Wie man aus dem Glauben heraus mit der Informationsflut fertig wird

Die Seele schützen

Veröffentlicht am 29.07.2016 um 00:01 Uhr – Von Johanna Heckeley – Lesedauer: 
Glaube

Bonn ‐ Nachrichten von Unglücken und Terrorakten finden sich überall im Internet, im Fernsehen, auf dem Smartphone. Wie kann man das verarbeiten - und trotzdem nicht abstumpfen? Kann dabei der Glaube helfen?

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Für Wolfgang Sauer, geistlicher Direktor der Katholischen Journalistenschule ifp, gehört es zur Würde des Menschen, sich informieren zu können: "All das Belastende, das uns zur Zeit erschauern lässt, sollte uns nicht blind dafür machen, was für ein hoher Wert der Zugang zu Informationen ist." Die Sehnsucht, nichts verpassen zu wollen, sei demnach zunächst ein grundpositiver menschlicher Zug. Und: "Wichtige Meilensteine in der Geschichte der Menschheit sind durch neue Medien entstanden, die der Kommunikation und der Information gedient haben, wie zum Beispiel die Gutenbergsche Druckpresse." Doch die Informationsflut, gerade von traurigen oder schrecklichen Nachrichten, erfordere einen speziellen Umgang.

Wie bei einem reichhaltigen Buffet

Sauer schlägt Informationsfasten vor. "Angesichts der Unzahl an Informationen und Möglichkeiten, die wir heute durch die modernen Kommunikationsmittel haben, müssen wir uns über unsere eigenen Grenzen bewusst werden und uns nicht zu viel zumuten." Wie man an einem reichhaltigen Buffet nicht alles probieren könne, so müsse man auch bei Nachrichten Verzicht üben. "Wir können nicht alles wissen, was wissbar ist." So trage man zur eigenen seelischen Gesundheit bei. "Es ist mein gutes Recht, abzuschalten, wenn die Nachrichten zu schlimm und zu grausam werden, und mir nicht dauernd die 'Latest News' reinzuziehen."

Bild: ©KNA

Wolfgang Sauer ist Geistlicher Direktor des Instituts zur Förderung publizistischen Nachwuches (ifp) in München.

Um mit schlimmen Nachrichten umgehen zu können, schlägt Sauer eine "geistige Übung" vor, nämlich "die Nachrichten ins Gebet nehmen. Sich zurücknehmen und fragen, ob man für die Opfer und auch für die Täter schon gebetet hat." Auf diese Weise könne versucht werden, die Seele zu entlasten. Um die schlechten Nachrichten zu verarbeiten, solle sich jeder auch etwas Gutes tun, zum Beispiel, mit Freunden ein gutes Gespräch führen. "Das ist eine Medizin, um die Seele auszubalancieren, die viel mehr wirkt, als man es sich manchmal vorstellt." Wer sich darin übe, erwerbe für die Seele nach und nach eine Langzeitimmunisierung, "die uns auf der einen Seite sensibel macht und uns spüren lässt, wenn es zu viel wird, auf der anderen Seite Kondition aufbaut, um in Stresssituationen zu bestehen."

Sich zu informieren ist eine Pflicht

Sich den schlechten Nachrichten komplett zu verweigern, hält Sauer jedoch für falsch: "Wenn wir verantwortlich handeln wollen, müssen wir informiert sein. Das ist eine demokratische Grundpflicht." Doch wie findet man den Mittelweg? Ein Rezept gebe es nicht. "Jeder Mensch macht seine eigenen Erfahrungen, was ihm bekommt." Ein ganz wichtiger Bestandteil der menschlichen Existenz sei daher, zu beten, zu meditieren und auf seine Seelenkräfte achtzugeben. Das dürfe man nicht aus dem Blick verlieren. "Nicht umsonst sagt man ja oft: Pass gut auf dich auf".

"Das Bedrückende an schlechten Nachrichten ist für jeden erst einmal gleich, unabhängig vom Glauben", meint Joachim Frank, Chefkorrespondent der DuMont-Mediengruppe und Vorstandsvorsitzender der Gesellschaft Katholischer Publizisten Deutschlands. "Aber zum Beispiel beim Menschenbild kommt der Glaube sehr wohl ins Spiel: Gehe ich davon aus, dass jeder Mensch von Natur aus böse und damit ein potenzieller Attentäter ist, oder halte ich mich mit solch einem vorschnellen Urteil zurück, weil ich glaube, dass kein Mensch schlecht geboren wird?" Das positive christliche Menschenbild schließe Zorn oder sogar Hass auf Verbrecher, Gewalttäter und Terroristen nicht aus - zahlreiche Beispiele dazu fänden sich in der Bibel. "Aber dort gibt es immer den Vorbehalt, dass das Geschehen von der liebenden Hand eines guten Gottes getragen wird."

Joachim Frank
Bild: ©KNA

Joachim Frank ist Chefkorrespondent der DuMont-Mediengruppe und Vorstandsvorsitzender der Gesellschaft Katholischer Publizisten Deutschlands (GKP).

Schnell komme bei den aktuellen Nachrichten die Frage auf, wie ein allmächtiger und gütiger Gott so etwas zulassen könne. "Wir müssen aber einfach sehen, dass zur Freiheit des Menschen die Möglichkeit gehört, Böses zu tun." In solchen, schier unbegreiflichen Situationen könne es helfen, seine Gedanken und Gefühle Gott anzuvertrauen - in der Haltung: "Mein Vater, ich verstehe dich nicht, aber ich vertraue dir." Das rechtfertige nichts und schiebe die Verantwortung auch nicht auf den "lieben Gott" ab, "aber es ermöglicht Distanz zum Geschehen."

Der Glaube ist keine Ausflucht

Dennoch will Frank den Glauben nicht als Ausflucht verstanden wissen. "Ich lese in der Bibel nirgends, dass der Glaube eine Form wäre, der Wirklichkeit auszuweichen." Zwar liefere die Bibel keine Gebrauchsanweisung, die Reizüberflutung in einer Mediengesellschaft des 21. Jahrhunderts zu bewältigen. "Aber es gibt sehr wohl Beispiele im Leben Jesu, wie er mit schlechten Nachrichten umgeht." Auf die Nachricht von der Verhaftung und späteren Hinrichtung Johannes des Täufers hin zieht er sich mit seinen Jüngern zurück. Doch die Menschen folgen ihm. Er lässt sie nicht wegschicken, lehrt sie stattdessen und speist sie (Markus 6, 30ff). "Genau diese Haltung meine ich: dass man Distanz gewinnt, bei sich bleibt, aber nicht aus der Realität flieht", so Frank.

Eine Maßgabe, um die Balance zwischen Anteilnahme und Rückzug zu finden, sieht Frank in dem Gleichnis vom barmherzigen Samariter (Lukas 10, 25-37). Jesus erzählt von einem Samariter, der einem ausgeraubten und verletzen Fremden hilft und ihn versorgt. "Hier geht es um Nächstenliebe, die demjenigen gilt, der einem buchstäblich vor die Füße fällt." In dieser auf räumliche Nähe fokussierten Perspektive sei eine Differenzierung erlaubt, welche Not man an sich heranlässt - ohne sich den Vorwurf gefallen lassen zu müssen, dass das Ferne weniger wichtig sei. "Das ist eben genau die Frage: Wer ist mein Nächster? Emotionale und räumliche Nähe sind ein Faktor, der Mitgefühl und Anteilnahme stark beeinflusst." Eine Fragestellung, mit der er in seiner journalistischen Arbeit oft in Berührung komme, die aber auch für die Nachrichtenleser von Bedeutung sei: "Würde der Mensch nicht differenzieren, könnte ihn das überfordern. Er würde vor lauter Mitleid vielleicht sogar verrückt."

Linktipp: "Gründlichkeit vor Schnelligkeit"

Zu voreilig, zu wenig Fakten: Kurz nach dem Attentat von München wird über die Berichterstattung debattiert. Christian Schicha, Professor für Medienethik, sieht die Verantwortung nicht nur bei den Medien.
Von Johanna Heckeley