1. April am 22. Dezember?
Die reflexhaften Reaktionen ließen kaum auf sich warten: Laut Vorabbericht der "Bild" vom Dienstag unterstützen SPD und Linke den "Lied-Vorstoß zu Weihnachten", CDU und FDP sind dagegen. Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) schlug, ganz im Sinne des interreligiösen Dialogs, vor, auch den jüdischen Glauben einzubeziehen: Die Vertreter aller abrahamitischen Religionen könnten damit - na was wohl? - "ein gutes Zeichen" setzen.
Indes polterte CDU-Innenexperte Wolfgang Bosbach gegenüber "Focus Online", Weihnachten sei "kein Hochamt für Multikulti". Christliches Fest, christliche Lieder, Punkt. "Mir ist auch nicht bekannt, dass in irgendeiner Moschee 'Stille Nacht, heilige Nacht' gesungen wird oder es entsprechende Pläne gibt", so der Politiker weiter.
Kaum jemand hinterfragt Ursprung der Idee
In den Sozialen Netzwerken sorgte der Vorschlag für Spott, aber auch für harsche Kritik. Nutzer zogen etwa Vergleiche zum Fußball: "Das ist, wie wenn man die Dortmunder Südkurve auffordern würde, Gelsenkirchener Gesänge anzustimmen. So zur besseren Integration", schreibt jemand auf Facebook. Manche Nutzer beschimpfen die von "Bild" zitierten Politiker als "Gutmenschen" und "Spinner", aber auch als "schwachsinniger muslem", andere fragen polemisch, was als nächstes komme: "Aus Solidarität sollen sich alle beschneiden lassen?" Auch Gleichungen wie "Toleranz + Islam = Paradoxon" blieben auf dem Kurznachrichtendienst Twitter nicht aus.
Der FDP-Vorsitzende Christian Lindner warnte denn auch gegenüber "Bild", solche Vorschläge würden Menschen "in die Arme der Pegida-Populisten treiben". In all der Aufregung scheint kaum jemand zu hinterfragen, wo die Idee eigentlich ihren Ursprung hatte. Am Montagmittag veröffentlichte der Grünen-Politiker Nouripour auf seiner Facebook-Seite eine Stellungnahme, laut der ihm die Äußerung - als Politiker muslimischen Glaubens - in den Mund gelegt worden sei:
Ihn habe eine "Bild"-Journalistin gefragt, ob er bereit sei, diese Forderung zu erheben. "Meine Antwort war, dass die Forderung nur dann Sinn mache, wenn dann auch Weihnachtslieder in der Moschee gesungen werden würden."
Der ZMD-Vorsitzende Mazyek sagte der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA), er sei bei der Anfrage der "Bild"-Zeitung davon ausgegangen, eine konkrete Kirchengemeinde habe vor, ein Zeichen zu setzen. "Es geht nicht um einen Liturgie-Vorschlag zum Gottesdienst, und es geht auch darum, dass solche Zeichen auf Gegenseitigkeit beruhen." So sei durchaus vorstellbar, dass bei muslimischen Veranstaltungen christliche Lieder gesungen werden können.
Sein Vorschlag sei der eines Austauschs gewesen, betont auch Nouripour. Der gesellschaftliche Graben, der sich derzeit in Deutschland auftue, sei nicht der zwischen Christentum und Islam, "sondern der zwischen demokratischen Kräften und den Feinden der Demokratie - ob Islamisten oder Pegida". Dieser Spaltung leisteten verkürzende Darstellungen Vorschub.
Katholische Kirche reagiert gelassen
Zu dem Zeitpunkt hatten viele Medien die Darstellung der "Bild"-Zeitung allerdings bereits weitergetragen - und nachträgliche Nuancierungen sind erfahrungsgemäß weniger schlagzeilenträchtig als pointierte Forderungen.
Die katholische Kirche reagierte gelassen: Das kirchliche Liedgut kenne seit Jahrhunderten eine Vielzahl von Friedensliedern, sagte der Pressesprecher der Deutschen Bischofskonferenz, Matthias Kopp, der KNA. Diese Lieder schlössen alle ein, die Frieden suchen, "auch die Muslime", so Kopp. ZMD-Chef Mazyek nannte es "schade, dass vieles, was für die Versöhnung und Frieden getan wird, von Krakelern als Übernahme oder als naiv abgestempelt" werde. Eine drastische Kritik an der "Bild"-Zeitung übte der medienkritische Blog " bildblog.de ": "So hetzt man Religionen gegeneinander auf."
Von Paula Konersmann (KNA)