"Gegen die Realität anzurennen bringt nichts"
Frage: Herr Weihbischof, mit dem israelisch-palästinensischen Konflikt und den Folgen des islamistischen Terrors standen zwei Brennpunkte des Nahostkonflikts im Fokus Ihres Besuchs. Wie bewerten Sie die aktuelle Lage?
Renz: Die Situation der Menschen hier ist nicht leichter geworden. Gerade der Mauerbau im Cremisan-Tal bei Beit Dschalla mag Menschen sehr frustrieren. Der gewaltlose Widerstand über Jahre hinweg, wöchentliche Messfeiern in den Olivenhainen und die Präsenz der Kirche haben nichts genützt. Trotzdem gibt es für uns Christen keine Alternative zu Gewaltlosigkeit und Dialog. Es zeigt aber, dass die schwierigen Verhältnisse sich eher verhärten. Die Christen werden dabei als kleine Minderheit zwischen den Fronten aufgerieben. Deswegen ist unsere Präsenz als Kirche unter den Christen hier wichtig.
Frage: Die Niederlage im Kampf gegen den israelischen Mauerbau trifft ein wichtiges Anliegen der Bischofsgruppe. Stellt das Ihre Arbeit infrage?
Renz: Nein. Wir sind ja keine Politiker und können daher politisch nichts durchsetzen. Aber es ist wichtig, dass wir da sind. Auch wenn eine Situation so aussichtslos ist wie in Cremisan: Als Kirche müssen wir nach vorne schauen und fragen, wie man sich mit der neuen Situation arrangieren kann. Gegen die Realität anzurennen bringt nichts. Wir müssen den Menschen helfen, aus ihrer Verbitterung heraus neue Zukunftsperspektiven zu entwickeln.
Frage: Der Lateinische Patriarch Fouad Twal hat im Zusammenhang mit dem Mauerbau von einer "neuen Form der Christenverfolgung" gesprochen. Teilen Sie diese Einschätzung?
Renz: Das ist eine Frage der Definition: Christen werden im Nordirak verfolgt, aber in diesem Sinne nicht in Israel. Der Mauerbau in Cremisan richtet sich ja nicht gegen die Christen als solche, aber sie werden de facto enteignet. Die Entscheidungen über den Mauerbau treffen Politiker. Wir als Kirche haben eine andere Aufgabe: Wir müssen wie die Propheten im Alten Testament aufstehen und anklagen, wo Menschenrechte beschränkt werden. Wir müssen uns auf die Seite der Leidenden stellen. Das Unrecht können wir als Kirche nicht aus der Welt schaffen, aber wir müssen an den guten Willen der Politiker appellieren und uns politisch einmischen.
Frage: Die Abwanderung der christlichen Flüchtlinge aus Syrien und dem Irak gefährdet die christliche Präsenz in Nahost, andererseits sieht die Mehrheit der Geflohenen keine Perspektive in ihrer Heimat. Ein Dilemma für die Kirche?
Renz: Ich bin der Meinung, dass jeder Mensch seinen Aufenthaltsort selber wählen muss. Es wäre sicherlich verheerend, wenn die Extremisten tatsächlich ihr Ziel erreichten, diese Region "christenfrei" zu machen. Andererseits ist mir in der Begegnung mit irakischen Flüchtlingen klar geworden, dass sie zum Teil so Schlimmes erlebt haben, dass ich ihnen nicht den Ratschlag geben könnte, zurückzugehen. Die Idealvorstellung ist, dass Christen weiterhin in den Ursprungsländern des Christentums leben. Aber hier trifft sozusagen ein harter Realismus auf einen weichen Idealismus.
Frage: Was bedeutet das für die Aufnahme von Flüchtlingen in Deutschland?
Renz: Es gibt zwischen der arabischen und der westlichen Welt große kulturelle Unterschiede, die man benennen muss. Nach einer Willkommenskultur muss es eine Kultur der Inkulturation geben. Gleichzeitig sollte man sagen: Es kann sein, dass in fünf oder zehn Jahren gerade ihr gebraucht werdet, um eure Heimatländer wieder aufzubauen. Diese Rückkehrperspektive sollte man nicht von vornherein verbauen.
Linktipp: Bischöfen wird Besuch im Westjordanland verweigert
Die Israelische Grenzpolizei hat katholischen Bischöfen die Einreise ins Westjordanland verweigert. Unter den Teilnehmern des Solidaritätstreffens mit den Christen im Heiligen Land ist auch Weihbischof Renz aus dem Bistum Rottenburg-Stuttgart.Frage: Welche Botschaft nehmen Sie von hier mit?
Renz: Die Botschaft an die Menschen hier, dass wir an ihrer Seite stehen, ist wichtig. Im vergangenen Jahr haben katholische Hilfswerke aus Deutschland mit 32 Millionen Euro enorm viel Geld für Flüchtlingsprojekte hier im Mittleren und Nahen Osten aufgebracht. Das Geld ist gut angelegt. Mein Appell an die deutsche Kirche lautet, weiter zu investieren, um die Fluchtursachen in Nahost zu lindern. Gleichzeitig steht es uns Christen gut an, das Gebet für die Menschen hier zu verstärken.
Frage: Der jüngste Anschlag in Istanbul zeigt, dass eine der Hauptfluchtursachen, der islamistische Terror, eher näherkommt. Ist dieser Kampf nicht verloren?
Renz: Als Christen dürfen wir die Hoffnung nie aufgeben. Aber die Gefahr des radikalen Islamismus darf nicht unterschätzt werden. Wir müssen an alle Menschen guten Willens appellieren und der Radikalisierung etwa mit Friedenserziehung entgegenwirken. Als Kirche müssen wir mit den gemäßigten Muslimen in einen noch intensiveren Dialog treten und auf eine dringende Klärung der Frage insistieren, wie sich der Islam und Koran zur Gewalt verhalten. Dieser Dialog ist fünzig Jahre nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil heute wichtiger denn je.