Die Päpste und der Islam
Frage: Herr Nersinger, Sie sind ausgewiesener Papst- und Vatikankenner und haben schon viele Bücher zu diesen Themen veröffentlicht. War ein Buch über das Verhältnis der Päpste zum Islam jetzt einfach der nächste logische Schritt?
Nersinger: Das war eigentlich nicht geplant. Ich bin darauf angesprochen worden und habe die Thematik aufgegriffen, weil ich sie für aktuell halte und weil ich dachte, dass es in diesem Themenbereich einiges zu erläutern und auch zu korrigieren gibt.
Frage: Wie sind Sie denn bei der Recherche vorgegangen? Das Thema umfasst ja mehrere Jahrhunderte. Was haben Sie als wichtig herausgegriffen?
Nersinger: Bis zum 19. Jahrhundert verläuft die Geschichte sehr martialisch. Es ist bis auf ein paar Ausnahmen weniger eine theologische denn eine militärische Auseinandersetzung. In diesem Zusammenhang war es für mich hochinteressant, mich auch mit der Problematik der Kreuzzüge zu beschäftigen: Die wirft man der Kirche ja häufig vor. Da erschien es mir wichtig zu zeigen, dass die Kreuzzüge der Kirche keine Aktion waren, sondern eine Reaktion auf die Aggression und Eroberungspolitik von Vertretern des Islam darstellten.
Frage: Glauben Sie, dass man gerade beim Thema Kreuzzüge generell etwas geraderücken muss? Dieses Thema wird ja gerne in den aktuellen Debatten um islamistischen Terror den Christen vorgehalten.
Nersinger: Ich habe versucht, darzustellen, dass die Kreuzzüge von muslimischer Seite bis ins 18. Jahrhundert hinein als Selbstverständlichkeit der kriegerischen Auseinandersetzungen gesehen wurden, man hat sich damit gar nicht beschäftigt. Erst relativ spät sind die Kreuzzüge dann von muslimischen Extremisten als Religionskriege für Propagandazwecke instrumentalisiert worden. Genauso verhält es sich mit der Darstellung der Kreuzzüge in der angelsächsischen Literatur des 19. Jahrhunderts. In ihr werden sie im Nachhinein heroisiert, und dies eindeutig forciert von kolonialem Gedankengut. Natürlich gab es damals grausame Vorfälle und Verbrechen, die sich nicht nur gegen Muslime wandten, sondern auch gegen die eigenen Leute, wie die Kinderkreuzzüge oder die Plünderung von Konstantinopel beim vierten Kreuzzug. Aber dem lagen politische und finanzielle Motive zu Grunde. Und es gab es zunächst auch keine Bestrebungen, während der Kreuzzüge zu missionieren. Das geschah erst viel später durch den heiligen Franziskus und seine Mitbrüder; aber diese Bemühungen sind sehr schnell gescheitert.
Frage: Können Sie nun, nachdem Sie sich so ausführlich mit diesem Thema beschäftigt haben, das Verhältnis zwischen den Päpsten und dem Islam kurz zusammenfassen?
Nersinger: Es ist schwierig, vom Verhältnis zum Islam zu sprechen, weil es ja zunächst keine oder nur vereinzelt eine theologische Auseinandersetzung war. Mit dem 19. Jahrhundert kommt eine ganz andere Dynamik hinein. Da gibt es die berühmte Geschichte von dem ägyptischen Vizekönig Mehmet Ali, der Papst Gregor XVI. ein besonderes Geschenk zum Wiederaufbau der 1823 abgebrannten Basilika Sankt Paul vor den Mauern anbietet: Alabaster aus den Steinbrüchen seines Landes. Das ist so ein Wendepunkt, ab dem freundschaftliche Beziehungen zu den islamischen Herrschern entstehen. Höhepunkte sind sicherlich auch die Enzyklika "Ecclesiam Suam" von Paul VI. und die Dokumente des Zweiten Vatikanischen Konzils: Beide fordern zum Dialog mit dem Islam auf.
Frage: Können wir aus dieser Zeit etwas für unseren heutigen Umgang mit dem Islam lernen?
Nersinger: Ich denke schon. Symbole beeindrucken uns alle nach wie vor sehr stark. Wenn ich heute in ebendiese Basilika gehe, wo der heilige Apostel Paulus beerdigt liegt, und die Säulen und Fenster aus Alabaster sehe, die ein Geschenk von einem muslimischen Herrscher sind - das ist ein schöner Gedanke, ein Sinnbild für frühe Formen des gelebten Dialogs. Das zeigt, dass gegenseitige Wertschätzung möglich ist.
Frage: In Ihrem Buch zitieren Sie zum Schluss Papst Franziskus, der zum Dialog mit dem Islam gesagt hat, dass die Öffnung der Tür über ein Vertrauen hinaus auch Achtsamkeit fordere. Was ist Ihr eigenes Fazit?
Nersinger: Ich bin ein Verfechter des Dialogs. Zwei Aspekte sind mir dabei sehr wichtig, die oft falsch verstanden werden. Das eine ist, dass ein Dialog kein sinnloses, beschönigendes Daherreden sein darf, sondern das offene und kritische Gespräch fordert. Das andere ist, dass für einen interreligiösen Dialog bestimmte Voraussetzungen gelten: Dafür haben die Päpste unisono das Bewusstsein für und das Festhalten an der eigenen Identität gefordert. Dazu gehört, dass man sich mit seinem Glauben beschäftigt, sich in ihm auskennt und auch zu ihm steht, sonst ist der Dialog nicht sinnvoll. Das wird leider oft nicht beachtet. Aber wir sind gerade jetzt, wo so viele muslimische Flüchtlinge zu uns kommen, auf den Dialog angewiesen - und das auch in persönlichen Gesprächen.
Frage: Schon in Ihrem Vorwort schreiben Sie, dass Ihr Buch weder Verteidigungsrede noch Kampfschrift sein, sondern einen Beitrag zum Miteinander leisten soll. Warum glauben Sie, dass das Buch missverstanden werden kann?
Nersinger: Wenn man eine extreme Denkweise hat und sie nicht reflektiert oder bestimmte Stellen aus dem Kontext herausnimmt, kann das Buch natürlich missverstanden werden. Aber dafür war es nicht gedacht. Ich hoffe, dass die Leser das Buch als etwas Ganzes sehen und dass es den Dialog der Religionen befördert. Auch die aktuellen Ereignisse wie die Terroranschläge in Brüssel verlangen, dass man offen miteinander spricht.