"Die muslimische Mehrheit gibt den Ton an"
Frage: Herr Thiermeyer, im Februar 2015 haben Sie Ihre Stelle als Diözesan-Beauftragter für die Flüchtlingsseelsorge angetreten. War damals schon abzusehen, dass sich die Flüchtlingskrise derart verschärfen würde?
Thiermeyer: Wenn man die Zeichen der Zeit richtig gelesen hat: Ja. Bischof Gregor Maria Hanke und ich waren schon 2013 überzeugt, dass kirchlicherseits etwas für die Flüchtlinge getan werden muss. Aber das haben nicht alle so gesehen, weshalb sich die Diskussion über die Schaffung meiner Stelle noch etwas hinzog. Nach meinem Wissen sind wir zunächst das einzige deutsche Bistum, das einen Geistlichen als Diözesan-Beauftragten für die Flüchtlingsseelsorge berufen hat.
Frage: Was ist Ihre Aufgabe?
Thiermeyer: Ich verstehe mich als Anwalt der Flüchtlinge - und da spielt es erst einmal keine Rolle, welcher Religion sie angehören. Seit Februar 2015 bin ich etwa 54.000 Kilometer mit dem Auto durch das Bistum gefahren: Ich habe mit Priestern und Gremien geredet, ob sie Räume für Sprachkurse oder dezentrale Flüchtlingsunterkünfte haben, stehe mit den Landratsämtern und Bürgermeistern in Kontakt und habe christlichen Flüchtlingen Priester ihrer Konfessionen für Gottesdienste, Taufen oder Beerdigungen vermittelt. Aber ich verbringe auch viel Zeit am Schreibtisch, denn ich bekomme eine Flut von E-Mails: Menschen fragen nach katechetischem Material in verschiedenen Sprachen - mein Dank gilt in diesem Zusammenhang dem Hilfswerk "Kirche in Not" für fremdsprachige Bibeln und Katechismen. In anderen E-Mails suchen Menschen Rat beim Kirchenasyl, es gibt Helfer, die schreiben, dass sie am Ende sind.
Frage: Wie hat sich die Situation der Kirche im Bistum Eichstätt durch die Flüchtlinge verändert?
Thiermeyer: In 65 Pfarreien gibt es Helferkreise, die sich für die rund 5.000 Flüchtlinge auf dem Gebiet der Diözese engagieren. Das Berufsbildungszentrum von Kolping in Roth bei Nürnberg bietet Sprachkurse und Kurse zur Vorbereitung in den Berufseinstieg an. Der Bischof hat die frühere Realschule Maria Ward in Eichstätt in ein Flüchtlingsheim umwandeln lassen, wo seit Herbst 2014 bis zu 300 Menschen mietfrei leben. Insgesamt gibt die Diözese jährlich etwa 400.000 Euro für die Flüchtlingshilfe aus und dazu kommt noch ein Notfonds von etwa 300.000 Euro. Das ist schon eine große Summe für so ein kleines Bistum, meine ich.
Frage: Was sind die wichtigsten Bedürfnisse der Flüchtlinge?
Thiermeyer: Für diejenigen, die integrierbar sind - das sind ja nicht alle - gibt es zwei Aspekte: Sie müssen deutsch lernen können und arbeiten dürfen. Der Start ins Arbeitsleben geht über die Jobcenter oder auch private Kontakte. Da setze ich auch auf unsere Mitchristen, Flüchtlingen in ihren Betrieben eine Chance zu geben.
Frage: Welche Flüchtlinge sind denn Ihrer Ansicht nach nicht integrierbar?
Thiermeyer: Es gibt Menschen, die aufgrund ihrer Prägung und ihrer Religion einfach nicht fähig für die Demokratie sind. Ihnen jetzt die erste Hilfe in der Not zu leisten, ist selbstverständlich, aber dauerhaft kann ihr Weg nicht nach Europa führen.
Frage: Welche Religion führt dazu, dass man nicht integrationsfähig ist?
Thiermeyer: Wenn jemand ein strenger Muslim ist, dann tut er sich oft sehr schwer mit der Demokratie, mit einer Gleichberechtigung von Mann und Frau, dann tut er sich sehr schwer mit Religions- und Gewissensfreiheit.
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Ob Naturkatastrophen, Armut oder Terror: Täglich verlassen Menschen ihre Heimat, um anderswo ein neues, ein besseres Leben zu beginnen. Die Flüchtlinge kommen auch nach Deutschland. Das bedeutet eine große Herausforderung für Politik, Gesellschaft und Kirche.Frage: Aber der Islam ist doch eine Religion und keine Staatsform...
Thiermeyer: Für sehr gläubige Muslime gibt es eine Verbindung zwischen Religion und Staat - die Scharia. Und die sieht das Miteinander von Mann und Frau anders, Religionsfreiheit ist nicht vorgesehen, beispielsweise die Konversion zu einer anderen Religion.
Frage: Wie ist die Situation der christlichen Flüchtlinge?
Thiermeyer: Wenn sie dezentral untergebracht sind, dann geht es schon. Aber wenn sie in Gemeinschaftsunterkünften leben, haben sie es oft schwer. 95 bis 98 Prozent der Bewohner sind Muslime. Und wer die Mehrheit hat, gibt den Ton an. Manche Christen getrauen sich nicht einmal, sich zu ihrer Religion zu bekennen, weil sie Angst haben, gemobbt zu werden.
Frage: Was heißt das konkret?
Thiermeyer: Ein Beispiel sind die Gemeinschaftsräume: Ein Christ ist für einen gläubigen Muslim ein "Ungläubiger" und "Unreiner". Er verunreinigt die Küche, wenn er sich darin betätigt. Ich habe auch schon gehört, dass Frauen sich in der Nacht nicht trauen, zur Gemeinschaftstoilette zu gehen, weil sie Angst haben vor anderen Flüchtlingen. Sie haben irgendwo ein Töpfchen oder eine Dose und verrichten da ihre Notdurft. Denken Sie an die Silvesternacht in Köln - wenn man keine Hemmungen hatte, in einer solchen Umgebung selbst deutsche Frauen anzugrabschen, dann dürfen Sie nicht glauben, dass in den Einrichtungen christliche Flüchtlinge verschont würden.
Frage: Sind das Einzelfälle oder ist das die Regel?
Thiermeyer: Ich kann nur das wiedergeben, was man mir anvertraut. Es gibt in dieser Hinsicht ja eine große Schamgrenze. Ich höre von einzelnen Fällen, aber es sind nicht wenige.
Frage: Welche Schlüsse sollten aus solchen Vorfällen gezogen werden?
Thiermeyer: Um das Konfliktpotential herauszunehmen, sollten die Flüchtlinge nach Ethnien und Religionen getrennt untergebracht werden. Als Konfliktpotential von außen reicht die erstarkende rechte Bewegung schon aus, man braucht nicht auch noch in den Flüchtlingslagern interne Konfliktherde.
Frage: Wird von Seiten der Kirche in ausreichendem Maße auf die schwierige Situation der Christen hingewiesen?
Thiermeyer: Nach Köln getrauen sich nun die Bischöfe, das Thema anzusprechen. Aber bis dahin wollte man eigentlich nichts hören. Es ist schon verrückt: Es werden Schutzräume eingerichtet für homosexuelle Flüchtlinge, aber für Christen getraut man sich das nicht. Gott sei Dank haben jetzt die beiden Erzbischöfe Heiner Koch und Ludwig Schick entsprechend Stellung genommen. Kardinal Woelki will im Erzbistum Köln ein Flüchtlingsheim nur für Christen einrichten. Aber man war lange viel zu zurückhaltend. Das werfen uns unsere orientalischen Mitbrüder ja auch vor: Warum schweigen die europäischen Bischöfe zu dem Unrecht, das Christen hier und im Nahen Osten geschieht?
Frage: Wird es gelingen, in diesem Jahr die Zahl der Flüchtlinge, die nach Deutschland kommen, deutlich unter eine Million zu drücken?
Thiermeyer: Das weiß ich nicht. Ich halte solche Zahlenspekulationen aber auch für müßig. Die europäischen Egoismen, die in der Politik nun plötzlich zu Tage treten - das kann nicht die Lösung sein. Jetzt, wo Menschen an Leib und Leben gefährdet sind, müsste eine weitblickende Politik auf Basis der europäischen Werte greifen. Aber davon sind wir noch weit entfernt. Ich bin dankbar und stolz, dass wir eine Bundeskanzlerin haben, die für ihre Überzeugung einsteht, die sich sogar dafür prügeln lässt. Natürlich kann Deutschland nicht unbegrenzt Flüchtlinge aufnehmen. Aber Europa als Kontinent könnte ohne weiteres 40 bis 50 Millionen beherbergen. Was wir jetzt erleben, ist ja nur eine kleine Vorübung. In zehn, zwanzig Jahren stehen 30 bis 50 Millionen Klimaflüchtlinge vor der Tür, die von Afrika nordwärts ziehen. Und was dann? Wir Europäer werden nicht die Türen dauerhaft verschlossen halten können und unsere Besitzansprüche verteidigen können. Wir haben lange genug auf Kosten anderer sehr gut gelebt.