Die Kirchen müssen Störenfriede sein
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Es hat einen Moment gedauert, bis es Reaktionen aus den Kirchen gab. Über 69 Abschiebungen zu seinem 69. Geburtstag hatte sich Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) gefreut. Vielleicht war das tatsächlich so unsäglich, dass es Bischöfen und Theologen erst einmal die Sprache verschlug. Vielleicht hatten sie keine Worte dafür, dass der Vorsitzende einer C-Partei zu solchen Worten und Gedanken fähig ist, während parallel dazu die von derselben Partei gebildete Regierung ganz Bayern unter das Zeichen des Kreuzes gestellt wissen will.
Mittlerweile haben katholische und evangelische Repräsentanten einen Verlust an Humanität beklagt, einen Mangel an Menschlichkeit. Vor einer Sprache, die mit Ironie und Sarkasmus, Verachtung und Spott die Würde des Menschen antastet, warnte Bambergs Erzbischof Ludwig Schick, freilich ohne Seehofer beim Namen zu nennen.
Diese Reaktionen waren wichtig. Gleichwohl wirken sie auffallend zurückgenommen, reduziert – im Vergleich zu Seehofers Vorlage. Dessen Ausbund an Unverfrorenheit und Gefühlskälte hat die politische Kultur auf ein Tiefplateau abstürzen lassen. Dorthin, wo sich sonst nur die AfD oder noch üblere Gruppierungen tummeln.
Dass sich ein Regierungsvertreter mit dem Anspruch einer vom Christentum grundierten Politik so einlassen könnte, wäre vor – sagen wir – zwei, drei Jahren schier unvorstellbar gewesen. Seehofer bestätigt die Sorge vor einer permanenten Achsenverschiebung der Stimmung gegenüber Flüchtlingen wie auch der Integrationspolitik. Das macht es den Kirchen immer schwerer, auf den humanitären Standards, den Werteorientierungen und den daraus abgeleiteten politischen Konkretionen zu bestehen, auf die sich diese Gesellschaft einmal etwas zugutehielt. Es sei an eine Zeit erinnert, und sie liegt noch gar nicht lange zurück, als die Reaktion auf das Massenertrinken im Mittelmeer durchgängig Erschütterung und Entsetzen waren. Die Situation heute ist nicht weniger dramatisch, aber der gleiche Aufschrei gilt inzwischen als lästig, unerwünscht und einer "erfolgreichen" Abdichtung der europäischen Außengrenze abträglich.
Von den Mitträgerinnen der "Willkommenskultur" sind die Kirchen in die Rolle der Störenfriede geraten. Sie müssen sie annehmen. Denn die Ruhe, an dem der Regierung in der Flüchtlingspolitik gelegen ist, ist – wie es in Schillers "Don Carlos" heißt – "die Ruhe eines Kirchhofs".