Der härteste Tag der Ministrantenwallfahrt
Um 5:50 Uhr klingelt der Wecker. Kamera, Pilgertuch und Wanderschuhe liegen schon seit dem Vorabend bereit, damit es nach einem kurzen Frühstück gleich losgehen kann. Heute begleite ich eine Gruppe von Ministranten aus dem Bistum Mainz bei der Siebenkirchenwallfahrt. Über 20 Kilometer führt dieser traditionsreiche Weg zu einigen der bedeutendsten Kirchen der Ewigen Stadt. Es ist der härteste Pilgerweg Roms.
Wir treffen uns um 6:45 Uhr am rechten der beiden Brunnen vor dem Petersdom. Schon jetzt stehen die Menschen Schlange vor dem Einlass. Dabei öffnet die größte der Papstbasiliken erst um 7 Uhr ihre Pforten. Pfarrer Markus Lerchl begrüßt die Wallfahrer und teilt Namensschilder und Pilgerheftchen aus. Da die meisten Teilnehmer den Petersdom schon einmal besucht haben, bleiben wir auf dem Petersplatz. Dort beginnen wir den Tag mit einem ersten geistlichen Impuls. "Folgen, Leben mit Jesus hat Folgen", singt die Gruppe mit angenehmen Stimmen.
Malteser-Mitarbeiter gehen mit
Rund 80 Ministranten und ihre Betreuer wollen die Wallfahrt heute mitgehen. Der jüngste Teilnehmer ist gerade einmal 14 Jahre alt, der älteste schon 70. Ich frage mich, wie viele der Teilnehmer den Pilgerweg bei Temperaturen an die 40 Grad Celsius überstehen werden. Ob ich diesen Weg schaffe? Mein Blick fällt auf zwei Personen in weißen T-Shirt mit orangenfarbenen Rucksäcken: Mitarbeiter der Malteser. Diese sind immer bei dieser Wallfahrt dabei, um schnell und fachgerecht helfen zu können, falls ein Pilger gesundheitliche Probleme hat.
Nach dem Impuls geht es vom Petersplatz zur U-Bahn, die uns zur Basilika Sankt Paul vor den Mauern bringen soll. Pfarrer Lerchl erklärt die Planänderung: "Aufgrund der Hitze legen wir die weiteste Strecke nicht zu Fuß zurück, um unsere Kräfte zu sparen." Einige Ministranten schmunzeln. Im Laufe des Tages wird sich aber zeigen, dass dieser Gedanke nicht verkehrt war. Vorneweg geht ein Kreuzträger. Im Laufe der Wallfahrt darf jeder Teilnehmer das Kreuz für einige Zeit tragen.
"Ich organisiere die Siebenkirchenwallfahrt zum dritten Mal", erzählt Pfarre Lerchl. "Wir weisen die Teilnehmer vorher immer auf festes Schuhwerk und die Anstrengung hin. Aber wir reagieren wie jetzt auch immer spontan aufs Wetter." Nach der Bahnfahrt und einem kurzen Fußweg erreichen wir die zweite Papstbasilika. Dort feiern gerade die Teilnehmer eines anderen Bistums einen Gottesdienst. Im Vorhof suchen wir uns einen ruhigen Platz für unseren zweiten Impuls. Ich habe den Eindruck, dass die Gruppe an der zweiten Station konzentrierter ist. Der Gesang ist lauter und die Stimmung besinnlicher.
Durch verwinkelte Gassen nach Sankt Sebastian
Nach dem Impuls haben alle noch Gelegenheit, einen Blick in die Basilika zu werfen und dort einen Moment innezuhalten. Dann geht es weiter zur nächsten Kirche, Sankt Sebastian vor den Mauern. Der Weg führt durch verwinkelte Gassen, es geht bergauf. Die Ministranten singen unterwegs Stimmungslieder. Auf dem Weg füllen wir immer wieder an den Brunnen unsere Wasserflaschen. Die Sonne macht allen zu schaffen und jeder Schritt im Schatten ist eine Wohltat. An Sankt Sebastian angekommen, haben wir die Kirche fast für uns allein und können dem Impuls in Ruhe folgen. Eine Teilnehmerin nutzt die Gelegenheit zu einem persönlichen Gebet.
Dann schlägt die Glocke zwölf Uhr, wir beten den Angelus. Die nächste Etappe führt anschließend zur Lateranbasilika. Es wird der längste Abschnitt heute sein. Die Hitze und die Anstrengung sorgt für eine Aufteilung der Gruppe: Einige fahren mit dem Bus zum Lateran, der Großteil geht zu Fuß weiter. Ich bleibe bei der Fußgruppe. Der Weg führt durch den "Parco della Caffarella" entlang der Via Appia. Einige Ministranten stimmen ein Lied an. Spontan holen auch die übrigen Ministranten ihr Pilgerliederheft hervor, die Liednummer wird von vorne nach hinten weitergegeben und dann singt die Gruppe gemeinsam, den ganzen Weg durch den Park. Ich finde es bewundernswert, wie diese jungen Menschen trotz Temperaturen um die 40 Grad ihren Glauben gemeinsam leben.
In einem kleinen Supermarkt decken wir uns mit Lebensmitteln ein. Am Lateran angekommen setzen wir uns in den Schatten der Basilika, die Busfahrer sind jetzt auch wieder dazugekommen. Obst, Plätzchen und Brote werden ausgepackt und geteilt. Ich frage Theresia und Elisabeth, wie sie mit der römischen Hitze klarkommen. "Am ersten Tag war es schlimm. Jetzt haben wir uns an die Hitze und den Schweiß gewöhnt", erklären die Ministrantinnen.
Pilgerweg endet im Krankenhaus
In der Pause gibt es kurz Aufregung in der Gruppe. Ein Ministrant hat Knieprobleme. Tags zuvor war er in ein Schlagloch getreten und jetzt schwillt sein Knie an. Die Malteser leisten Erstversorgung. Während der ganzen Romreise leisten sie sehr gute Arbeit, die man mit Worten nicht genug würdigen kann. Die Gruppenleiter beschließen, dass der Pilgerweg für den Jungen hier zu Ende ist. Er wird von einem Betreuer ins Krankenhaus gebracht. Gesundheit und Sicherheit gehen vor.
In der Basilika suchen wir uns dann einen Platz für den nächsten Impuls. Das gut 20-minütige Gebet ist für alle im Pilgerheft abgedruckt. Beim anschließenden Lied "Jesus Christ, you are my life" stimmen auch andere Besucher der Lateranbasilika ein.
Nach dem Lateran folgt die nächste Planänderung durch das Organisationsteam um Pfarrer Lerchl. Aufgrund der unbarmherzigen Temperaturen haben sie beschlossen, die Siebenkirchenwallfahrt noch weiter zu verkürzen. Wir werden noch bis Santa Maria Maggiore pilgern, von dort sollen die Ministranten direkt weiter zum Abschlussgottesdienst der Mainzer Ministranten.
Auf dem Weg zur größten Marienkirche der Welt erzählen mir zwei Ministranten, dass sie die Siebenkirchenwallfahrt schon mehrfach mitgemacht haben: "Aber so anstrengend war es noch nie." Für Hannah ist es das erste Mal: "Ich wollte schon vor vier Jahren mitmachen, war aber noch zu jung." Jetzt ist sie endlich dabei. Und auf der letzten Etappe trägt sie jetzt das Pilgerkreuz. Ich frage, ob es nicht zu schwer ist. Sie schüttelt den Kopf und gibt es mir in die Hand: "Wir wechseln uns ja ab", sagt sie mit einem Lachen. Nach einigen weiteren Wasserpausen kommen wir an Maria Maggiore an. Die Basilika ist voller Menschen, aber wir finden einen Platz für unseren Impuls. Danach bleibt keine Zeit mehr für einen Rundgang. Die Ministranten brechen sofort zum Gottesdienst auf. Dieser findet ein Stück außerhalb des Stadtzentrums statt, in der Pfarrkirche San Leone, der ehemaligen Titelkirche des verstorbenen Mainzer Kardinals Karl Lehmann.
Ich verabschiede mich also von den anderen Wallfahrern. Was nun? Aufgeben und zurück ins Hotel? Ich beschließe, die Siebenkirchenwallfahrt alleine zu Ende zu bringen und mache mich wieder auf den Weg. Es geht nach Sankt Laurentius vor den Mauern. Nach einigen Umwegen aufgrund von Baustellen komme ich dort auch an. Ich höre Musik aus der Kirche. Eine Band aus Italien probt für einen Gottesdienst. Die Musik klingt gut und ich verweile einen Augenblick.
Ohne meine Pilgergruppe und die erfahrenen Leiter muss ich den Weg zur letzten Kirche nun allein finden. Eine echte Hilfe ist mir jetzt mein Smartphone. Es zeigt mir den Weg zur Santa Croce, der "Basilika des Heiligen Kreuzes in Jerusalem. Ich überlege, den Weg zur letzten Station abzukürzen und den Bus zu nehmen. Mein Ehrgeiz lässt das aber nicht zu. Die letzten Meter will ich jetzt auch noch zu Fuß gehen. Völlig erledigt komme ich in der Basilika an und setze mich in eine leere Bank. Es ist kaum ein Mensch in der wunderschönen Kirche und ich habe Gelegenheit, den Tag in Ruhe Revue passieren zu lassen. Ich denke in diesem Moment an meine Wallfahrergruppe und hoffe, dass ihnen der Weg genauso viel gebracht hat wie mir.
Unsere Autorin brauchte für die Siebenkirchenwallfahrt etwa 13,5 Stunden, 29771 Schritte und acht Liter Wasser.