Ein Tag mit Bischof Stefan Oster
Einen weiten Weg in sein Büro hat Stefan Oster nicht. Das Bischofshaus liegt am Domplatz 4, sein Arbeitszimmer um die Ecke im Ordinariat am Domplatz 7. An diesem trüben Dezember-Morgen will es draußen nicht so richtig hell werden, die Buden des Christkindlmarkts sind noch geschlossen. Das herrschaftliche Weiß des Doms auf der anderen Seite des Platzes hat noch einen leicht bläulichen Schimmer.
Es ist 9 Uhr. Drinnen im Ordinariat sind die Räume hell erleuchtet. Gerade hat der Passauer Oberhirte seine schwarze Jack-Wolfskin-Winterjacke und den grauen Schal über seinen Schreibtischstuhl gehängt. Der Start heute ist der eines durchschnittlichen Arbeitstags: Nach Laudes, Eucharistischer Anbetung und Frühstück in der Bischofs-WG steht wie jeden Morgen die Dienstbesprechung mit dem persönlichen Referenten Thomas Weggartner an: Mehrere Termine im Büro stehen im Kalender, ein Besuch in einem Altenstift und einer auf dem Weihnachtsmarkt, abends dann das Gebet mit Jugendlichen.
10 Uhr: Seelsorgeamtsleiter Hans Bauernfeind und Referentin Ingrid Wagner klopfen an die Tür. Sie sind mit dem Thema Neuevangelisierung im Bistum befasst und berichten über den neuesten Stand. "Wir brauchen einen Fahrplan zur Neuevangelisierung nicht nur auf Bistumsebene, sondern auch in den einzelnen Gemeinden", meint Ingrid Wagner. Oster und Bauernfeind nicken.
Den Begriff "Neuevangelisierung" mag der 52-jährige Bischof zwar eigentlich nicht – in der kirchlichen Debatte schwingt hier ja auch Negatives mit. Inhaltlich ist die Neuevangelisierung neben der Jugendarbeit aber DAS Thema, das sich wie ein roter Faden durch Osters bischöfliches Wirken zieht: "Die Kirche durchläuft gerade einen riesigen Transformationsprozess. Die Frage, wie wir den Glauben weitergeben können, ist existentiell. Wenn wir darauf keine plausiblen Antworten finden, dann gibt es in ein paar Jahrzehnten dieses Büro vielleicht nicht mehr", ist Oster überzeugt. Die Menschen würden nicht mehr "automatisch" in das Christsein hineingeboren. Wer heute glaube, für den sei das eine aktive Entscheidung, meint er. Und ein zweiter Aspekt ist ihm wichtig: "Wie kann man den Menschen von heute, die schon da sind, auch helfen zu bleiben, wenn sich Kirche so verändert?", fragt Oster — und gibt sich die Antwort selbst: "Dafür braucht es eine wirklich erlebte Erfahrung des eigenen Glaubens und Gemeinschafsformen, die tragen."
Um die Neuevangelisierung im eigenen Bistum voranzubringen, hat Oster nach seinem Amtseintritt vor dreieinhalb Jahren eine bischöfliche Kommission gegründet, eine Art Querschnittsgremium mit 25 Mitgliedern, im dem sich die verschiedenen Akteure im Bistum gegenseitig auf dem Laufenden halten. Es gibt aber auch ganz konkrete Projekte: Etwa die sogenannten Alpha-Kurse, die Grundlagen des christlichen Glaubens vermitteln. Die Initiative "10 für 10" ruft dazu auf, täglich zehn Ave Maria (ein Gesetz des Rosenkranzes) für die zehn Dekanate des Bistums zu beten. Und in der Barbara-Kapelle, gelegen am Domplatz 4a, fand im Advent neun Tage lang eine ununterbrochene, 24-stündige eucharistische Anbetung statt. Im Februar dann bietet das Bistum sogar einen Studientag zur Neuevangelisierung für die eigenen Mitarbeiter und alle Interessierten an. "Geistliches Wachstum, persönliche Freundschaft mit Christus, Jüngerschaft – darum geht es bei der Neuevangelisierung", sagt Bischof Oster. "Hier um den Domplatz herum arbeiten so viele Leute im Ordinariat — auch für sie ist es gut, sich immer wieder zu vergewissern, dass sie nicht einfach nur für die Kirche arbeiten, sondern zuerst für Jesus".
11 Uhr: Um die aktive Weitergabe des Glaubens geht es auch beim Treffen mit Jugendpfarrer Wolfgang de Jong und seinen Mitarbeiterinnen vom Ministrantenreferat. Sie stellen das Jahresprogramm der Minis für 2017 vor. Der Bischof hört zu, fragt nach, es wird gelacht. Highlight ist die Wallfahrt im Sommer nach Rom, die nur alle vier Jahre stattfindet. "Des wird schön", meint Oster.
12 Uhr: Am Mittag steht der erste Termin außerhalb des Ordinariats an: Eine junge Familie hat als Teil des lebendigen Adventskalenders der Lokalzeitung "Passauer Neue Presse" ein Treffen auf einen Glühwein mit dem Bischof gewonnen. Der zieht sich die Jacke über das schwarze Sakko, schnappt sich mit einen Schoko-Nikolaus als Geschenk und macht sich auf den Weg vor die Tür. Dort warten Stephanie Fürst-Bogner, ihre Schwester Alexandra Strauß und deren Sohn Jakob. Oster nimmt die drei in das Schlepptau, geht zum Stand mit dem fair gehandelten Glühwein und gibt allen eine Runde aus. Der 8-Jährige Jakob bekommt einen Kinderpunsch. Er hat vom Nikolaus ein Jonglierset geschenkt bekommen. Das trifft sich gut, denn Jonglieren kann Stefan Oster auch. Er gibt dem Jungen Tipps, wie er das nicht nur mit zwei, sondern auch drei Bällen hinbekommt. "Ich war früher mal ein Clown", erzählt der dem ungläubig dreinblickenden Jakob. Oster lacht. "Ja, ich war früher sowieso einmal ein ganz schöner Hirsch". Tatsächlich hat der heutige Bischof im Vergleich zu manch anderem Geistlichen eine geradezu "wilde" Vergangenheit. Erst mit 30 trat er in das Noviziat der Salesianer Don Boscos ein, vorher war er Zeitungs- und Radioredakteur, hatte eine Freundin. Auch im Bischofsornat jongliert er noch ab und zu. "Lustig schauen und gscheit daherreden fiel mir noch nie so schwer", sagt er über sich selbst. "Sie könnten doch mal eine Veranstaltung hier auf dem Christkindlmarkt moderieren", schlägt die Redaktuerin der Lokalzeitung vor, die einen Bericht über den Weihnachtsmarkt-Besuch schreibt.
Oster winkt ab und verabschiedet sich zum Mittagessen in seine WG. Zu seinem Amtsantritt hat er das bischöfliche Haus umbauen lassen. Nun teilt er sich mit drei Frauen — alle drei arbeiten selbst für die Kirche. Ob er auch ab und an mal dran ist mit Kochen? "Nein, nie. Aus Ermangelung an Talent. Aber ich bin der Müllbeauftragte", lacht er. Die für einen Bischof doch eher ungewöhnliche Lebensform erklärt er so: "Ich würde allein schon zurechtkommen. Aber ich weiß, dass ich auf Dauer komisch würde." Als Ordensmann begreift er die WG nicht nur als Wohnort, sondern auch als Gemeinschaft mit einem gemeinsamen geistlichen Leben.
13:45 Uhr: Nach dem Mittagessen geht es ins Malteserstift St. Nikolaus, das heute, am 6. Dezember sein Patrozinium feiert. Aus dem Zimmer von Gertrud Kuppler dringt Gelächter. "Sie sehen gut aus", sagt der Bischof zu der alten Dame. "Und sie erst", kontert die. Die Bewohner des Altenstifts haben auf den Besuch ihres Bischofs hingefiebert und der übertrifft ihre Erwartungen. Drei Stunden nimmt er sich Zeit, zuerst eine Eucharistiefeier, zum Schluss ein gemeinsames Kaffetrinken. Dazwischen geht der Bischof geduldig von Zimmer zu Zimmer, spricht jeden einzelnen mit Namen an, schüttelt den Menschen die Hand, findet nahezu bei jedem einen persönlichen Anknüpfungspunkt, fragt höflich, ob er den Segen erteilen darf. Der Zeitplan gerät durcheinander. Wieviele Hände der Bischof am Ende gedrückt, wieviele Menschen er umarmt und gesegnet hat, ist schwer zu schätzen. Vierzig oder fünfzig waren es aber bestimmt, meint Hausleiterin Claudia Hartinger. "Die Bewohner tauen richtig auf". Als Oster einem Mann, dem das Reden schwer fällt, einen Nikolaus in die Hand drückt, nimmt der den Daumen hoch. Claudia Hartinger guckt überrascht. "Dieser Mann lässt sich sonst von niemandem anfassen. Der zeichnet auf den Boden immer symbolisch eine Art Sicherheitsabstand".
Ohne Zweifel: Dieser Hirte nimmt den Geruch seiner Herde an, ganz so wie Papst Franziskus es fordert. Auf Menschen zuzugehen, sie mit einer offenen Art einzunehmen, mit ihnen zu lachen, das ist ein Talent von Bischof Oster. Nicht zu scherzen ist mit ihm jedoch, wenn es um den Glauben, um dessen Bewahrung und Verkündigung geht. Frauenpriestertum, die allgemeine Zulassung von Wiederverheirateten zur Kommunion, eine Lockerung des Zölibats: All diesen Überlegungen erteilt der Bischof eine Absage. Auf die Frage, ob so nicht auch einige Menschen für den Glauben verloren gingen, stellt er die rhetorische Gegenfrage: "Ja, soll ich denn das Evangelium verwässern?"
Mit dieser Haltung eckt er auch an. Als der in einem konservativen Ruf stehende Oster vor etwa einem Jahr Jugendbischof wurde, gab es zwischen ihm und dem BDKJ zunächst Diskussionen. Inzwischen gebe es einen guten Austausch, sagt Oster. Aber auch in der Jugendarbeit ist ihm der Kern des Glaubens besonders wichtig: "Meine Frage an die Verbände und die ganze Kirche ist einfach: Stellen wir den Jesus des Evangeliums noch in den Mittelpunkt? Oder geht das im Alltag vielleicht manchmal unter? Kurz gesagt: Ist da, wo Kirche drauf steht, auch wirklich Glaube drin?"
Genau diese Fragen stellte Oster zu Beginn seiner Amtszeit auch seinem Ordinariat. "Ich habe hier eine gut funktionierende Verwaltung vorgefunden. Mir wurde gesagt, es hätte auch noch ein, zwei, Jahre ohne Bischof weitergehen können, es funktioniere ja alles". Daher habe man habe sich jemanden gewünscht, der geistlich vorangehe, so Oster. "Das möchte ich auch. Freilich: Wenn man dann von Erneuerung, von Bekehrung, von persönlicher Christusbeziehung spricht, dann macht man sich nicht nur Freunde. Ich erinnere mich zum Beispiel an einen gestandenen Priester, der gefragt hat, ob er bisher alles falsch gemacht habe". Es gehe ihm aber nicht darum, alles bisherige infrage zu stellen, sondern auch im Alltag und in der Routine Jesus als zentrale Figur nicht in den Hintergrund treten zu lassen.
17:45 Uhr: Am Abend findet der Bischof Zeit, seiner eigenen Spiritualität nachzugehen. Zusammen mit einer kleinen Gruppe von etwa zehn Gläubigen hat er sich in der kleinen Barbara-Kapelle direkt neben dem Bischofshaus eingefunden. Sie beten die Vesper, anschließend verharren alle noch eine halbe Stunde in Stille vor der ausgestellten Monstranz.
19:30 Uhr: Bischof Oster hat seine Straßenschuhe gegen Hausschuhe gewechselt und sitzt in einem gemütlich eingerichteten Raum seines Bischofshauses in einer Gruppe von acht jungen Leuten. Angeregt diskutieren sie über die Gestaltung des neuesten Plakats für "Believe and Pray". "BnP" ist das Konzept für einen frommen Gebetsabend, den Oster zusammen mit einigen jungen Leuten organisiert. Jeden zweiten Sonntag sind dazu Menschen zwischen 15 und 35 Jahren zu Lobpreis, einem Vortrag und anschließender Diskussions- und Fragerunde eingeladen. "Wir schreiben einfach nur ganz wenig konkrete Infos auf das Plakat. Dann entsteht eine Art Vakuum und die Leute müssen einfach kommen, werden quasi angesogen", hofft ein junger Mann.
20:30 Uhr: Die Gruppe hat sich zum Lobpreis bei Kerzenschein in der Kapelle versammelt. Begleitet von einer Gitarre singen sie geistliche Lieder. Manche breiten die Arme aus, einige formulieren ihre Bitten laut zwischen den einzelnen Liedern. Oster steht ganz vorne, zwischendurch kniet er auf der Erde. Auch er singt, den Blick Richtung Altarraum gerichtet. "Komm und lobe den Herrn, meine Seele sing, und bete den König an. Sing wie niemals zuvor, nur für ihn, und bete den König an", lautet die Textzeile. Na klar: So steht Jesus, so steht Gott für den Bischof auch am letzten Termin dieses Tages voll im Mittelpunkt.