Zum Glühweinen
Wann ist das eigentlich losgegangen mit den Weihnachtsmarktwucherungen in deutschen Innenstädten? Heute dürfte wohl kein junger Mensch mehr wissen, dass es sie früher einmal wirklich gab: bretterbudenfreie Fußgängerzonen - im November und hey, ja auch im Dezember!
Am traurigsten ist so ein Weihnachtsmarkt ja sonntagmorgens, beim handelsüblichen Regen und 15 Grad Außentemperatur. Leise klappern die Läden der öden Holzverschläge, kein Mensch mit blinkender Zipfelmütze ist zu sehen. Stattdessen kullert hier und da ein herrenloses Stückchen Bratwurst übers Pflaster, leicht wellt der Föhnwind die Glühweinpfütze, die vom Vorabend übrig blieb.
Erst anstoßen, dann aufstoßen. Advent in deutschen Landen: ein Missverständnis, ein einziger großer Rülps. So wie der Digitalpakt für die deutschen Schulen. Unseren Bildungseinrichtungen fehlt es seit Jahren vor allem an Lehrern, an asbestfreien und baulich hinnehmbaren Räumlichkeiten. Die Bildungspolitik kennt weder Konstanz noch Konzept. Die Klassen quellen über, viele Schüler bräuchten intensive Begleitung - nicht nur durch Pädagogen, sondern auch durch Sozialarbeiter. Was sollen sie stattdessen erhalten? Tablets und Whiteboards, damit sie sich im Internet zurechtfinden.
Den von der Digitalisierung besoffenen Verantwortungsträgern müsste dringend irgendwer Folgendes stecken: Das einzige, was vermutlich alle Schüler beherrschen, egal wes Geistes Kind sie sind, ist der Zugangs-Code zum eigenen Smartphone. Der Vergessenheit anheimfallende Kulturtechniken wie Lesen, Rechnen und Schreiben auf den geistigen Speiseplan zu setzen, wäre das Gebot der Stunde.
Noch kann man nicht alles googeln. Und wer eine Ausbildung anstrebt, egal ob zum Nikolaus oder zum Diplom-Ökotrophologen, dürfte sich dankbar manch analoger Kenntnisse erinnern, vermöge derer er das vielstimmige Konzert der realen und der virtuellen Welt für sich wird einordnen können. Digitalisierung an der Schule ist also ein "nice to have", wie wir Weltbürger sagen. Aber derzeit ähnlich sinnvoll wie das rührende Engagement von Spitzenköchen, die für nicht funktionierende Speisewagen der Deutsche Bahn allerlei Menüvorschläge ersinnen.
Es wird alles immer irrer. Wenigstens herrscht nun Klarheit in der CDU. Nach der Protestantin Merkel werden die Christdemokraten ab sofort von einer Katholikin angeführt: Annegret Kramp-Karrenbauer. Ob das irgendetwas zu bedeuten hat? Wir wissen es nicht. Was wir aber wissen: Die Bretterbudisierung der Politik schreitet voran. Im Ersten beglücken sie die Zuschauer jetzt mit dem Format "'Politik mit Punsch' – ARD-Journalisten befragen Politiker auf dem Weihnachtsmarkt". Innovativ und investigativ geht es da zu: "Worauf können sie an Heiligabend nicht verzichten?" Wir wüssten zumindest, worauf wir die gesamte Adventszeit über ziemlich gut verzichten könnten. Obwohl: Ein Glühwein könnte vielleicht gerade jetzt nicht schaden.