Missbrauchsopfer-Wortführer: Nun ist Schluss mit Ausreden der Bischöfe
Die Aufhebung des "Päpstlichen Geheimnisses" in Missbrauchsverfahren ist auf ein positives Echo gestoßen. Einer der Wortführer im Kampf gegen sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche, der Chilene Juan Carlos Cruz, begrüßte die Entscheidung von Papst Fanziskus. Jetzt sei Schluss mit den Ausreden von Bischöfen; künftig müssten Unterlagen an zivile Justizbehörden übergeben werden, so Cruz am Dienstag auf Twitter. Er sprach von einem "wichtigen Tag für die Transparenz und für die Gerechtigkeit für die Opfer". Nun könne man "kriminelle Pfarrer und Bischöfe entlarven, die vorher unter dem Vorwand des 'Päpstlichen Geheimnisses' agierten und die Justiz blockierten", schrieb Cruz weiter. Diese Neuerung verdanke sich den Überlebenden sexuellen Missbrauchs, die in ihrem Kampf nicht nachließen.
Papst Franziskus hatte am Dienstag die bislang geltende höchste Geheimhaltungspflicht für kirchenrechtliche Verfahren zu Missbrauch und Vertuschung aufgehoben. Dies stärkt die Rechte von Opfern und erleichtert eine Kooperation mit der weltlichen Justiz. Das Beichtgeheimnis bleibt weiterhin streng geschützt. In einer weiteren Entscheidung hob der Papst das kirchenrechtliche Schutzalter bei Kinderpornografie von 14 auf 18 Jahre an. Der Missbrauchsbeauftragte der Deutschen Bischofskonferenz (DBK), Bischof Stephan Ackermann, und das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) hatten die Entscheidung zuvor ebenfalls begrüßt.
Juan Carlos Cruz half gemeinsam mit Jose Andres Murillo und James Hamilton den Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche in Chile an die Öffentlichkeit zu bringen. Die drei waren als Jugendliche von dem inzwischen aus dem Klerikerstand entlassenen Priester Fernando Karadima missbraucht worden. Im Frühjahr 2018 traf sich Papst Franziskus mit den Männern mehrere Tage im Vatikan, um über Ursachen und Konsequenzen des Skandals zu sprechen.
Opfervereinigung: "Großer symbolischer Akt"
Der Sprecher der Opfervereinigung "Eckiger Tisch", Matthias Katsch, begrüßte die Abschaffung des "Päpstlichen Geheimnisses" bei der Verfolgung von Missbrauchsstraftaten ebenfalls. Es handle sich um einen "großen symbolischen Akt", sagte Katsch am Mittwoch im ZDF-Morgenmagazin. Entscheidend sei nun, wie die Instruktion vor Ort umgesetzt werde. Katsch betonte, für die Aufarbeitung von Missbrauchsfällen sei der päpstliche Schritt von großer Bedeutung. Wenn die Archive geöffnet würden, gebe dies den Opfern auch die Möglichkeit, vor weltliche Gerichte zu ziehen. "Es gibt keine Ausrede mehr an dieser Stelle", so Katsch.
Auch der deutsche Psychologe und Kinderschutzexperte Hans Zollner hält die Aufhebung des "Päpstlichen Geheimnisses" für einen "großen Durchbruch". Nun sei von höchster Stelle klar, "dass jede kirchliche Stelle entsprechende Akten auf Anfrage an die legitimen staatlichen Ermittlungsbehörden herausgeben muss", sagte Zollner am Dienstag der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Ob päpstliche Kurie oder Bistumsverwaltung - alle müssten kooperieren.
In vielen Ländern - etwa in den USA - sei das schon länger der Fall, so der Präsident des Kinderschutzzentrums an der Päpstlichen Universität Gregoriana in Rom. Dennoch hätten zuletzt immer noch einzelne kirchliche Funktionsträger eine solche Zusammenarbeit mit dem Hinweis auf das Päpstliche Amtsgeheimnis verweigert. Dies sei zum Teil auch in Fällen geschehen, in denen Unterlagen gar nicht der höchsten kirchlichen Geheimhaltungsstufe unterlagen.
Papst Franziskus musste Widerstände überwinden
Verfahren wegen des Verdachts auf Missbrauch vom "Päpstlichen Geheimnis" auszunehmen, habe unter anderem die Päpstliche Kinderschutzkommission schon früher angeregt, so Zollner weiter. Doch erst der Krisengipfel, den der Papst Ende Februar nach Rom einberufen hatte, habe die Forderung noch einmal bekräftigt. Dabei habe Franziskus durchaus Widerstände überwinden müssen. In gleicher Weise lobte Zollner, der auch Mitglied der Kinderschutzkommission ist, die Anhebung des Opferschutzes im kirchlichen Strafrecht im Fall von Kinderpornografie. Auch die offizielle Zulassung von Kirchenjuristen, die keine Kleriker sind, zu entsprechenden Strafverfahren ist nach Aussage Zollners ein Fortschritt. Damit würden bereits früher erfolgte Initiativen bestätigt, in denen Bischöfe vereinzelt Nicht-Kleriker für Aufgaben in kirchlichen Prozessen beauftragten.
Nach Meinung der Erfurter Kirchenrechtlerin Myriam Wijlens ist die Abschaffung des "Päpstlichen Geheimnisses" ein großer Schritt für die Aufarbeitung des Missbrauchs in der Kirche. Die Rechte der Opfer von Missbrauch und auch die Rechte der Zeugen würden gestärkt, sagte die Professorin, die auch Mitglied der Päpstlichen Kinderschutzkommission ist, am Dienstag der KNA in Erfurt. Der Papst zeige, dass er es ernst meine mit der Bekämpfung des Missbrauchs. Die Päpstliche Kinderschutzkommission habe sich in den vergangenen Monaten sehr für einen solchen Schritt eingesetzt; sie selber freue sich sehr über die Entscheidung, betonte Wijlens.
Balanceakt zwischen Opferschutz und Aufklärung
Sie sprach von einem Balanceakt zwischen Opferschutz und Aufklärung. Viele Opfer hätten Angst, bei Bekanntwerden von Missbrauch in der Öffentlichkeit zum zweiten Mal traumatisiert zu werden. Die Neuregelung garantiere ihnen Vertraulichkeit. Zugleich erteile sie jeder Vertuschung eine Absage. Es gebe kein Verbot mehr, Missbrauchstaten bei staatlichen Behörden zu melden. Wijlens verwies darauf, dass der lateinische Begriff "sub secreto pontificio" oft mit "päpstlichem Geheimnis" übersetzt worden sei. Es gehe aber um "Vertraulichkeit" und nicht um Geheimniskrämerei, betonte sie. Das habe der Papst klar gestellt.
Als wichtigen und symbolträchtigen Akt bezeichnete der Bonner Kirchenrechtler Norbert Lüdecke den von Papst Franziskus verfügten Schritt. Damit sei aus der "hermetischen Mauer" der päpstlichen Geheimhaltung ein Stein herausgebrochen worden, sagte Lüdecke auf Anfrage der KNA. Künftig könnten staatliche Anzeigenpflichten bei Missbrauch eingehalten werden, ohne mit dem Kirchenrecht in Konflikt zu kommen, fügte er hinzu. Auch könne der Vatikan bei Rechtshilfeersuchen anderer Staaten nicht mehr einfach auf das "Päpstliche Geheimnis" verweisen. Skeptisch zeigte sich der Theologe allerdings mit Blick auf die Praxis. Ob damit wirklich mehr Transparenz erreicht werde, werde sich erst bei der konkreten Umsetzung zeigen. (tmg/KNA)