Darf ich (Ihnen) beim Sterben helfen?
"Darf ich Ihnen beim Sterben helfen?" lautet der Titel der Veranstaltung, zu der die Gemeinschaft Katholischer Männer und Frauen eingeladen hat. Schon der Titel stößt dem Neurologen und Psychiater Johann Spittler sauer auf. Dass "Ihnen" hätte man getrost aus dem Titel streichen können, sagt er. Eine Begründung dafür liefert er zunächst jedoch nicht. Doch wird im Verlauf der Diskussion deutlich, was er damit eigentlich meint. Denn Spittler gehört zu den Befürwortern der Suizidbeihilfe. Und noch mehr. Er sagt: "Ich habe Menschen beim Sterben geholfen." Der Psychiater betont, dass es dazu ein Vertrauensverhältnis zwischen Sterbehelfer und Sterbendem geben müsse. Schlussfolgerung: Das distanzierte Wort "Ihnen" passt nicht in diese persönliche Beziehung.
Wichtig ist es für Spittler auch, noch einmal klar zu definieren: "Wir sprechen hier nicht von aktiver Sterbehilfe , also von Tötung auf Verlangen." Bei der Diskussion gehe es um Suizidbeihilfe, genauer um den ärztlich assistierten Suizid. Heißt: Der Arzt bereitet den "Gift-Cocktail" zwar vor, nehmen muss ihn der Sterbenswillige jedoch selbst. Ärzte haben für Spittler jedoch eine Verantwortung für die, die kein ausgeprägtes medizinisches Wissen haben. Er selbst wisse um die Krankheitsverläufe "und möchte nicht jeden miterleben", so der Psychiater. Er spricht von Malignomen – also Krebsgeschwüren –, von Lähmungskrankheiten oder Parkinson im Endstadium.
Selbstbestimmt und willensfähig
Spittler schreibt auch Gutachten für den Schweizer Sterbehilfeverein "Dignitas" und die "Sterbehilfe Deutschland", in denen er die "selbstbestimmten Willensfähigkeit" derer untersucht, die mit Hilfe der Vereine Suizid begehen wollen. "Selbstbestimmt" meint ohne Druck durch andere und "Willensfähigkeit" so viel wie sich seiner Entscheidung bewusst zu sein. Er sei "fasziniert" von Menschen, die eine solche Entscheidung träfen, sagt Spittler. Was er nicht erwähnt, ist, dass auch die Verantwortung, die einem Arzt bei der Sterbehilfe zukommt, missbraucht werden kann. Spittler selbst soll das laut einem Bericht der "Zeit" im November 2012 getan haben. Obwohl zwei Frauen im Alter von 81 und 85 Jahren nicht an unheilbaren Krankheiten litten, habe er ihnen suggeriert, es gebe keine Alternative zur Selbsttötung.
Spittler selbst sagt an diesem Abend in Dülmen: "Der Zwang zum Aushalten ist für mich ein Albtraum." Menschen, die mit dem Wunsch zu Sterben zu ihm kämen, seien zu zwei Dritteln von körperlichen Krankheiten betroffen. Doch gebe es auch die mit psychischen Erkrankungen und die, die aus Altersgründen nicht mehr leben möchten. Auch das könne er nachvollziehen. Spittler gebraucht das Wort "Autonomie" – und meint damit die freie Entscheidung, wie und wann jemand aus dem Leben scheidet.
"Würdevolles Sterben", was heißt das?
Seinen großen Gegner an diesem Abend findet Spittler in Stefan Peitzmann, dem Pfarrer der Universitätsklinik Münster. Der spricht zunächst über das häufig zitierte "würdevolle Sterben". "Was heißt das eigentlich?", fragt er. Würde meine nicht, sich töten zu dürfen oder zu lassen, wann man es wolle. Würde komme jedem Menschen zu, auch jemandem, der nicht sprechen oder sich nicht bewegen könne. Würde erhalte man ohne Gegenleistung. Deshalb sei sie aber auch unverfügbar. Und deshalb sei sie nicht an irgendeine Form von Selbstbestimmung oder Autonomie gekoppelt. Wo also endet die Autonomie? "Ich halte nachts auch an jeder roten Ampel, auch wenn kein anderer Mensch in der Nähe ist und ich niemand anderen als mich gefährde", zieht er einen Vergleich.
Die Diskussion über die Sterbehilfe sei beeinflusst durch die Art und Weise, wie Menschen heute sterben könnten, sagt Peitzmann. "Ich kann heute mit den gleichen Instrumenten Suizid begehen, die sonst zum Heilen benutzt werden." Dadurch komme der Tod so geschmeidig und elegant daher. "Würden wir aber genauso diskutieren, wenn wir dazu – provokant gesagt – eine Selbstschussanlage benutzen müssten? Sicher nicht." Sterbehilfe sei für ihn daher ein absolutes Tabuthema.
„Es gibt ein Recht auf Leben, aber keine Pflicht zu leben.“
Alfred Simon von der Akademie für Ethik in der Medizin in Göttingen versucht zu vermitteln und führt dazu vor allem Zahlen an. Zahlen wie die, dass in den Niederlanden nur 0,3 Prozent aller Todesfälle durch assistierten Suizid zustande kommen, über den hier ja schließlich diskutiert werde. Weitaus höher lägen dort nur die Zahlen bei der aktiven Sterbehilfe – bei drei Prozent. Wie die zustande komme, wisse er nicht. Genauso wenig wisse man, wie sich die Zahlen bei einer gesetzlichen Regelung der Sterbehilfe in Deutschland entwickeln würden. Aber die statistischen Erhebungen in anderen Staaten sprächen gegen einen extremen Anstieg, sagt Simon. Dennoch müsse man im Auge behalten, ob der gesellschaftliche Druck zu sterben dadurch wachse.
Der Ethiker selbst hält Suizidbeihilfe für vertretbar und ist genau aus diesem Grund gegen eine gesetzliche Regelung. Denn bisher ist die Suizidbeihilfe in Deutschland erlaubt, solange sie nicht gewerbsmäßig betrieben wird und auf Profit ausgelegt ist. Eine gesetzliche Regelung könnte zu weiteren Einschränkungen führen. Simon gibt ein Beispiel: Falls in einem künftigen Gesetz stehe, dass Suizidbeihilfe erlaubt sei, wenn eine Krankheit mit tödlichem Verlauf vorliege, schließe das all diejenigen aus, die eben nicht an einer tödlichen Krankheit litten; zum Beispiel Querschnittsgelähmte. Letztlich müsse sogar der Arzt, der sie dennoch leistet, mit einer Bestrafung nach dem Strafrecht rechnen.
"Wenn man den Suizid für moralisch zulässig hält, gilt das für die Beihilfe logischerweise auch", begründet Simon seine Haltung. Der Deutsche Ärztetag und die Bundesärztekammer sehen die Beihilfe jedoch als Verstoß gegen das Berufsethos und haben sie deshalb verboten. Ärzten, die sich nicht daran halten, droht der Verlust ihrer Approbation. "Das belastet die Ärzte", sagt Simon. Immerhin hätten Umfragen ergeben, dass ein Drittel von ihnen dazu bereit wäre, Sterbehilfe zu leisten. Und: Eine Legalisierung würde die anderen Ärzte im Umkehrschluss auch nicht dazu verpflichten. Auch Simon argumentiert letztlich mit dem Argument der Autonomie, wenn er sagt: "Es gibt ein Recht auf Leben, aber keine Pflicht zu leben."
"Natürlich gibt es keine Pflicht zu leben", sagt auch Pfarrer Peitzmann. Aber impliziere das nicht, dass man auch beim Sterben helfen müsse. Falls eine gesetzliche Regelung die Sterbehilfe ausdrücklich erlaube, fürchtet der Seelsorger anders als Simon durchaus einen Anstieg der Suizidbeihilfe. "Wenn es ein Recht auf Suizidbeihilfe gibt, muss es auch Einrichtungen geben, wo das möglich ist", sagt er. Und er ist sich ebenfalls sicher: Ein Gesetz zur Suizidbeihilfe würde auch Tür und Tor für eine Debatte um die aktive Sterbehilfe öffnen.
Splitter schüttelt den Kopf, sagt, dass niemand – auch er – ein Interesse an einer Legalisierung der Tötung auf Verlangen habe. Obwohl er ja schon Verständnis für den Wunsch habe – wenn das Vertrauensverhältnis stimmt.
Von Björn Odendahl