Messias-Dämmerung
Da wollte die EU wenigstens einmal volkstümlich sein... Auf der Basis von 4 Millionen Stimmen – von 512 Millionen EU-Bürgern – wurden am Wochenende zum letzten Mal EU-einheitlich in 28 Mitgliedstaaten die Uhren zurückgestellt. Ab jetzt fährt der Zug gnadenlos zurück ins Postkutschenzeitalter. Die Bundesregierung ist für die ewige Sommerzeit, der Nachbar Tschechien für ständige Winter- (oder Normal-) Zeit.
Der nächste Schritt wird eine Diskussion um eine willkürliche Einschränkung der Persönlichkeitsrechte durch die deutschen, tschechischen und 26 anderen nationalen Behörden: "Meine Zeit gehört mir – und ich lebe nach der tertiären Stein-Urzeit!" Oder der Zeit des Irischen Frühlings, dem Zeitalter des Wassermanns etc. Die Zentrifugalkräfte des Bürgerwillens haben erst angefangen zu zerren.
Apropos Bürgerwillen. Wie informiert sich so ein Bürger eigentlich heute so? Nach 18 Jahren wird demnächst ein neuer CDU-Vorsitzender gewählt. Die Merkel-Dämmerung findet nach der Zeitumstellung sogar noch eine Stunde früher statt. Aber statt um Inhalte dreht sich die Diskussion ganz schnell wieder nur um Plakatives. Eine deutsche Großbuchstabenzeitung reduzierte es sogar auf vier kurze Fragen: Kann die größte Volkspartei des Landes von einem Millionär (Merz) geführt werden? Von einer Frau mit Doppelnamen (Kramp-Karrenbauer)? Von einem Schwulen (Spahn)? Oder gar einem, der Dialekt spricht (Laschet)? Bild dir deine Meinung, entleer dich – aber vergiss nicht: Jedes Land bekommt den Kanzler – und die Zeitungen –, die es verdient.
Als politischer Messias ist dieser Tage Friedrich Merz auserkoren – der einst die Steuererklärung auf einem Bierdeckel verfasst wissen wollte. Wenn GroKo, Kanzler, EU und internationale Politik auch so einfach gehen, dann können wir uns doch schon freuen. Oder hat der Messianismus dieser Tage vielleicht doch einen Haken? Leider sind all jene, die zuletzt als Adler abgehoben haben, als Brathuhn gelandet: Barack Obama; Emmanuel Macron; Martin Schulz. Vielleicht auch ein Nebeneffekt unserer Social-Media-Demokratie.
Selbst Papst Franziskus, als Religionsführer nur mittelbar Politiker, musste zuletzt viele Federn seiner einst schier grenzenlosen weltweiten Anerkennung lassen. Die Beliebtheitswerte sinken. "Sic transit gloria mundi" (So vergeht der Ruhm der Welt), so hieß es einst im Krönungszeremoniell eines neuen Papstes, wenn der Neue die Peterskirche betrat. Diese Woche: "Knochenfunde im Vatikan!" Wie soll man da reformieren, wenn das die Nachrichten sind?
Erfolg hat dieser Tage, wer austeilt, draufhaut, für Ordnung sorgt. Seit dieser Woche hat die Welt einen neuen Trump, einen neuen Duterte: Jair Bolsonaro will die Bürger bewaffnen, damit sie sich gegen die Bösen verteidigen können. Aber wer steht denn da in der Schlange, um sich seine staatlich verschriebene Knarre abzuholen? Muss man vorher seine Gutheit nachweisen? Man ahnt übrigens nicht, wie Bolsonaro mit Zweitnamen heißt: Messias.