Was Papst Paul VI. über die Liebe in der Ehe schrieb

50 Jahre "Humanae vitae": Liebe, die aufs Ganze geht

Veröffentlicht am 25.07.2018 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 
Geschichte

Bonn ‐ Auch ein halbes Jahrhundert nach ihrer Veröffentlichung gilt die "Pillen-Enzyklika" Pauls VI. vielen Katholiken als großes Ärgernis. Bis heute wird dabei ein Kernthema oft übersehen: die romantische Liebe.

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Es ist eine große Ironie der Geschichte, dass das kleine Wort, auf das die Enzyklika "Humanae vitae" so gerne reduziert wird, im Text überhaupt nicht auftaucht: Die "Pille" hat Papst Paul VI. (1963-1978) in seinem berühmt gewordenen Lehrschreiben an keiner Stelle erwähnt. Auch von anderen Verhütungsmitteln ist in dem Text nirgends wörtlich die Rede. Und doch ist deren Verbot auch 50 Jahre nach der Veröffentlichung das einzige, was viele Katholiken mit der Enzyklika verbinden.

Dabei prägt kein Begriff "Humanae vitae" so sehr wie die Liebe. Auf den knapp 14 Seiten des Textes nennt Paul VI. sie ganze 50 Mal. Ein so offensiver Umgang mit Zwischenmenschlichem in lehramtlichen Schriften ist alles andere als selbstverständlich. Wenn die Kirche über romantische Liebe spricht, zumal deren körperliche Aspekte, klingt das meist sehr holprig, oft einfach nur peinlich. Aber manchmal kommen dabei auch echte Perlen zustande, so wie in "Humanae vitae": Die Liebe in der Ehe ist "Liebe, die aufs Ganze geht", erklärt Papst Paul VI. dort. Der neunte Absatz seines Rundschreibens – allzu sachlich mit "Eigenart der ehelichen Liebe" überschrieben – ist sprachlich wie inhaltlich ein bemerkenswertes Stück Lehramt zur partnerschaftlichen Liebe.

Die Ehe muss man auch durchhalten

In der Ehe verwirkliche sich "vollmenschliche Liebe", schreibt der Papst dort, "sinnhaft und geistig zugleich". Zugleich wirft der Autor einen nüchternen wie realistischen Blick auf die zwischenmenschliche Beziehung der Eheleute. Denn ihre Liebe entspringe "nicht nur Trieb und Leidenschaft, sondern auch und vor allem einem Entscheid des freien Willens, der darauf hindrängt, in Freud und Leid des Alltags durchzuhalten, ja dadurch stärker zu werden". Auch an mehren anderen Stellen räumt Paul VI. dem Menschlichen der Ehe einen bis dato ungekannten Stellenwert ein. Für ihn ist klar, dass die Ehe auch eine selbstgesteckte Aufgabe ist, die es zuweilen eben "durchzuhalten" gilt.

Papst Paul VI.
Bild: ©KNA

Mit seiner Enzyklika "Humanae vitae" räumte Papst Paul VI. erstmals in einem lehramtlichen Dokument der romantischen Liebe erstmals eine fundamentale Bedeutung ein.

Historisch bedeutsam ist dabei, dass Papst Paul VI. mit "Humanae vitae" der romantischen Liebe überhaupt eine so elementare Bedeutung für die christliche Ehe einräumt. Das war im Jahr 1968 noch lange keine Selbstverständlichkeit. Erst gut zweieinhalb Jahre zuvor hatte das Zweite Vatikanische Konzil (1962-1965) in der Konstitution "Gaudium et spes" der Liebe der Eheleute erstmals eine größere Bedeutung beigemessen. Das seit 1917 gültige Kirchenrecht definierte zu diesem Zeitpunkt allerdings noch immer klar, was die Kirche unter der Ehe in erster Linie verstand: "Der Ehekonsens ist ein freiwilliger Akt, durch den sich die beiden Partner dauerhaft und ausschließlich gegenseitig das Recht an ihrem Körper übertragen und annehmen, welcher auf Akte, die von sich aus zur Zeugung von Nachkommenschaft geeignet sind, hingeordnet ist." Romantisch ist anders.

Lange galt der Kirche eben das "ius in corpus", das Recht am Körper des Ehepartners, als eigentlicher Ehezweck. Der Liebe, die über den rein reproduktiven Geschlechtsverkehr hinausgeht, bahnte nicht zuletzt Paul VI. mit "Humanae vitae" den Weg. Seine Nachfolger Johannes Paul II. mit seiner "Theologie des Leibes" oder zuletzt Papst Franziskus schritten darauf weiter voran. Letzterer erklärte etwa in seinem Schreiben "Amoris laetita", dass die "gesündeste Erotik" mit dem "Streben nach Vergnügen" verbunden sei.

Kinder nicht als Zweck, sondern als unerwünschte Folge

Trotz der epochalen Wende im Eheverständnis ist "Humanae vitae" kein Meilenstein katholischer Liebeslyrik und war auch nie als solcher beabsichtigt. Schließlich geht es im Kern des Schreibens weniger um die körperliche Liebe, als vielmehr um deren natürliche Folgen. Paul VI. sah sich zu dieser Einlassung veranlasst, da die Zeugung von Kindern im Jahr 1968 vor allem im entwickelten Westen längst nicht mehr flächendeckend als eine die Moral betreffende Frage verstanden wurde. Nicht zuletzt die wenige Jahre zuvor erfolgte Markteinführung der "Antibabypille" hatte vielen Menschen zu einem dauerhaften sexuellen Pragmatismus verholfen. "Die Weitergabe des Lebens", so der Untertitel der Enzyklika, war in der "sexuellen Revolution" der 68er nicht mehr Zweck sondern unerwünschte Folge der Sexualität.

Drei Blister mit der Pille.
Bild: © picture alliance / blickwinkel /McPHOTO

Das Verbot künstlicher Verhütungsmittel wie der "Pille" führte nicht erst Papst Paul VI. ein. Schon sein Vorgänger Papst Pius XI. hatte es im Jahr 1930 formuliert.

Dass die Kirche künstliche Verhütung in der Ehe und erst recht sexuelle Beziehungen außerhalb der Ehe streng ablehnte, war schon vor 1968 und lange vor "Humanae vitae" bekannt. Fast vier Jahrzehnte zuvor, im Jahr 1930, hatte Papst Pius XI. in seiner Enzyklika "Casti connubii" die moralische Verwerflichkeit der künstlichen Empfängnisverhütung als Eingriff in den natürlichen Schöpfungsvorgang dargelegt. Genau diese Argumentation übernahm Paul VI. in "Humanae vitae". Jede Handlung, die den Geschlechtsverkehr von seinem Sinn und Zweck der Zeugung trennt, sei zu verwerfen. Für die Katholiken bot der Text damit im Grunde keine Überraschungen. Und dennoch avancierte er zur Zäsur.

Dass sein kurzer Text in der Weltkirche nicht nur auf Gegenliebe stoßen würde, hatte Paul VI. dabei schon erwartet. Doch wie sehr er die Kirche mit seiner siebten und letzten Enzyklika tatsächlich aufwühlte, hat ihn im Nachhinein wohl doch überrascht und belastet. So sehr jedenfalls, dass der Papst nur wenige Tage nach der Veröffentlichung seines Lehrschreibens die Gelegenheit einer Generalaudienz nutzte, noch einmal seine Beweggründe darzulegen. "Wir hatten keinen Zweifel an unserer Pflicht, unser Urteil kundzutun in den Sätzen der vorliegenden Enzyklika", resümierte Papst Paul VI. am 31. Juli 1968.

Ein Papst fühlt sich erdrückt von der Aufgabe

Die massive Kritik an seinem Schreiben und auch die Resignation vieler Gläubiger waren dem Papst da wohl schon bekannt. Der britische Theologe Stephen Bullivant sieht für diese Stimmung unter den Katholiken nach "Humanae vitae" vor allem zwei Punkt. Sie seien nach dem Konzil erstens bereits an Reformen gewöhnt gewesen und hätten zweitens gerade in dieser Frage mit einer Veränderung gerechnet. Und das wusste auch der Papst: Zu Beginn seines Rundschreibens widmet Paul VI. einen ganzen Absatz allein den Argumenten der Gegenseite, etwa, dass die zeitweise Empfängnisverhütung eine sittlich geordnete Familienplanung nicht ausschließen müsse. Wiederum in seiner Ansprache bei besagter Generalaudienz bekannte der Pontifex, wie schwer er sich bei der Abwägung dieser Fragen getan habe: "Wie oft hatten wir uns nicht erdrückt gefühlt von dieser Menge an Dokumenten und wie oft haben wir – menschlich gesprochen – nicht die Unfähigkeit unserer armen Person gesehen, dieser riesigen apostolischen Pflicht gerecht zu werden, sich zu diesem Problem zu äußern."

Eine schwangere Frau gemeinsam mit ihrem Mann.
Bild: ©KNA

Die Zeugung von Kindern gehört nach der Lehre Papst Pauls VI. in die Ehe - genauso wie der Genuss der eigenen Sexualität.

Nicht verwunderlich, dass die Arbeiten an "Humanae vitae" insgesamt fünf Jahre dauerten. Bereits im Jahr 1963 hatte Paul VI. eine Studienkommission eingesetzt, die sich der Frage der Geburtenkontrolle widmete. Sie kam, wie auch eine Bischofskommission, zum Ergebnis, dass künstliche Empfängnisverhütung nicht per se dem katholischen Glauben widerspreche. Neuere Forschungsergebnisse zeigen, dass der Papst zudem die Glaubenskongregation und das Staatssekretariat im Vatikan um Expertisen gebeten hatte. Auch unter den zur ersten Bischofssynode versammelten Oberhirten aus der ganzen Weltkirche hatte Paul VI. eine entsprechende Umfrage durchgeführt. Am Ende blieb der Papst bei der zwar nur von einer Minderheit unterstützen aber mit dem beständigen Lehramt konformen Haltung.

„Wer seinen Gatten wirklich liebt, liebt ihn um seiner selbst willen, nicht nur wegen dessen, was er von ihm empfängt.“

—  Zitat: Papst Paul VI. in "Humanae vitae" (HV 9)

Und konsequent ist die Ablehnung der künstlichen Empfängnisverhütung schließlich auch mit Blick auf den Grundtenor von "Humanae vitae". In seinem Rundschreiben geht Paul VI. der Eigenart der romantischen Liebe in der Ehe nach. "Wer seinen Gatten wirklich liebt, liebt ihn um seiner selbst willen, nicht nur wegen dessen, was er von ihm empfängt. Und es ist seine Freude, dass er durch seine Ganzhingabe bereichern darf", erklärt der Papst. Die eigentliche Größe dieser Liebe bestehe jedoch darin, nicht allein dem erotischen Genuss zu dienen: "Diese Liebe ist schließlich fruchtbar, da sie nicht ganz in der ehelichen Vereinigung aufgeht, sondern darüber hinaus fortzudauern strebt und neues Leben wecken will."

Gerade weil die Sexualität zur Ehe gehört und nicht eingeengt werden soll, brauche es jedoch einen verantwortungsbewussten Umgang mit ihr. Diese verantwortliche Elternschaft schließt für den Papst die Zeugung von Kindern ebenso ein, wie den bewussten "ehelichen Verkehr zur Bezeugung der gegenseitigen Liebe und zur Wahrung der versprochenen Treue" auch ohne konkreten Kinderwunsch. Dass dabei künstliche Mittel zur Verhütung nicht in Frage kommen, ist für Paul VI. letztlich ebenfalls eine Frage der Liebe. Die ständig verfügbare, folgenlose Triebbefriedigung führe in seiner Befürchtung zu einer Entwertung der Erotik und damit auch des Partners. Während Befürworter etwa der "Pille" die sexuelle Selbstbestimmung der Frau loben, warnt der Papst damit vor der Fremdbestimmung als Lustobjekt. Gerade die eheliche Liebe muss laut Paul VI. schließlich mehr sein als bedenkenloser Sex. "Humanae vitae" stellt dem die zeitlos gültige Botschaft von der Liebe entgegen, die den ganzen Menschen umfasst und der daher auch nichts Menschliches fremd ist.

Von Kilian Martin

Linktipp: Planen statt verhüten

Die Praxis der "Natürlichen Familienplanung" (NFP) entspricht der Lehre der katholischen Kirche, die in Sachen Sexualität sehr eindeutig ist: künstliche Verhütung ist verboten. Die NFP ist hingegen erlaubt und viele Bistümer bieten dazu Informationen an.