Wie junge Leute Kathedralen lebendig werden lassen
Wenn Florian Hoffmann deutsche Touristen durch den Speyerer Dom führt, beginnt er mit einer kurzen Lesung aus der Bibel. Dafür verwendet er den Psalm 46, zu dem Martin Luther einst sein Lied "Eine feste Burg ist unser Gott" geschrieben hat. "An einer romanischen Kirche wie dem Speyerer Dom lässt sich diese Idee besonders gut nachvollziehen", findet Hoffmann. Feste Mauern, starke Pfeiler – das Böse könne anstürmen, wie es will: "In der Kirche ist Gott, vom dem wir alles Gute erwarten. Das ist meine Idee für diesen Kirchraum."
Bereits vergangenes Jahr hat er deutsche Touristen durch eine Kathedrale geführt – damals im französischen Perigueux. Doch Hoffmann ist kein hauptberuflicher Kirchenführer. Für den Studenten der evangelischen Theologie ist es auch kein Semesterferien-Job, da er kein Gehalt dafür bekommt. Hoffmann nimmt an einem Programm teil, das momentan in einigen europäischen Städten läuft. Dabei werden an die jeweiligen Kirchen oder Kathedralen drei-bis fünfköpfige Gruppen geschickt, deren Mitglieder dort in ihrer jeweiligen Landessprache kostenlose Kirchenführungen anbieten. In dieser Zeit, meist drei bis vier Wochen lang, leben die Gruppenmitglieder zusammen, ihre Kost und Logis übernimmt die gastgebende Gemeinde.
Organisiert wird das Projekt vom ökumenischen Verein ARC. Die drei Buchstaben stehen für die französischen Wörter "Accueil" (Empfang), "Rencontre" (Begegnung) und "Communauté" (Gemeinschaft). Ursprünglich war ARC ein französisch-englisches Projekt: Ein französischer Priester hatte es vor über 40 Jahren ins Leben gerufen, um Kirchenführungen in England zu organisieren. Schritt für Schritt schwappte das Konzept auch in andere europäische Länder über, sodass auch dort Zweigverbände gegründet wurden. In Deutschland gibt es ARC seit 1987. Mittlerweile beteiligen sich auch Kirchen in Spanien, Frankreich Belgien und Italien an dem Programm. Auf der Apenninenhalbinsel sind etwa mit dem Markusdom in Venedig und dem Dom in Florenz zwei Bauwerke von Weltrang dabei.
Getragen wird der Verein vorwiegend von jungen Menschen. Meist sind es ehemalige Teilnehmer wie Angela Abmeier, die Vorsitzende von ARC Deutschland. Sie findet, dass das Projekt eine ganz besondere Atmosphäre vermittelt – und zwar nicht nur, weil die Besucher im Idealfall in ihrer Muttersprache willkommen geheißen werden. "Getreu unserem Motto 'Steine zum Sprechen bringen' wollen wir die Kirchen nicht nur als kunsthistorisches Relikt, sondern als lebendigen Raum erfahrbar machen." Auch die Kathedralen selber hätten viel von dem Projekt. "Die Teilnehmer bringen ganz viel Neugier und Engagement mit und repräsentieren in dieser Zeit die Kirche nach außen", sagt Abmeier.
Speyer, Erfurt, Münster und Konstanz sind dabei
Aus Deutschland beteiligen sich aktuell die Bistümer Münster, Erfurt und Speyer mit ihren Kathedralen sowie das Konstanzer Münster an dem Programm. In Speyer gibt es die Kirchenführungen unter dem ARC-Banner schon seit über 30 Jahren. "Für uns liegt der Reiz darin, dass im Monat August, wo wir üblicherweise an dem Projekt teilnehmen, viele Leute spontan zu uns in den Dom kommen", sagt Bastian Hoffmann, Leiter des Besuchsmanagements im Speyerer Dom. Es sei ein ganz niedrigschwelliges Angebot, bei dem die Besucher in verschiedenen Sprachen an die Hand genommen werden können – "und zwar von jungen Leuten, die eine ganz eigene Perspektive mitbringen, was das Ganze immer sehr lebendig macht".
Neben Florian Hoffmann, der die deutschen Besucher durch den Speyerer Dom führt, sind es in diesem Jahr ein junger Mann aus England und zwei junge Frauen aus Belgien und Spanien, die dasselbe in ihrer Muttersprache tun. Mit den Touristen, die sich für eine Führung interessieren, sprechen sie im Vorfeld ab, was für diese von besonderem Interesse ist und wie viel Zeit sie mitbringen. So wird die jeweilige Führung ganz individuell an die betreuten Personen angepasst. Umgekehrt lassen auch die jungen Kirchenführer ihre persönlichen Schwerpunkte in die Führung einfließen.
Für den Theologiestudenten Florian Hoffmann sind die Führungen beispielsweise eine gute Gelegenheit, das, was sein Leben trägt, über das Medium des Kirchengebäudes an die Menschen weiterzugeben: den Glauben. Er mache dabei mit den Leuten "ganz simple Sachen", so der 30-Jährige. "Ich erzähle ihnen: Hier ist nicht nur Kunstgeschichte zu sehen, hier ist nicht nur Weltgeschichte zu sehen. Das ist in erster Linie eine christliche Kirche, in die Menschen kommen, um zu beten, um Gottesdienst zu feiern."
Doch selbstverständlich müssen die Teilnehmer auch die architektonischen Details ihrer Einsatzkirche kennen. Sobald etwa feststeht, dass sie nach Speyer kommen, bekommen sie Informationen über den Dom zugesandt. Von ihrer Ankunft bis zum ersten Führungstag werden sie intensiv geschult, machen eine ausführliche Domführung mit, sehen den Domschatz und bekommen eine Stadtführung. Dennoch verlangt man nicht von ihnen, dass sie eine professionelle Domführung abliefern. "Wir sagen gegenüber den Besuchern ganz klar, dass man an die ARC-Teilnehmer nicht den gleichen Anspruch stellen soll wie an eine gewöhnliche Domführung", sagt Besuchermanagements-Leiter Bastian Hoffmann. "Aber manche Teilnehmer entwickelten sich da in kurzer Zeit zu Koryphäen und machten ausgesprochen gute Führungen."
Teilnehmer werden intensiv geschult
Bereits im Frühjahr lädt ARC Deutschland alle deutschen Teilnehmer, die im darauffolgenden Sommer in eine europäische Kirche entsandt werden,zu einem Treffen ein. Dort werden die Kirchen des jeweiligen Jahres vorgestellt und der Zeitraum bekannt gegeben, an dem dort die Führungen stattfinden. Es gibt dabei einen Workshop zu Kunstgeschichte und eine Beispiel-Kirchenführung. Zusätzlich werden auch Theologen eingeladen, die das Spezifische der einzelnen christlichen Konfessionen erläutern sollen. Da ARC ein ökumenischer Verein ist, kann es vorkommen, dass die jungen Leute in einer Kirche führen müssen, die nicht ihrer Konfession entspricht. Beispielsweise kann ein Katholik an einer anglikanischen Kirche in England eingesetzt werden.
Erst am Ende des Vorbereitungstreffens bekommen die Teilnehmer mitgeteilt, wo sie hindürfen. ARC Deutschland bestimmt dabei nur, wohin die einzelnen deutschen Teilnehmer entsendet werden. Die Landesvereine klären zuvor untereinander, welche Sprachen an welchem Ort gebraucht werden. Den Bedarf wiederum melden die Kirchen im Vorfeld an den für sie zuständigen Landesverein. Europaweit sind es etwa 100 junge Leute pro Jahr, die sich am ARC-Projekt beteiligen. Aus Deutschland kommen davon im Schnitt 15.
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Egal, wo es schlussendlich hingeht: Für die Teilnehmer sind die Kirchenführungen vor allem ein Bildungsreise. Mittels der Kathedralen setzen sie sich drei bis vier Wochen lang mit einem Teil der Kulturgeschichte Europas auseinander. Daneben gibt es interessante Begegnungen, gemeinsame Freizeitaktivitäten, den Austausch über nationale und kulturelle Eigenheiten zwischen den Teilnehmern – und nicht zuletzt Gespräche über Themen des christlichen Glaubens. "Als christlicher, ökumenischer Verein ist das eines unserer großen Anliegen", sagt ARC-Deutschland-Vorsitzende Angela Abmeier.
Genau das schätzt auch Florian Hoffmann. "Ich werde als evangelischer Theologiestudent oft gefragt, wie viele Sakramente es in unserer Kirche gibt oder warum bei uns die Pfarrer heiraten dürfen." Solche Gespräche würden auch ihn enorm bereichern. Für ihn ist der Einsatz in Speyer seinen letzter im ARC-Projekt, da er mit 30 Jahren die Altersgrenze erreicht hat – das Mindestalter liegt bei 18. Er kann jedem nur empfehlen, sich für das Projekt zu bewerben. "Man lernt in dieser Zeit viele neue Menschen kennen, sammelt viele neue Eindrücke – und kann Kathedralen lebendig werden lassen."