Italienischer Kardinal Francesco Montenegro über die Flüchtlingskrise

"Neues Kapitel der Weltgeschichte"

Veröffentlicht am 17.02.2016 um 19:10 Uhr – Lesedauer: 
Erzbischof Francesco Montenegro im Porträt.
Bild: © KNA
Vollversammlung

Schöntal ‐ Er ist Erzbischof der Diözese, zu der die Insel Lampedusa gehört: Auf der Vollversammlung der Bischöfe berichtete Kardinal Francesco Montenegro von der Flüchtlingsarbeit. Für ihn ihn klar: Angst ist in Krisen der falsche Ratgeber.

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Montenegro nahm als Gast an der Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) teil, um beim Studientag zum Thema Flucht und Vertreibung von der Situation auf Lampedusa zu berichten. Er habe seinen Mitbrüdern gesagt, dass es die Pflicht der Kirche sei, sich für die Armen einzusetzen und Flüchtlinge aufzunehmen, erklärte der Kardinal am Nachmittag vor Vertretern der Presse. Es sei nicht Aufgabe der Kirche, Politik zu machen, sondern Gerechtigkeit und Nächstenliebe zu fördern. "Nächstenliebe wird erst dann gelebt, wenn mir etwas weggenommen wird, damit es einem anderen Menschen besser geht", so Montenegro.

Der italienische Caritas-Präsident wies zugleich darauf hin, dass die Ursachen für aktuelle Fluchtbewegungen auch in der Geschichte zu suchen seien. "Die Geschichte Afrikas ist von unserem Egoismus geprägt", erklärte Montenegro. So hätten europäische Staaten über lange Zeit ihren Reichtum erwirtschaftet, indem sie afrikanische Länder ihrer Bodenschätze beraubten. "Wenn die Menschen heute dort weggehen, dann deshalb, weil in der Weltgeschichte eine neue Seite aufgeschlagen wurde." Zugleich rief der Kardinal auf, sich für mehr Gerechtigkeit zwischen den armen und den reichen Regionen der Erde einzusetzen. "Die riesengroße Ungerechtigkeit in der Welt ist das eigentliche Meer, das die Menschen überqueren müssen."

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Video: © katholisch.de

"Das Engagement geht weiter": Erzbischof Stefan Heße, Sonderbeauftragter der Bischofskonferenz für Flüchtlingsfragen, über den Studientag bei der Vollversammlung.

Weiter erklärte der Erzbischof, Bootsflüchtlinge aus afrikanischen Staaten würden heute oft nicht mehr an der italienischen Küste anlanden, weil Schiffe der europäischen Grenzschutz-Agentur Frontex sie bereits auf dem Mittelmeer aufgreifen. Die Boote der Flüchtlinge seien oft in einem desolaten Zustand. Während die Geflüchteten früher oft kurz vor der italienischen Küste Schiffbruch erlitten hätten, passiere dies heute schon kurz nach ihrer Abfahrt in Libyen.

Kritik äußerte Montenegro auch an Forderungen nach einer rigiden Einwanderungspolitik und schnellen Abschiebungen. Die Menschen seien nach ihren oft monatelangen Reisen bereits schwer traumatisiert, wenn sie nach Italien kämen. Laut dem Kardinal gibt es etwa Fälle von Frauen, die während ihrer Flucht vergewaltigt wurden und direkt nach ihrer Ankunft nach Abtreibungen fragten. Psychisch schwer belastete Flüchtlinge schnell zurück zu schicken, erscheine aus europäischer Sicht vielleicht bequem, bedeute für diese Menschen aber ein schreckliches Schicksal. (kim)