Franziskus empfängt Karlspreis
Der Vorsitzende des Karlspreis-Direktoriums, Jürgen Linden, sagte bei der Verlesung der Urkunde in der Sala Regia des Apostolischen Palastes, Franziskus gebe "Mut und Zuversicht, Europa wieder zu dem Traum zu machen, den wir seit mehr als 60 Jahren zu träumen gewagt haben". Aachens Oberbürgermeister Marcel Philipp beklagte eine Erosion des kulturellen und moralischen Fundaments in Europa. Es sei ein "großes Glück", dass Franziskus ohne einen "Wohlstandsschleier" auf den in Widersprüche verzerrten Kontinent schaue.
Schulz: Europa verspielt sein Erbe
EU-Parlamentspräsident Martin Schulz sagte in einem Grußwort, Europa durchlebe eine "Solidaritätskrise". Der Kontinent laufe Gefahr, das Erbe von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Meinungsfreiheit und grenzüberschreitenden Zusammenarbeit zu verspielen. "Nationale Egoismen, Renationalisierung, Kleinstaaterei sind auf dem Vormarsch."
Jenen, die "25 Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs wieder Mauern und Zäune in Europa errichten" wollten, warf Schulz Geschichtsvergessenheit und Realitätsverweigerung vor. Damit gefährdeten sie "eine unserer größten europäischen Errungenschaften - die Freizügigkeit". Die gemeinsame Wertebasis gerate ins Wanken, so der Parlamentspräsident. "Jetzt ist es an der Zeit, für Europa zu kämpfen."
Franziskus mache dafür Hoffnung und erteile jenen Regierungschefs eine Lektion in gelebter Solidarität, "die sich weigern, muslimische Flüchtlinge aufzunehmen mit der Begründung, man sei ein christliches Land", sagte Schulz in Anspielung auf die Aufnahme muslimischer Familien im Vatikan.
EU-Kommissionpräsident Jean-Claude Juncker sagte, mit zwölf Flüchtlingen aus Lesbos habe der Vatikan gemessen an seiner Einwohnerzahl "mehr Menschen als jedes EU-Land" aufgenommen. Er appellierte an die Regierenden in Europa, zum Mut ihrer Vorgänger zurückzufinden. "Ein Rückzug in unsere eigene Behaglichkeitszone ist keine Lösung", so Juncker.
„Der Heilige Vater schaut [...] auf Europa und sieht klar und ohne den Wohlstandsschleier [...] unseren verzerrten und in Widersprüche verstrickten Kontinent.“
Franziskus erinnere daran, "dass wir unsere Verantwortung und unser gewaltiges Potenzial besser ausschöpfen können und müssen - für Flüchtlinge, für soziale Gerechtigkeit, für den Ausgleich zwischen Menschen und Völkern". An die "alten Europäer" appellierte Juncker: "Hört die Stimme von Papst Franziskus, wacht auf!"
Eine Kirche, die in ihrer Liebe radikal ist
EU-Ratspräsident Donald Tusk lenkte den Blick auf das Kirchenprofil unter Papst Franziskus. Das letzte Ziel von Politik und Religion sei nicht Macht, sondern "die Linderung von Leid und Unheil". Gläubige wie Nichtglaubende brauchten eine Kirche, die niemanden ausschließe; "eine Kirche, die auf Prunk verzichtet, um den Armen zu helfen; eine Kirche, in ihrer Liebe radikal ist und das Urteilen Gott überlässt". (KNA)