Ein Jahr Jugendsynode – Was hat sich seither getan?
Im Oktober 2018 kamen im Vatikan 350 Bischöfe, Experten und meist jugendliche Auditoren aus aller Welt zur Jugendsynode zusammen. Mit dabei war der deutsche Jugendbischof Stefan Oster (54). Im Interview erzählt der Passauer Bischof, wie es in Deutschland weitergehen soll und wie anstrengend das Diskutieren mit Jugendlichen sein kann.
Frage: Bischof Oster, ein Jahr Jugendsynode - was hat sie für Deutschland gebracht?
Oster: Das Thema Jugend ist neu ins Bewusstsein der Kirche gekommen: Wir hatten ja ein ganzes Jahr der Jugend, mit all den Maßnahmen im Vorfeld der Synode, mit der großen Ministrantenwallfahrt nach Rom, dann auch noch mit dem Weltjugendtag. Aber die große Frage bleibt natürlich: Wie gelingt es in dieser säkularen, pluralistischen Gesellschaft, junge Menschen mit dem Glauben in Berührung zu bringen?
Frage: Wo trägt die Synode bereits Früchte?
Oster (lacht): Im Bistum Passau. Ich versuche einen Jugendrat zu etablieren, stelle aber fest, dass dies nicht so einfach ist. Wer darf mitmachen? Vertreter von Schulen, Verbänden, geistliche Bewegungen, Atheisten? Oder sollen wir einfach junge Leute auf der Straße ansprechen? Über all das denken wir nach.
Frage: Welche Aufgaben wird der Rat haben?
Oster: Einerseits geht es darum, den Glauben neu zu kommunizieren, Ideen zu entwickeln, wie das jenseits der gelernten Strukturen heute neu gelingen kann. Und zweitens ist da die diakonische Seite: Wo gibt es echte Jugendnot, die wir nicht oder noch nicht sehen und erreichen?
Frage: Jüngst trafen Sie mit Schülerinnen und Schülern, vermittelt vom Kultusministerium, zusammen. War da Kirche ein Thema?
Oster: Ja, hauptsächlich. Das waren besonders Begabte unter den niederbayerischen Gymnasiasten. Die sind natürlich in einer Kultur groß geworden, wo man an dem Thema nicht vorbeikommt. Aber die Entfremdung wird größer. Kirche begegnet ihnen medial in erster Linie skandalisiert, etwa bei den Themen Missbrauch und Geld. Wir müssen da erst einmal Zäune niederreißen, um zu zeigen, dass in der Kirche ganz normale Menschen wie du und ich sind, aber die eben oft auch ganz besondere sind, weil sie ein tiefes Gottvertrauen ausstrahlen. Diese Berührung zu ermöglichen, ist eine unserer Herausforderungen.
Frage: Und wie gelingt das?
Oster: Ein Beispiel: Auf unserem Domplatz werden wir eine Art Jüngerschaftsschule einrichten mit einer geistlichen Gemeinschaft. Jungen Menschen zeigen, dass es so etwas wie eine tiefe gläubige Identität gibt, die Leben erfüllen kann. Das ist ein möglicher Weg. Zudem mache ich selbst Jugendarbeit. Zusammen mit einem Team gestalten wir sonntags, vierzehntägig, Glaubensabende. Und da kommt es immer wieder vor, dass ein junger Mensch mit dem Herzen entdeckt, wer Christus ist und wie dieser sein Leben verändert. Dann stehe ich oft staunend daneben und denke mir: Das Evangelium ist wahr, und Gottes Geist wirklich am Werk.
„Ein echter Weg des Hörens aufeinander ist anstrengend.“
Frage: Wer zu diesen Gebetsabenden kommt, dürfte eine religiöse Sensibilität haben. Was aber ist mit jenen, die Kirche negativ sehen, sei es durch Medien oder die Eltern?
Oster: Das Wichtigste ist Annahme - bei jedem. Deshalb: nicht zuerst Moral oder Dogma, sondern Begegnung, Hinhören, Verstehen. Zum Evangelium gehört immer auch zu begreifen, welche Nöte und Fragen, Sehnsüchte, Wünsche die jungen Menschen haben. Ihnen authentischer Gesprächspartner werden, der nicht gleich urteilt, schon gar nicht verurteilt, ist der Weg der Kirche.
Frage: Erleben Sie den Synodengeist bereits bei innerkirchlichen Begegnungen?
Oster: Die Kirche in Deutschland ist dabei, sich auf einen "synodalen Weg" zu begeben. Nach meinen Erfahrungen auf der Jugendsynode habe ich dafür Sympathie. Allerdings fand diese unter der Führung des Papstes statt, der erinnerte, dass Kirche keine Demokratie ist, sondern ein gemeinsames Gehen in einem freien, offenen Klima, wo jeder sagen kann, was er meint. Meine Sorge ist, dass das deutsche Vorhaben kirchenpolitisch vorab instrumentalisiert wird. Und natürlich: Ein echter Weg des Hörens aufeinander ist anstrengend. Bei meinen Teamsitzungen mit den Jugendlichen erlebe ich das oft. Und bin auch manchmal in der Versuchung, den Bischof raushängen zu lassen. Aber wir gehen tatsächlich basisdemokratisch vor. Anstrengend! (lacht)
Frage: Die Spaltung in der Kirche ist manchen Theologen zufolge längst da. Denken Sie, einander zuhören kann heilen?
Oster: Am Ende heilt wohl nur der Heilige Geist. Mir eilt ja ein eher konservativer Ruf voraus. Aber ich meine zu spüren, dass in unserem Bistum das Hören aufeinander ganz gut gelingt. Ich plädiere oft für eine "Hermeneutik des Wohlwollens". Das bedeutet Zugehen auf den anderen und ihm erstmal unterstellen, dass er was Gutes und nicht die Kirche zerstören will - und dann nach dem gemeinsamen Weg suchen.
Linktipp: Jugendsynode
Was beschäftigt junge Menschen heute? Woran glauben sie? Und wie kann die Kirche sie bei einem gelingenden (Glaubens-)Leben unterstützen? Darüber diskutierten die Bischöfe zuletzt bei ihrerer weltweiten Synode vom 3. bis 28. Oktober 2018 im Vatikan.Frage: "Christus vivit" (Christus lebt) - das nachsynodale Schreiben von Papst Franziskus erschien im April. Welcher junge Mensch liest 70 Seiten?
Oster: In der Jugendkommission haben wir beschlossen, einige Schwerpunkte aus dem Dokument, die dem Papst wichtig sind, den Akteuren der Jugendpastoral zur Weiterarbeit vorzuschlagen. Etwa das Ineinander von Jugend- und Berufungspastoral oder das gigantische Feld digitaler Lebenswelten oder die Frage, wie wir missionarisch und diakonisch junge Kirche sein können. Die Jugendkommission plant für Herbst 2020 auf Bundesebene ein Forum mit den Akteuren der Jugendpastoral und jungen Menschen. Am Ende soll es auch ein neues programmatisches Papier der Bischofskonferenz zur Jugendpastoral geben, denn das letzte ist schon fast 30 Jahre alt.
Frage: Und wie steht es um die berühmten Reizthemen?
Oster: Also in Sachen Sexualmoral, Frauen in der Kirche, Zölibat? Da braucht es Geduld. Auch auf hoher theologischer Ebene und auch in der Bischofskonferenz gehen hier die Meinungen auseinander. Wir haben tatsächlich große Not, die in der Weltkirche geltenden kirchlichen Positionen plausibel zu machen. Selbst wohlwollende junge Menschen sagen mir, so geht das nicht mehr. Ich glaube allerdings: Das Evangelium war in Teilen noch nie wahnsinnig populär. "Sein Kreuz auf sich nehmen", heißt sein Leben mit allen Konsequenzen dem Herrn übergeben und nicht danach suchen, was mir am besten passt.
Frage: Oberammergau macht 2020 eigens Jugendtage, um junge Menschen aus aller Welt und unterschiedlicher Religion zusammenzubringen. Was halten Sie davon?
Oster: Großartig. Solche Initiativen sind wunderbar. Eine 13-jährige Annalena hat mir jüngst erzählt, dass sie in ihrem Dorf zu den Cari-Mädels gehört. Eine Caritas-Frau hat nach der Erstkommunion mit Kindern diese Gruppe gegründet. Sie hilft ihnen, im Glauben zu wachsen und macht mit ihnen soziale Projekte. Genau so geht es. Kleine Gruppen, engagierte Leute, die ein Herz für Jugendliche haben und mit ihnen unterwegs sind.