zwischen den finanziell stärkeren und schwächeren Diözesen ein Ausgleich herstellen, sodass unter dem Strich für möglichst alle Aufgaben der Pastoral, der Verkündigung und der sozialen Dienste ausreichend Gelder zur Verfügung stehen.
Frage: Nun hat Ihr Kollege Stephan Haering einen neuen Vorschlag ins Spiel gebracht. Demnach sollen die Kirchensteuerzahler einen gewissen Einfluss darauf nehmen können, wer von ihren Gaben profitiert. Was halten Sie davon?
Ohly: Wichtig erscheint mir zunächst, dass auch Stephan Haering nicht die Abschaffung der Kirchensteuer fordert. Das System bleibt bestehen, aber es wird an einer Stelle etwas verändert, indem das Element einer persönlichen Steuerung der Abgaben durch den einzelnen Gläubigen hinzutritt. Der Kirchensteuerzahler könnte sich demzufolge Spenden, die er für kirchliche Organisationen oder Einrichtungen unternimmt, im Nachhinein für sein Kirchensteueraufkommen anrechnen lassen, ob nun zu 50 oder 100 Prozent oder zu einem anderen Prozentsatz. Dies müsste konkret festgelegt werden.
Frage: Ist das praktikabel?
Ohly: Kollege Haering selbst spricht von einem "gewissen Verwaltungsaufwand", der mit der neuen Regelung zu erwarten wäre, aber letztlich überschaubar bliebe. Das sehe ich etwas kritischer. Der dafür notwendige Aufwand in der diözesanen Finanzverwaltung wird nicht gering sein. Es kämen auf die Kirche neue Herausforderungen im Verwaltungsbereich zu, wenn Gläubige davon in entsprechendem Maße Gebrauch machen würden.
Frage: Das wäre zumindest Haerings Anspruch.
Ohly: Ja. Ziel seines Vorschlags ist es, möglichst viele von denen anzusprechen, die sich durch einen Kirchenaustritt dieser Verpflichtung entziehen wollen, weil sie mit "der" Kirche, egal auf welcher Ebene, vielleicht unzufrieden sind. Die Hoffnung wäre, dass sich einige von diesem Schritt abhalten lassen und in der vollen Gemeinschaft mit der Kirche verbleiben, weil sie ihre finanzielle Unterstützung an kirchliche Einrichtungen geben können, die ihnen persönlich näher liegen.
Frage: Das klingt durchaus charmant. Wäre es nicht angesichts der zuletzt hohen Austrittszahlen an der Zeit, die Sache intensiver zu diskutieren?
Ohly: Man sollte dies durchaus mutig tun. Aber ich gebe auch zu bedenken, dass die drei Vorteile des geltenden Systems - Planungssicherheit, Transparenz und Gerechtigkeit - dadurch zumindest geschwächt werden könnten. Und dann gäbe es da noch einen anderen Aspekt. Das Werben um Spendengelder würde zunehmen und damit auch die Konkurrenz.
Frage: Konkurrenz belebt das Geschäft.
Ohly: Das stimmt natürlich. Konkurrenz kann aber auch zu einer unguten Rivalität führen. Hinter den auf diese Weise zur Verfügung gestellten Geldern würden möglicherweise Erwartungen oder Haltungen sichtbar, die ein Gegeneinander in der Kirche befördern und damit auch die Bemühungen um die Einheit im Glauben und die Einheit in der Kirche berühren.
Frage: Das, was manche schon jetzt als innerkirchliche Grabenkämpfe anprangern...
Ohly: ... das muss nicht so kommen, könnte aber zunehmen, ja.
Linktipp: Mehr Mitbestimmung bei den Abgaben
Der Münchner Kirchenrechtler Stephan Haering möchte die Kirchensteuerpraxis in Deutschland modifizieren. Der Benediktinerpater ist überzeugt, dass durch seinen Vorschlag Kirchenaustritte verhindert werden könnten, wie er im Interview erläutert.Frage: Wie hoch ist die Akzeptanz der Kirchensteuer unter Ihren Kollegen?
Ohly: Mit wenigen Ausnahmen besteht innerhalb der deutschsprachigen Kanonistik meiner Kenntnis nach eine relativ breite Wertschätzung des bestehenden Kirchensteuersystems, das auf eine gewachsene historische Entwicklung verweisen kann. Die Wertung des Kirchenaustritts, der ja aus religionsfreiheitlichen Gründen vonseiten des Staates damit verbunden ist, wird allerdings recht unterschiedlich beurteilt.
Frage: Der emeritierte Freiburger Kirchenrechtler Hartmut Zapp argumentiert, dass man sehr wohl aus der Kirche als Körperschaft öffentlichen Rechts austreten kann, aber trotzdem als Getaufter Mitglied der Kirche bleibt.
Ohly: Es geht meiner Ansicht nach fehl, die Kirche in eine Glaubens- und in eine Rechtsgemeinschaft dividieren zu wollen. Die Deutsche Bischofskonferenz wertet in ihrem derzeit geltenden Dekret aus dem Jahre 2012 einen Kirchenaustritt als einen kirchendistanzierenden Schritt und damit als "schwere Verfehlung gegenüber der kirchlichen Gemeinschaft". Daraus folgt im Verständnis der Bischöfe zwar nicht die Exkommunikation, wohl aber eine spürbare Einschränkung innerkirchlicher Rechte. So ist beispielsweise der Empfang der Sakramente nicht möglich - außer in Todesgefahr.
Frage: Wer austritt, kann nicht mehr die Kommunion empfangen?
Ohly: So, wie es die deutschen Bischöfe formuliert haben, nein. Weil der äußere Schritt einer gewissen Lossagung von der Kirche mit der inneren Haltung, die für den Empfang der Kommunion vorausgesetzt wird, in Widerspruch steht. Gleichwohl laden die Bischöfe die Ausgetretenen nachdrücklich zu einem Gespräch mit Blick auf die volle Wiedereingliederung in die kirchliche Gemeinschaft ein. Das seelsorgliche Ziel ist es, die Versöhnung mit der Kirche und die Rückkehr zur vollen Ausübung ihrer Rechte und Pflichten zu erreichen.