Das Amt des "Papa emeritus" bleibt umstritten
Es geht um das Oberhaupt von rund 1,3 Milliarden Katholiken weltweit, um jahrhundertealte Traditionen - und um die Macht der Bilder im Medienzeitalter. Im Zentrum steht die Frage: Wie umgehen mit einem Papst, der zu Lebzeiten zurücktritt? Benedikt XVI. wagte diesen Schritt vor nunmehr fünfeinhalb Jahren - als erster Papst der Neuzeit. Seither trägt er den Titel eines "Papa emeritus" - und weiter Weiß.
Kritikern wie dem Kirchenhistoriker und Kurienkardinal Brandmüller schmeckt die Sache nicht. "Den "Papa emeritus' als Figur gibt es nicht in der ganzen Kirchengeschichte", sagte er der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". "Und dass ein Papst jetzt hergeht und eine zweitausendjährige Tradition umstößt, das hat nicht nur die Kardinäle total überfahren."
Der Kritisierte reagierte in einem persönlichen Schreiben, das die "Bild"-Zeitung Ende September veröffentlichte. Rücktritte seien - "wenn auch äußert selten" - in der Kirchengeschichte durchaus vorgekommen. "Was waren sie hernach? Papst emeritus?", so Benedikt XVI. "Wenn Sie einen besseren Weg wissen und daher glauben, den von mir gewählten verurteilen zu können, so sagen Sie es mir bitte."
Situation zu gefährlich
Als Beispiel für einen freiwilligen Papstrücktritt gilt Coelestin V., der im Dezember 1294 nach nur sechs Monaten sein Amt aufgab. "Er wollte danach wieder als Mönch und Eremit in sein Kloster in den Abruzzen zurückkehren", so der Wiener Theologe Thomas Prügl. Coelestins Nachfolger Bonifaz VIII. habe die Situation allerdings als zu gefährlich erachtet. "Radikale Gruppen hätten sich des abgetretenen Papstes bemächtigen und ein Schisma provozieren können." Konsequenz: Der zurückgetretene Papst wurde auf einer Burg südlich von Anagni unter Hausarrest gestellt, wo er 1296 starb.
"Alle anderen römischen Bischöfe wurden aus dem Amt gedrängt, in Kontroversen teils getötet, verstümmelt oder verbannt", sagt der Aachener Historiker Harald Müller, ein Spezialist für die Gegenpäpste, die vor allem im Mittelalter eine Rolle spielten. In einigen Fällen seien die überwundenen Konkurrenten mit hohen Kirchenämtern abgefunden worden.
Müller verweist auf Gegenpapst Felix V., der 1449 päpstlicher Legat und Kardinalbischof wurde. Gregor XII. ließ nach fast zehnjährigem Pontifikat 1415 auf dem Konzil von Konstanz seinen Rücktritt erklären, um eine fast 40 Jahre währende Kirchenspaltung zu beenden. Er nahm daraufhin wieder seinen Taufnamen Angelo Correr an und wurde zum Ausgleich, ähnlich wie Felix V., zum Kardinalbischof von Porto und päpstlichen Legaten auf Lebenszeit ernannt.
Um den Amtsverzicht beziehungsweise -verlust sinnfällig zu machen, gab es die sogenannte Devestitur, wie Müllers Kollegin Christiane Laudage in ihrem Buch über Gegenpäpste 2012 schildert: Die betreffenden Kirchenmänner legten Amtskleidung und Insignien ab. Aus der Tiefe der Geschichte zeichnet sich zumindest ein mögliches Gegenmodell zum "Papa emeritus" ab: eine Rückkehr in den Kardinalsstand und der Verzicht auf die weiße Kleidung.
Diese Variante hat offenbar auch Benedikt XVI. erwogen. Pius XII. habe für den Fall einer Verhaftung durch die Nationalsozialisten schriftlich hinterlegt, dass er von diesem Augenblick an nicht mehr Papst sei, sondern wieder Kardinal, wie er an Brandmüller schreibt. Für sich selbst jedoch, so Benedikt XVI., habe er einen solchen Schritt ausgeschlossen, weil er dann der Öffentlichkeit zu sehr ausgesetzt wäre.
Ob es eine solche Anweisung von Pius XII. gab, lässt sich aus den bisher zugänglichen Archivquellen nicht belegen, betont der Augsburger Kirchenhistoriker Jörg Ernesti. Paul VI., von 1963 bis 1978 im Amt, habe "sehr mit sich gerungen, ob er zurücktreten soll, falls seine Kräfte nicht mehr ausreichen". Das belegten persönliche Zeugnisse.
Offenkundiger Fremdkörper in der Kirche
Im Kirchenrecht ist geregelt, dass ein Amtsverzicht frei geschieht und "hinreichend kundgemacht" wird. Ein "Papa emeritus" finde sich dort nirgends, sagt der Münsteraner Kirchenrechtler Thomas Schüller. Es handle sich dabei um einen "offenkundigen Fremdkörper in der römisch-katholischen Kirche", der nur durch einen amtierenden Papst, das Bischofskollegium oder ein Konzil ins Kirchenrecht eingebaut werden könne. Dann allerdings sollten, fordert Schüller, auch Dinge wie Kleidung oder Anrede festgelegt werden.
Die Konstruktion des "Papa emeritus" bleibt umstritten - obwohl der amtierende Papst Franziskus sie ausdrücklich begrüßt hat. Der Zusatz "emeritus" erinnert manchen Beobachter eher an einen Professor im Ruhestand als an einen gewesenen Papst. Und dass Benedikt XVI. aus der Öffentlichkeit verschwunden wäre, stimmt auch nicht so ganz. Ob Interviewbuch ("Letzte Gespräche") oder Aufsatz für eine Fachzeitschrift: Die Zahl der Wortmeldungen des Alt-Papstes ist überschaubar, aber eben nicht gleich Null.
Antworten, wie künftig mit einem Papstrücktritt umzugehen ist, stehen noch aus. Ebenso wie auf die Frage, wer den vor einem Jahr verfassten Brief von Benedikt XVI. an Brandmüller an die Öffentlichkeit durchgestochen hat.