Sprechen wie zu Jesu Zeiten
Hinter der Familie Issa blinkt der Weihnachtsbaum, eine Madonna aus Ton steht auf dem Tisch. Die drei sind christliche Maroniten, deren Kirche mit der katholischen Kirche verbunden ist. Im Alltag sprechen sie Arabisch, viele von ihnen sehen sich aber nicht als Araber.
Die religiöse Minderheit in Israel will ihre eigene Sprache pflegen und im Alltag wieder den aramäischen Dialekt verwenden. Damit wollen sie auch die Sprache von Jesus Christus am Leben halten, der ebenfalls Aramäisch gesprochen haben soll. Das Syrisch soll auch die eigene Identität der Maroniten stärken, wie der Gründer des Israelischen Christlich-Aramäischen Verbandes, Schadi Chahllul, sagt. "Jede Nation sollte die Möglichkeit haben, ihr Erbe und ihre Sprache zu erhalten."
Vom Aussterben bedrohte Sprache
Vor rund 2.000 Jahren wurde Aramäisch im gesamten Vorderen Orient gesprochen, unter anderem im heutigen Syrien, Israel und Libanon, sagt Werner Arnold, Professor für semitische Sprachen an der Universität Heidelberg. Heute könnten weltweit nur noch ein bis zwei Millionen Menschen Aramäisch, die wenigsten davon nutzten es im Alltag. "Die Sprache ist wirklich vom Aussterben bedroht", sagt Arnold.
Stichwort: Aramäisch
Aramäisch gehört wie Hebräisch und Arabisch zu den semitischen Sprachen. Die verschiedenen Dialekte des Aramäischen haben auch verschiedene Schriften. Aramäisch wurde ab 1000 vor Jesus Christus gesprochen und verdrängte im Vorderen Orient alle anderen Sprachen, unter anderem im heutigen Israel, Syrien und Libanon. Mit dem Auftreten des Islams im 7. Jahrhundert und der Verbreitung von Arabisch verlor Aramäisch an Bedeutung. Heute sprechen noch ein bis zwei Millionen Menschen weltweit Aramäisch. Im Alltag werden die aramäischen Dialekte nur noch in abgelegenen Bergdörfern verwendet. Westaramäisch wird noch in drei Orten in Syrien an der Grenze zum Libanon gesprochen, Ostaramäisch beispielsweise in Dörfern im Osten der Türkei. (dpa)Viele der rund 10.000 Maroniten in Israel leben an der Grenze zum Libanon, unter anderem in dem Ort Al-Dschisch. 70 Prozent der Einwohner sind Maroniten. In der hügeligen Landschaft stehen Häuser mit Flachdächern, hängen Wäscheleinen vor den Terrassen.
Seit fünf Jahren lernen die Kinder in Al-Dschisch neben Hebräisch und Arabisch nun auch Aramäisch in der Schule. Die Schrift ähnelt der arabischen Schrift, die Aussprache klingt weicher. Das israelische Bildungsministerium finanziert das Projekt.
Für Miriam Issa, die in Al-Dschisch wohnt, ist die Wiederbelebung des aramäischen Dialektes eine Rückkehr zu ihren eigenen Wurzeln. "Es ist wirklich wichtig, weil es die Sprache unserer Großeltern ist", sagt die 69-Jährige mit den kurzen weißen Haaren. "Wir lieben diese Sprache, und die Sprache Gottes zu sprechen, bringt uns näher zu Gott."
Der Weinbauer Nadim Isa bezeichnet sich selbst als "aramäisch-christlich" und unterstützt die Initiative. Für die Araber seien sie keine richtigen Araber, für die Christen keine richtigen Christen, sagt er. Erst seit vergangenem Jahr können sich Aramäer bei den israelischen Behörden als eigene Gruppe registrieren lassen. Vorher wurden sie stets zu den Arabern gezählt. "Wir mussten etwas für uns finden", sagt der 60-Jährige. Außerdem hätten sie bisher zwar ihre religiösen Texte gesprochen, sie aber nicht verstanden.
Latein als Alltagssprache in Europa?
Semitistik-Professor Arnold lobt die Möglichkeit, dass die Kinder die Sprache lernen können - glaubt aber nicht an eine Verwendung im Alltag. "Dass es eine Muttersprache wird wie vor 1.500 Jahren, halte ich für aussichtslos", sagt er. "Die Kinder können Hebräisch und Arabisch und können sich mit allen im Dorf verständigen." Es bestehe keine Notwendigkeit, eine weitere Sprache zu sprechen.
Zudem hätten die Maroniten früher auch nicht den ostaramäischen Dialekt ihrer religiösen Schriften gesprochen - sondern einen westaramäischen Dialekt. Der Versuch sei vergleichbar mit der Idee, in Europa Latein als Alltagssprache einzuführen.