Warum im Kolosseum des Leidens Jesu gedacht wird

Kreuzweg am falschen Ort

Veröffentlicht am 14.04.2017 um 13:00 Uhr – Lesedauer: 
Ein Kreuz steht vor dem Kolosseum
Bild: © KNA
Karfreitag

Bonn ‐ Am Karfreitag wird im Kolosseum in Rom traditionell der Kreuzweg gebetet. Dabei hat sich bis heute sehr viel verändert. Die Kreuzwegmeditationen werden in diesem Jahr von einer Frau geschrieben.

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Einst wurden im Amphitheatrum Flavium – dem Kolosseum – blutige Schauspiele aufgeführt zur Belustigung der Massen. Fast zwei Jahrtausende später kommen am größten der antiken Amphitheater jedes Jahr Tausende zusammen, um eines Todes zu gedenken: beim Kreuzweg am Karfreitagabend. Doch warum versammeln sich Papst und Gläubige ausgerechnet an diesem Schauspielhaus der Antike und nicht an einem der zahlreichen christlichen Orte Roms? Ein Blick in die Geschichte erklärt es.

Gladiatorenkämpfe und Tierjagden

Erbaut wurde das Kolosseum ab dem Jahr 72 nach Christus unter den Kaisern Vespasian und Titus, deren Familie, die Flavier, dem monumentalen Bauwerk ihren Namen gaben. Es wurde nicht nur das größte Gebäude seiner Art, sondern wahrhaft eine Ikone des antiken Rom. Bis zu 50.000 Menschen konnten bei freiem Eintritt die blutrünstigen Gladiatorenkämpfe und Tierjagden in der ovalen Arena verfolgen. Diese Funktion erfüllte das Theater über Jahrhunderte hinweg, bis weit nach der Christianisierung des Römischen Reichs.

1. Kreuzweg-Station
2. Kreuzweg-Station
3. Kreuzweg-Station
4. Kreuzweg-Station
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Nachdem die Kaiser Rom in Richtung Konstantinopel verlassen hatten und das antike Zentrum der Welt immer weiter verfiel, sank auch die Bedeutung des Kolosseums. Die Spiele wurden seltener und kaum noch mit menschlicher Beteiligung abgehalten, bis sie schließlich Anfang des 6. Jahrhunderts ganz aufhörten. Stattdessen nutzten die Römer den Bau nun in neuer Funktion: In den Arkadengängen wurden Ställe, Warenlager und sogar Wohnräume eingerichtet. Die Päpste schließlich befanden, dass ihnen das Kolosseum in ganz anderer Weise dienlich sein könnte: als Steinbruch. Die heutige Gestalt des Gebäudes mit seinen markanten Abbruchkanten und der zutage tretenden inneren Struktur verdankt es nicht etwa dem natürlichen Verfall. Das fehlende Mauerwerk ist vielmehr mutwillig abgetragen und an anderer Stelle verbaut worden, unter anderem im vatikanischen Petersdom.

Doch die Bischöfe von Rom wähnten im Kolosseum noch eine andere, viel größere Bedeutung. Lange bevor Historiker und Archäologen diesen Fehler korrigieren konnten, hielten sie das Theater für den Schauplatz vieler tausend Märtyrertode; heutige wissenschaftliche Erkenntnisse deuten darauf hin, dass die Christen in Rom an anderen Orten, etwa im Circus Maximus, starben. Die Fehlannahme machte die "Christianisierung" des Kolosseums allerdings zur logischen Konsequenz. So ließ Papst Paul IV. (1555-1559) bereits Mitte des 16. Jahrhunderts eine Marienkirche in einen der inneren Arkadenbögen bauen. Später wurde der große Bildhauer und Architekt Gian Lorenzo Bernini (1598-1680) gar beauftragt, das gesamte Bauwerk in einen einzigen, monumentalen Tempel der Märtyrer zu verwandeln. Es blieb freilich nur bei seinen Plänen.

Die Kreuzwegtradition am Kolosseum brach ab

Es war schließlich Papst Benedikt XIV. (1740-1758), der den Grundstein für den noch heute bestehenden Brauch des Kreuzwegs am Kolosseum legte. Anlässlich des Heiligen Jahres 1750 gab er den Bau von 14 Kreuzwegstationen im Rund des Theaters in Auftrag. Zugleich erklärte er das Amphiteater offiziell zur Gedenkstätte für die antiken Märtyrer. Die Bildstöcke am Rande der Arena wurden schließlich während der Napoleonischen Besatzung Anfang des 19. Jahrhunderts entfernt, als mit Ausgrabungen begonnen wurde. Kurze Zeit später errichtete neue Kreuzwegstationen wurden ebenfalls nach wenigen Jahrzehnten wieder abgebaut. Nach gut einem Jahrhundert brach die Kreuzwegtradition am Kolosseum vorerst wieder ab.

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Video: © BR

Dokumentation: Liveübertragung des ersten Kreuzweg-Gebets von Papst Franziskus am Kolosseum im Jahr 2013.

Spätestens im 20. Jahrhundert zeigten die archäologischen Erkenntnisse, dass das Kolosseum nie der christliche Martyriumsort war, für den frühere Generationen es hielten. Dennoch griff Papst Paul VI. (1963-1978) die Kreuzweg-Tradition im Jahr 1964 wieder auf und begann damit die Reihe der bis heute bestehenden Karfreitagsandachten. Nachdem er in den ersten Jahren stets persönlich am Kreuzweg teilgenommen und auch zu den Gläubigen gesprochen hatte, leitete er das Gebet ab 1970 selbst. Vorgetragen wurden dabei stets Texte bedeutender Theologen und Kirchenlehrer.

Kreuzweg nach biblischer Überlieferung

Dies setzte Johannes Paul II. (1978-2005) fort, bis er schließlich im Heiligen Jahr 1984 die Meditationen erstmals selbst verfasste. Anschließend stammten die Texte nicht mehr von großen Denkern der Geschichte, sondern wurden von lebenden Personen beigesteuert. Für Karfreitag 2005 wählte der deutlich geschwächte Papst, der selbst nicht mehr ans Kolosseum kommen konnte, den damaligen Kardinaldekan Joseph Ratzinger als Autor aus. Wenige Wochen später wurde dieser zum neuen Papst Benedikt XVI. (2005-2013) gewählt.

In einigen Jahren wichen die Autoren des Papst-Kreuzwegs von der traditionellen Form der 14 Stationen ab. Zu diesen zählen nach überliefertem Brauchtum auch Szenen, die in den biblischen Passionserzählungen nicht oder anders zu finden sind, so etwa die Stürze Jesu unter dem Kreuz oder seine Begegnung mit Veronika. Stattdessen wurde jeweils ein sogenannter "biblischer Kreuzweg" mit Betrachtungen zu den in den Evangelien überlieferten Geschehnissen vom Karfreitag ausgewählt. So werden die Gläubigen am Kolosseum auch in diesem Jahr biblische Meditationen der französischen Theologin Anne-Marie Pelletier hören.

Von Kilian Martin