Erfurt, Görlitz, Magdeburg: Als Deutschland drei neue Bistümer bekam
Strenggenommen war es nur ein banaler Rechtsakt. Doch aus Sicht der katholischen Kirche wurde am 7. Juli 1994 in der Apostolischen Nuntiatur in Bonn "zweifellos ein Stück Kirchengeschichte" geschrieben, wie es der damalige Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Karl Lehmann, formulierte. Durch den Austausch der Ratifizierungsurkunden zwischen dem Vatikan und den Landesregierungen Brandenburgs, Sachsens, Sachsen-Anhalts und Thüringens wurden an jenem Tag drei neue Bistümer in Deutschland errichtet: Erfurt, Görlitz und Magdeburg.
Die Gründung der drei ostdeutschen Diözesen und die gleichzeitige Erhebung Berlins zum Erzbistum, die einen Tag später – am 8. Juli – Rechtskraft erlangten, waren eine direkte Folge der staatlichen Wiedervereinigung vom 3. Oktober 1990. Durch das Ende der jahrzehntelangen Teilung Deutschlands war es möglich geworden, auch die deutsche Bistumslandschaft neu zu ordnen – auch wenn Deutschland kirchenrechtlich eigentlich nie geteilt gewesen war.
Der Eiserne Vorhang teilte vier deutsche Bistümer
Formal gehörten die Gebiete der heutigen Bistümer Erfurt und Magdeburg sowie die heute zum Erzbistum Hamburg zählende Region Mecklenburg auch zu DDR-Zeiten zu westdeutschen Diözesen – und zwar zu Osnabrück, Paderborn, Fulda und Würzburg. Allerdings wurde es für die in der Bundesrepublik residierenden Bischöfe im Laufe der Jahre immer schwieriger, ihre Gläubigen auf der östlichen Seite des Eisernen Vorhangs zu erreichen. Deshalb errichtete der Vatikan 1973 in Erfurt, Magdeburg und Schwerin Bischöfliche Ämter mit einem Apostolischen Administrator an der Spitze. Zwar blieben die drei Regionen damit offiziell Bestandteil ihrer westdeutschen "Mutterbistümer", allerdings entwickelten sie mit der Zeit eine immer größere Eigenständigkeit.
Ähnlich war auch die Entwicklung in Görlitz: Die Stadt an der Neiße bildete des Zentrum des nach 1945 auf deutscher Seite liegenden Gebiets des Erzbistums Breslau. Da eine Wiedervereinigung mit dem polnischen Teil nicht möglich war, erhob der Vatikan den deutschen Teil schon 1972 ebenfalls zu einem Bischöflichen Amt mit einem Apostolischen Administrator als oberstem Repräsentanten. Neben den eigenständigen Bistümern Berlin (1930 gegründet) und Meißen (1921 wiedergegründet) gab es damit ab Mitte der 1970er Jahre in der DDR vier bistumsähnliche Regionen: Erfurt, Görlitz, Magdeburg und Schwerin. Und genau diese Struktur bildete nach der Wiedervereinigung die Grundlage für die Neuordnung der Bistumslandschaft in den fünf neuen Bundesländern.
Das zur Errichtung der Bistümer Verträge mit dem Staat geschlossen werden mussten, lag dabei am 1933 zwischen dem Deutschen Reich und dem Heiligen Stuhl geschlossenen Reichskonkordat. In Artikel 11 des Vertrags heißt es: "Eine in Zukunft etwa erforderlich erscheinende Neueinrichtung eines Bistums oder einer Kirchenprovinz oder sonstige Änderungen der Diözesanzirkumskription bleiben, soweit es sich um Neubildungen innerhalb der Grenzen eines deutschen Landes handelt, der Vereinbarung mit der zuständigen Landesregierung vorbehalten." Unter Juristen war zwar umstritten, ob das Konkordat in der DDR überhaupt Gültigkeit besessen hatte. Trotzdem wurde die Notwendigkeit einer Übereinkunft zwischen Kirche und Staat nicht in Frage gestellt.
Verträge umfassen nur wenige Seiten
Die Verträge selbst sind in Deutsch und Italienisch formuliert und umfassen inklusive der dazugehörenden Schlussprotokolle nur wenige Seiten. Im Artikel 1 wird jeweils festgelegt, dass das entsprechende Bistum "mit einem bischöflichen Stuhl und einem Kathedralkapitel" errichtet wird und welche Kirche als Kathedrale dient. Weiter werden die zu der jeweiligen Diözese zählenden Städte und Landkreise, die zuständige Kirchenprovinz und das Prozedere zur Besetzung des Bischofsstuhls aufgelistet. Interessant dabei: Die beteiligten Bundesländer erklären in den Schlussprotokollen, auf den im Reichskonkordat vorgesehenen Treueeid eines neu gewählten Bischofs vor dem zuständigen Ministerpräsidenten zu verzichten. In den meisten anderen Diözesen wird das bis heute anders gehandhabt.
Darüber hinaus versichern sich die Vertragsparteien, "etwa entstehende Meinungsverschiedenheiten über die Auslegung oder Anwendung einer Bestimmung dieses Vertrages auf freundschaftliche Weise" beizulegen. Zudem erklären sie die fortdauernde Gültigkeit des Grundgesetz-Artikels 140, der unter Bezugnahme auf die Weimarer Reichsverfassung das Kirche-Staat-Verhältnis in Deutschland regelt. Unter anderem umfasst die Verfassung an dieser Stelle das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften, die Möglichkeit zur Erhebung von Steuern und den Schutz von Sonn- und Feiertagen.
Bei dem Festakt am 7. Juli 1994 wertete der damalige Apostolische Nuntius, Erzbischof Lajos Kada, die Verträge als Beitrag der beteiligten Bundesländer und der katholischen Kirche zu Einheit, Frieden und Freiheit in Deutschland. "Dadurch wird die deutsche Einheit ein Stück weit fortgeschrieben", so Kada wörtlich. Zugleich äußerte der Nuntius die Hoffnung, dass die neuen Diözesen ihren Dienst an den Menschen in Ostdeutschland leisten würden, indem sie die Gesellschaft an ihre Grundwerte erinnerten und die Verantwortung des Einzelnen vor Gott bewusst machten.
Bischof Lehmann dankte in seinem Grußwort ausdrücklich Papst Johannes Paul II. (1978-2005) für dessen Entscheidung zur Errichtung der Diözesen in den neuen Bundesländern. Sie sei ein "wichtiger Einschnitt" in der Geschichte der deutschen Kirche. Für die "wichtige seelsorgliche Arbeit" auf dem Gebiet der ehemaligen DDR sei dadurch Klarheit geschaffen. Lehmann hob auch die Verdienste des Nuntius am Zustandekommen der Verträge hervor, die unter "großer Mühe und unermüdlicher Ausdauer" ausgehandelt worden seien. Anerkennung sprach der Mainzer Bischof zudem den Katholiken, Priestern und Laien sowie "ganz besonders den Bischöfen" in der früheren DDR aus. Sie hätten in den Jahrzehnten der Bedrängnis Glaubensstärke, Mut, Ausdauer und großen kirchlichen Sinn bewahrt.
"Ein starkes Zeichen an die Katholiken in der ehemaligen DDR"
Heute hat sich die damals geschaffene Struktur längst etabliert. Die kirchliche Einheit mit 27 deutschen Bistümern in Ost und West ist, wie es Erfurts Bischof Ulrich Neymeyr 2019 in einem katholisch.de-Interview betonte, "gelebter Alltag". Für den aus Westdeutschland stammenden Bischof war die Errichtung eigenständiger Ostbistümer "ein starkes Zeichen an die Katholiken in der ehemaligen DDR". Damit hätten Staat und Kirche auch die Aufbauarbeit der ostdeutschen Katholiken wertgeschätzt, "die sie in den Jahrzehnten zuvor unter meist schwierigen Umständen für das katholische Leben in der DDR geleistet hatten".
Auch Magdeburgs emeritierter Bischof Leo Nowak hält die Entscheidung zur Gründung der drei ostdeutschen Diözesen bis heute für richtig. Mit Blick auf sein eigenes Bistum nannte der 90-Jährige jüngst gegenüber katholisch.de zwei Gründe, die aus seiner Sicht für ein eigenes Bistum Magdeburg und damit für eine Trennung vom Erzbistum Paderborn gesprochen hätten: "Zum einen unterscheidet sich unser Bistumsgebiet durch die absolute Diasporasituation erheblich vom katholisch geprägten Westfalen. Das Verständnis für die hiesigen Verhältnisse war nach 40 Jahren Teilung in Paderborn kaum noch vorhanden." Zum anderen habe es aber auch ein geografisches Problem gegeben, da zwischen dem Erzbistum Paderborn und dem Bistum Magdeburg rund 160 Kilometer Bistum Hildesheim lägen. "Diese räumliche Trennung und die daraus resultierenden großen Entfernungen hätten uns, wären wir bei Paderborn geblieben, immer Schwierigkeiten verursacht", so Nowak.
Dieser Artikel wurde 2019 erstmals veröffentlicht und nun aktualisiert und erweitert.