Anhörung im Rechtsausschuss des Bundestags auch mit kirchlichen Vertretern

Paragraph 219a: Lebensschutz oder Informationsdefizit?

Veröffentlicht am 28.06.2018 um 09:25 Uhr – Lesedauer: 
Abtreibung

Berlin ‐ Welche Zukunft hat das Werbeverbot für Abtreibungen? Am Mittwochabend äußerten sich Experten im Rechtsausschuss des Bundestags zu der Regelung im Strafrechtsparagraf 219a. Ein klares Votum gab es nicht.

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Der Rechtsausschuss des Bundestags hat sich am Mittwochabend in einer öffentlichen Anhörung mit dem geltenden Werbeverbot für Abtreibungen beschäftigt. Mit Blick auf drei vorliegende Gesetzentwürfe von FDP, Linken und Grünen äußerten sich Experten aus juristischer, medizinischer und religiöser Perspektive zu dem Verbot, das in Paragraf 219a des Strafgesetzbuchs geregelt ist.

Der Paragraf steht unter Druck, seit das Amtsgericht Gießen im November vergangenen Jahres die Ärztin Kristina Hänel unter Verweis auf den Paragrafen wegen unerlaubter Werbung für Schwangerschaftsabbrüche zu einer Geldstrafe verurteilt hatte. Ausgelöst durch diesen Fall hatten die drei Fraktionen Gesetzentwürfe in das Parlament eingebracht, die eine Abschaffung (Linke und Grüne) oder eine Reform (FDP) von Paragraf 219a fordern. Die SPD hatte ihren Entwurf, der sich ebenfalls für eine Streichung des Paragrafen aussprach, dagegen im März zurückgezogen, da in der Großen Koalition in dieser Frage keine Einigkeit erzielt werden konnte. Weil die Union das Werbeverbot beibehalten möchte, wurde das Bundesjustizministerium beauftragt, einen Kompromiss zu erarbeiten.

Kirche: Beibehaltung des Werbeverbots ist "wünschenswert und geboten"

In seiner derzeitigen Form untersagt Paragraf 219a "das Anbieten, Ankündigen oder Anpreisen" von Schwangerschaftsabbrüchen aus finanziellem Vorteil heraus oder wenn dies in "grob anstößiger Weise" geschieht. Damit soll verhindert werden, dass eine Abtreibung, die in Deutschland grundsätzlich rechtswidrig ist und nur unter bestimmten Bedingungen straffrei bleibt, als normale ärztliche Leistung dargestellt und kommerzialisiert wird.

Vertreter der katholischen Kirche sprachen sich in der Anhörung gegen eine Streichung oder Änderung des Paragrafen aus. Aus ethischer, juristischer und rechtspolitischer Perspektive sei die Beibehaltung des Werbeverbots "wünschenswert und geboten", erklärte die stellvertretende Leiterin des Katholischen Büros in Berlin, Katharina Jestaedt. Die vorliegenden Gesetzentwürfe liefen der Logik der Gesamtkonzeption zum Schwangerschaftsabbruch in den Paragrafen 218 und 219 des Strafgesetzbuchs zuwider, wenn sie Werbung für Abtreibungen ganz oder teilweise zulassen wollten.

Linktipp: Werbung für Abtreibung: Das wollen die Parteien

In Deutschland ist Werbung für Abtreibungen verboten. Aber soll das auch so bleiben? Die Parteien sind da unterschiedlicher Meinung. Vor der Anhörung im Bundestag stellt katholisch.de deren Positionen vor.

Zugleich betonte Jestaedt, dass Paragraf 219a aus Sicht der Kirche nicht zu einem Informationsdefizit bei schwangeren Frauen führe. Das Informationsbedürfnis der Schwangeren werde durch die geltende Regelung nur insoweit tangiert, als ihnen öffentliche Informationen von Ärzten, die selber Schwangerschaftsabbrüche durchführen, nicht zugänglich seien. Nicht durch den Paragrafen verhindert werde hingegen die öffentliche Information durch Behörden, Beratungsstellen oder andere Institutionen, die mit dem Schwangerschaftsabbruch keine Erwerbsabsicht verbänden.

Für den von katholischen Laien getragenen Schwangerenberatungsverein Donum Vitae sprach sich Geschäftsführerin Andrea Redding ebenfalls für eine Beibehaltung des Werbeverbots aus. Das Schutzkonzept der Paragrafen 218 und 219 stelle den Schutz des Ungeborenen und sein Recht auf Leben in den Mittelpunkt und gebe ihm Vorrang vor dem Selbstbestimmungsrecht der Frau, ohne dieses zu leugnen. Die aktuelle Debatte um das Werbeverbot für Abtreibungen stelle dieses Schutzkonzept in seiner Gesamtheit und Komplexität in Frage, warnte Redding.

Sorge vor kompletter Legalisierung von Abtreibungen

Sie äußerte zudem ihre Befürchtung, dass eine Streichung nur ein erster Schritt hin zu einer kompletten Legalisierung von Abtreibungen sein könnte. Dies bestätigten bereits Ankündigungen der Linksfraktion, die nach der Sommerpause einen entsprechenden Antrag vorlegen wolle. Sollte es für die betroffenen Frauen Informationsdefizite geben, solle in den geschützten Räumen von Schwangerenberatungsstellen nach Lösungen gesucht werden.

Der Gynäkologe Michael Kiworr rief dazu auf, in der Debatte um das Werbeverbot auch das Lebensrecht des noch ungeborenen Kindes zu berücksichtigen und Gesetze zu dessen Schutz aufzustellen. Es sei unverständlich, dass Paragraf 219a abgeschwächt oder gar ersatzlos gestrichen werden solle, obwohl die Zahl der Abtreibungen zuletzt gestiegen sei, so Kiworr, der auch Mitglied der privaten Organisation "Ärzte für das Leben" ist.

Bild: ©neirfy/Fotolia.com

Seit Monaten diskutieren die Bundestagsfraktionen über die Zukunft des Webeverbots für Abtreibungen.

Der Augsburger Juraprofessor Michael Kubiciel sprach sich in der Anhörung ebenfalls gegen Änderungen an der geltenden Rechtslage aus. Paragraf 219a verfolge rationale und legitime Ziele: "Er dient dem Lebensschutz, schützt Frauen vor der Kommerzialisierung einer Notlage und flankiert das Beratungsmodell, das die Voraussetzung für die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der liberalen Fristenlösung ist." Eine Streichung des Paragrafen sei auch kriminalpolitisch nicht erforderlich. Frauen könnten sich in vielfältiger Weise über die Modalitäten eines Abbruchs informieren.

Andere Experten sprachen sich in der Anhörung dagegen für eine Streichung des Werbeverbots aus. Die Bundesvorsitzende des Verbands "Pro Familia", Daphne Hahn, beklagte ein aus Paragraf 219a folgendes Informationsdefizit. Die wichtigsten Informationen über Ärzte, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen, oder über Abbruchmethoden seien für Frauen oft nur schwer zu bekommen. Zugleich verwies sie darauf, dass Abtreibungsgegner den Paragrafen nutzten, um Ärzte anzuzeigen, die auf ihren Internetseiten über Schwangerschaftsabbrüche informierten.

Werbung anstößiger Werbung als kompromissvorschlag

Die Berliner Ärztin Christiane Tennhardt sagte, dass der Schutzauftrag für das Ungeborene bereits durch andere Paragrafen ausreichend gesichert sei. Es sei "zumindest ein eklatanter Wertungswiderspruch" und in der Folge ein "unwürdiges Prozedere", eine straffreie Handlung, die der Abbruch darstelle, zusätzlich zu behindern und als "rechtswidrig zu stigmatisieren". Auch der Deutsche Juristinnenbund sprach sich für die Streichung aus. Bereits als Mitte der 1990er Jahre der Kompromiss bei der Neuregelung von Paragraf 218 gefunden worden sei, sei der Paragraf eine "veraltete Norm" gewesen. Es sei ein unzulässiger Eingriff in die Berufsfreiheit. Eine unzulässige Werbung solle höchstens als Ordnungswidrigkeit geahndet werden.

Der emeritierte Hamburger Juraprofessor Reinhard Merkel bezeichnete die Abschaffung des Werbeverbots "für sachlich nüchterne Hinweise auf das ärztliche Angebot rechtmäßiger und tatbestandsloser Schwangerschaftsabbrüche" als verfassungsrechtlich geboten. Verboten bleiben sollten nur anstößige Formen der Werbung sowie Werbung für rechtswidrige Abtreibungen. Ähnlich äußerte sich auch der Kölner Juraprofessor Thomas Weigend.

Von Steffen Zimmermann