Dorfmusik und Weltkultur
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Die kleine Kirchenorgel röchelt und jammert unter den Fingern der seit Jahren pensionierten Kindergärtnerin. Dass sie erst vor kurzem von Schimmel befreit und totalsaniert wurde – die Orgel – hört man kaum. Und die Melodie des Liedes, das laut Anzeige "Tochter Zion" sein soll, hört sich beim Vorspiel eher nach "Wir sind nur Gast auf Erden" an.
Über 50.000 Orgeln gibt es in Deutschland. Orgelbau und Orgelmusik hierzulande sind von der UNESCO jetzt zum Weltkulturerbe erklärt worden. Die meisten dieser Instrumente stehen aber nicht wohltemperiert in einer Kathedralkirche oder gar in der Elbphilharmonie, hochkulturell bis an die Registergrenzen ausgespielt. Sondern in Dorfkirchen auf zugigen Orgelemporen. Gespielt werden sie oft von neben- und ehrenamtlichen Kirchenmusikern mit oder ohne Talent und C-Examen. Ob die Leute dann dazu singen können oder nicht, steht ohnehin auf einem anderen Blatt.
Aber genau diese Orgeln bei Ihnen und mir um die Ecke und ihre Organisten liefern den Grundton für die Auszeichnung der UNESCO. Denn der dramatische Graben zwischen Evangelium und Kultur, den Paul VI. in "Evangelii nuntiandi" beklagt, wird, wenn überhaupt, von unten zugeschüttet, in den alltäglichen Gottesdiensten und der Chorprobe des Gemischten Chors von St. Pankratius. Es geht – um es im Advent noch etwas frömmer zu sagen – um die inkarnatorische Kraft des Evangeliums in die Kultur hinein. Wenn Gott sich tatsächlich auf Elend und Glanz des Menschlichen einlässt, dann gehören dazu auch Silbermann-Orgeln und Bachs Präludium und Fuge D-Dur, aber doch zuerst die weniger glänzenden Werke, Instrumente und Organisten und ihre musikalische Verkündigung.
Dass den ehrenamtlichen Organisten und den durchschnittlichen Instrumenten Aufmerksamkeit, Wertschätzung, gute Qualifizierung und Pflege zukommen muss, ist eine wichtige Aufgabe vor allem der Diözesen und Landeskirchen. Dieser Auftrag geht tatsächlich von der UNESCO-Auszeichnung aus. Und wohl auch der, die untalentierte pensionierte Hobby-Organistin an der kleinen Kirchenorgel endlich mit einem dicken Blumenstrauß in den kirchenmusikalischen Ruhestand zu verabschieden.