Staatsrechtler Wittreck zur Zukunft des Reichskonkordats

"Kirchenprivilegien sind nicht zu halten"

Veröffentlicht am 21.07.2013 um 00:00 Uhr – Lesedauer: 
Gesellschaft

Münster ‐ Der Abschluss der völkerrechtlichen Vereinbarung zwischen der katholischen Kirche und dem Deutschen Reich, das sogenannte Reichskonkordat, jährt sich am 20. Juli zum 80. Mal. Der Staatskirchenvertrag mit dem Vatikan ist auch in der Bundesrepublik gültig. Staatsrechtler Fabian Wittreck vom Exzellenzcluster "Religion und Politik" der Universität Münster sieht keinen Anlass, an der Vereinbarung etwas zu ändern. Im Interview sagt er aber Anpassungen im Verhältnis des Staates zu den großen Kirchen voraus.

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Frage: Herr Wittreck, begriffe aus dem Reichskonkordat wie "Völkische Minderheiten" lesen sich in der heutigen Zeit etwas merkwürdig. Gibt es da keinen Anpassungsbedarf?

Fabian Wittreck: Nein. Wir haben an vielen Stellen in Verfassungen und Gesetzestexten veraltete Formulierungen. Das Konkordat von 1933 antwortet historisch natürlich auf andere Fragen, die wir uns heute so nicht stellen. In der Hessischen Landesverfassung steht auch noch eine Bestimmung zur Todesstrafe. Trotzdem wird sie nicht angewendet. Für eine Überarbeitung des Reichskonkordats gibt es keinen Bedarf. Den hätten wir nur, wenn wir heute deshalb für etwas zahlen müssten. Normen, die keine Folgen haben und die nicht missbrauchsanfällig sind, müssen nicht geändert werden.

Unterzeichnung des Reichskonkordats am 20. Juli 1933 im Vatikan.
Bild: ©Bundesarchiv

Franz von Papen (2. von links) und Eugenio Pacelli (am Kopfende sitzend) unterzeichneten am 20. Juli 1933 im Vatikan das Reichskonkordat zwischen dem Vatikan und Nazi-Deutschland.

Frage: Aber über das Verhältnis von Kirche und Staat wird doch immer wieder diskutiert?

Wittreck: Das stimmt, besonders macht uns das Arbeitsrecht beim Arbeitgeber Kirche Sorgen . Da geht es - angestoßen durch das Europarecht - um Antidiskriminierung, aber auch um den Rechtsschutz vor staatlichen Gerichten. Und natürlich haben wir die Frage, ob die weitgehenden Privilegien der großen christlichen Kirchen so bestehen bleiben können. Aufgrund der wachsenden Vielfalt an Religionen in der Bevölkerung, etwa der Muslime, werden sie sich so nicht mehr halten lassen. Die konkrete Anwendung des Religionsrechts muss sich noch stärker auf die Folgen der religiösen Pluralität einstellen. Das Religionsverfassungsrecht ist zwar auf dem Papier dafür gut gerüstet. In der Praxis wird es aber noch nicht entsprechend angewandt. Da haben die Kirchen in Zukunft große Umbrüche zu erwarten. Sie können nicht mehr selbstverständlich mit einer Rechtsauslegung zu ihren Gunsten rechnen.

Frage: Welche Folgen hat das konkret?

Wittreck: Ich glaube nicht, dass sich zum Beispiel der Feiertagsschutz mit dem Verbot von Tanzveranstaltungen und Konzerten noch lange wird halten können. Es wird vielleicht rund um Kirchen befriedete Bezirke geben, um Raum für Stille zu haben. Aber kein Christ hat einen Anspruch darauf, dass alle anderen auch still sein müssen. Hier geht es um Verstöße gegen das Gebot gleicher religiöser Freiheit.

Frage: Die Linke hat im Bundestag das Reichskonkordat in einem Gesetzentwurf, in dem es um die Abschaffung von Staatsleistungen an die Kirchen ging, als umstritten bezeichnet.

Wittreck: Das ist richtig. Es geht dabei allerdings um etwas anderes. Der deutsche Staat hat seit 95 Jahren den Verfassungsauftrag, die Staatsleistungen, im Kern sind das Entschädigungszahlungen für Enteignungen aus der Zeit der Säkularisation, abzuschaffen. Das haben wir aus der Weimarer Reichsverfassung in das Grundgesetz übernommen. Da sollten wir endlich herangehen. Wir haben diesen Verfassungsauftrag. Aber wir verschweigen ihn seit 95 Jahren.

Der Interview führte Von Carsten Linnhoff (dpa)

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