Serie: Propheten im Alten Testament

Habakuk: Wo der gewalttätige Gott zum Retter wird

Veröffentlicht am 29.09.2018 um 13:11 Uhr – Lesedauer: 

Bonn ‐ Auf Habakuks Verzweiflung antwortet Gott, und aus dem Dialog entwächst die Botschaft seines Buches: Vor der unterdrückenden und lebensbedrohenden Gewalt in der Welt rettet allein das gewaltfreie Vertrauen auf Gott. Die Grundlage für dieses Vertrauen ist jedoch ein gewalttätiges Gottesbild. Wie passt das zusammen?

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Der Prophet Habakuk versteht sich nicht als Sprachrohr Gottes, sondern als klagender Beter, der Antworten verlangt. In der Welt, in der er lebt, herrscht Gewalt. Gott selbst antwortet auf Gewalt mit Gewalt – gegen sein eigenes Volk und gegen dessen Feinde. Durch dieses Leid hindurch erklingt die Stimme des Propheten: "Ich schreie zu dir [Gott]: Hilfe, Gewalt! Aber du hilfst nicht." (Habakuk 1,2). Auf seine Verzweiflung antwortet Gott und aus dem Dialog entwächst die Botschaft seines Buches: Vor der unterdrückenden und lebensbedrohenden Gewalt in der Welt rettet allein das gewaltfreie Vertrauen auf Gott. Die Grundlage für dieses Vertrauen ist jedoch ein gewalttätiges Gottesbild.

Habakuk beschreibt die Verrohung der israelitischen Gesellschaft, in der Gottes Gesetze und die darin grundgelegte Gerechtigkeit bedeutungslos geworden sind: "Wohin ich blicke, sehe ich Gewalt und Misshandlung, erhebt sich Zwietracht und Streit." (Habakuk 1,4). Derjenige, der auf Gott vertraut und sich an seine Weisungen hält, ist der Ungerechtigkeit schutzlos ausgeliefert. Gottes Antwort auf diese Klage ist die Ankündigung des Gerichts durch ein anderes Volk: "Denn seht, ich stachle die Chaldäer auf, das grausame, ungestüme Volk, […]. Sie rücken an, entschlossen zu roher Gewalt […]." (Habakuk 1,6.9). Die aus Babylonien herannahenden Chaldäer hatten 605 v. Chr. in der entscheidenden Schlacht bei Karkemisch, im heutigen Grenzgebiet zwischen der Türkei und Syrien, das assyrische Großreich endgültig besiegt und die es unterstützenden ägyptischen Streitmächte vernichtet. Das sogenannte Neubabylonische Reich dominierte fortan den Vorderen Orient, eroberte 597. Chr. Jerusalem und zerstörte den Tempel.

Der Prophet Habakuk spricht mit Gott
Bild: ©picture alliance/akg-images/Jean-Claude Varga

Der Prophet Habakuk beschwert sich bei Gott über die Streitigkeiten der Menschen. Neben ihm kämpfen zwei Männer miteinander. Eine Buchmalerei aus der "Historia Scholastica" des sogenannten Pierre Le Manguer (Petrus Comestor), frühes 14. Jahrhundert.

Die über das Gottesvolk nun von außen hereinbrechende Gewalt, beklagt Habakuk als unverhältnismäßige Kollektivstrafe Gottes, die nicht unterscheidet zwischen Gerechten und Frevlern: "Warum behandelst du die Menschen wie die Fische im Meer, wie das Gewürm, das keinen Herrn hat?" (Habakuk 1,14). Gottes Antwort und das theologische Zentrum des Buches ist die Zusage, dass in der Zukunft alle Gewalttätigen vernichtet werden: "Wer nicht rechtschaffen ist, schwindet dahin, der Gerechte aber bleibt wegen seiner Treue am Leben." (Habakuk 2,4) – wann sich dies verwirklichen wird, lässt die Antwort Gottes nicht nur offen, sondern deutet auch an, dass sich die Verwirklichung verzögern kann. Mit diesem Kontrast zu der von Habakuk beschriebenen Welt endet der erste Teil des Buches (Habakuk 1,2-2,4). Indirekt verurteilt Gott die überbordende Gewalt der Chaldäer, die er selbst als Strafwerkzeug gegen sein Volk gesandt hatte. Zugleich sind das Urteil und die im zweiten Teil erklingenden Wehrufe nicht nur gegen sie gerichtet, sondern gegen alle Mächtigen, die raff- und matchgierig, brutal und schrankenlos gewalttätig handeln (Habakuk 2,5-17).

Es geht um das Überleben der friedfertigen Gerechten

Nach einer kurzen Rede gegen Götzendienst antwortet Habakuk auf Gottes Zusage, dass die Gerechten vor der Gewalt gerettet werden, mit einem Psalm, der das Kommen Gottes zum Weltgericht erbittet und es beschreibt (Habakuk 3,1-19). Seine Anklagen gegen Gott münden somit in einen Lobpreis auf den Gott, der "voll Zorn" in die Welt eintritt, um sein Volk, die Gerechten, zu retten: "Voll Zorn schreitest du [Gott] über die Erde, in deinem Groll zerstampfst du die Völker. Du ziehst aus, um dein Volk zu retten, um deinem Gesalbten zu helfen." (Habakuk 3,12-13). Die Gewissheit, dass Gottes Gewalt sich gegen die Gewalttätigen richten wird, findet Habakuk am Ende seines Buches sowohl einen Grund zum Erschrecken als auch zur Gelassenheit. Der gewaltbereite und gewalttätige Gott wird im Verlauf des Buches für den der Gewalt abgeneigten Propheten zum gepriesenen Gott, "meinem Retter". Aus der Perspektive des Buches Habakuk geht es dabei um das Überleben der friedfertigen Gerechten in einer konkreten, bedrohlichen, geschichtlichen Situation.

Rubrik: Unsere Bibel

Im Grunde ist schnell erklärt, was die Bibel ist: Die anerkannten Schriften von der Erschaffung der Welt bis zur Entstehung der ersten christlichen Gemeinden. Allerdings greift die Erklärung zu kurz. Unsere Rubrik bündelt aktuelle und zeitlose Artikel über die Bibel.

Auch nach dem Untergang des Neubabylonischen Reiches blieb das Buch Habakuk relevant. Seine zentrale Zusage ist zeitunabhängig und zugleich in der Auslegung umstritten: "Wer nicht rechtschaffen ist, schwindet dahin, der Gerechte aber bleibt wegen seiner Treue am Leben", so wird Habakuk 2,4b in der revidierten Einheitsübersetzung wiedergegeben. In der Lutherbibel von 2017 hingegen wird ein anderer Grund für das Überleben der Gerechten angeben: "[…], der Gerechte aber wird durch seinen Glauben leben." Das in beiden Übersetzungen unterschiedlich wiedergegebene hebräische Wort ist אמונה (gesprochen: emunah). Es bedeutet sowohl "Glauben" als auch "Treue", "Standhaftigkeit" und "Vertrauen".

Der Apostel Paulus deutete das Wort als Gegensatz zu dem Glauben, dass die Einhaltung des alttestamentlichen Gesetzes zum Heil führt: "Dass aber durch das Gesetz niemand vor Gott gerecht gemacht wird, ist offenkundig; denn: Der aus Glauben Gerechte wird leben." (Galater 3,11). Glaube ist für Paulus vor allem Glaube an Jesus Christus und in diesem Licht deutet er den Halbvers des alttestamentlichen Prophetenbuches. Auch im jüdischen Talmud findet sich eine ähnliche Deutung. Habakuk habe alle alttestamentlichen Gesetze in der Forderung, an den einen Gott zu glauben, zusammengefasst: "Habakuk kam und brachte die 613 Gebote auf eins, denn es heißt: 'Aber der Gerechte wird durch seine Treue leben'." (Traktat bMakkot 24a). Aus der jüdischen Perspektive ist der Glaube jedoch der Beginn der Einhaltung der Gesetze Gottes: Glaube bedeutet Treue zu den alttestamentlichen Gesetzen als Willen Gottes.

Von Till Magnus Steiner