Standpunkt

Hassgewalt kann sich gegen jeden richten

Veröffentlicht am 18.10.2019 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Bonn ‐ Das Attentat von Halle hat Deutschland aufgeschreckt. Es zeigt, dass Rassismus und Antisemitismus eine gemeinsame Wurzel haben, sagt Pater Klaus Mertes. Es fange alles mit Verschwörungstheorien an. Dazu sollte man sich klar positionieren.

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Der harte Kern des Antisemitismus ist das Denken in Verschwörungskategorien. Paul de Lagarde (1827-1891), Begründer des modernen Antisemitismus, sah im Judentum eine Verschwörung des internationalen Kapitals mit dem Ziel, die Weltherrschaft zu erringen. Mit der Gründung des Staates Israel trat neben das antikapitalistische das antikolonialistische Motiv hinzu: Der westliche Imperialismus, gesponsert von jüdischen Millionären, verfolge mit der Gründung des Staates Israel das Ziel, die arabischen Völker zu unterdrücken.

In Europa ist es nun die Flüchtlingskrise, die Verschwörungs-Theoretiker wieder auf den Plan gerufen hat. Da vermischen sich antiliberale mit antisemitischen Affekten. Die Mordtat von Stefan B. in Halle verdeutlicht den Zusammenhang von Hass auf Migranten/Flüchtlinge und Hass auf Juden in monströser Weise: Weil die Tür zur Synagoge verschlossen ist, schießt der Täter auf den in der Nähe liegenden Döner-Laden. Hier blitzt ein Zusammenhang auf, dessen ideologischer Hintergrund sich im Netz recherchieren lässt: Angeblich hat nämlich eine globalistische Elite, gesponsert u.a. von jüdischen Financiers (wie etwa George Soros) die Flüchtlingskrise ausgelöst, um eine Gesellschaft ohne kulturelle Identität zu erschaffen, die sich leicht von ihr manipulieren lässt. Auch selbsternannte Verteidiger des christlichen Abendlandes sind für solche Denkmuster anfällig, wie ein weiterer kurzer Blick ins das Netz belegt.

Zwei Dinge sind es, die meines Erachtens in dieser Situation zu beachten sind: Zum einen ist es naiv zu meinen, dass sich Verschwörungstheoretiker, auch solche, die sich katholisch nennen, durch Argumente überzeugen lassen. Reden mit ihnen kann man nur, wenn man sich zuerst klar positioniert. Wenn man sich aber klar positioniert, wollen sie nicht mehr mit einem reden. Zum anderen möge man nicht glauben, es bliebe bei Juden oder bei Flüchtlingen als Hassobjekten. Ein Blick etwa auf die aktuelle, von Teilen der polnischen Bischofskonferenz unterstützte (und auch hierzulande praktizierte) Hetze der PiS in Polen gegen Schwule, Lesben und gegen die "Gender-Ideologie" belegt, dass auch andere Menschgruppen dran sein können. Es verhält sich eben bei Verschwörungstheoretikern so: Jeder Mensch, der durch das, was er ist, "uns" in "unserer" kulturellen Identität bedroht, ist in seiner Existenz gefährdet. Denn es ist ja sein bloßes Dasein als anders und fremd, das aggressiv macht.

Von Pater Klaus Mertes

Der Autor

Der Jesuit Klaus Mertes ist Direktor des katholischen Kolleg St. Blasien im Schwarzwald.

Hinweis

Der Standpunkt spiegelt nicht unbedingt die Meinung der Redaktion von katholisch.de wider.