Studentenmissionare: Die Speerspitze der Neuevangelisierung?
Es war die Begegnung mit einem Missionar, die das Leben von Mychal Augustine entscheidend verändern sollte. Der hochgewachsene US-Amerikaner war während seiner College-Zeit auf Sinnsuche: "Ich stellte mir die großen Fragen: Wofür lohnt es sich zu leben? Gibt es Gott und welchen Auftrag hat er für mich?" Der heute 30 Jahre alte Bauingenieur war zwar in seiner Heimat im US-Bundesstaat Kansas katholisch aufgewachsen und hatte von seinen Eltern "beten gelernt", wie er berichtet. Doch als Jugendlicher verlor der Glaube für ihn immer mehr an Bedeutung. Erst eine Einladung zum Essen in seinem dritten Studienjahr brachte Augustine wieder zur Kirche zurück: Dort lernte er einen Missionar der Organisation "Fellowship of Catholic University Students" kennen, kurz FOCUS. Beide freundeten sich an. Der FOCUS-Missionar – nur ein paar Jahre älter als Augustine – bemerkte dessen Sehnsucht nach Sinn und lud ihn ganz unverbindlich zu einer Bibelgruppe ein.
"Auf zeitgemäße und unkomplizierte Art den Glauben weitergeben"
Augustine fühlte sich angesprochen, fand zum Glauben zurück und wurde Teil der Gruppe. Heute ist er bereits seit sieben Jahren selbst Missionar des katholischen Programms, das College-Studenten wieder mit der Kirche in Kontakt bringen will. "Mein Leben hat sich durch Gott total verbessert. Das will ich mit anderen jungen Menschen teilen, denn jeder hat diese Chance verdient", sagt der Ehemann und zweifache Vater mit einer gehörigen Portion Pathos in der Stimme. Nachdem Augustine zuerst in den USA für FOCUS tätig war, wagte er 2016 den Sprung nach Europa und wirkte für drei Jahre als Missionar in Graz. Seit 2019 leben er und seine Familie in Bonn, wo der US-Amerikaner gemeinsam mit drei Landsleuten im Auftrag von FOCUS die Hochschul- und Berufungspastoral des Erzbistums Köln unterstützt.
Für die Einladung an die Missionare hatte sich besonders Pfarrer Regamy Thillainathan stark gemacht. Der Geistliche schätzt an FOCUS vor allem die Ansprache auf Augenhöhe, mit der junge Menschen für den Glauben begeistert werden sollen. "Die Missionare sind fast genauso alt wie die Studenten, denen sie dabei helfen wollen, ihre eigene Sendung zu erkennen", so Thillainathan, der die Berufungspastoral des Erzbistums Köln leitet. "Es geht nicht darum, eine neue geistliche Gemeinschaft in Bonn zu etablieren, sondern auf zeitgemäße und unkomplizierte Art den Glauben weiterzugeben." Deshalb überzeugte Thillainathan den Erzbischof von Köln, die FOCUS-Missionare für eine Erprobungsphase ins Rheinland zu holen. Bereits zuvor hatte der Pfarrer die Organisation bei einer Reise in die USA kennengelernt. "In den Vereinigten Staaten ist FOCUS die bestimmende Größe in der Berufungspastoral."
Als das Programm 1997 vom Theologen Curtis Martin an der katholischen Hochschule "Benedictine College" in Kansas ins Leben gerufen wurde, war der Erfolg von FOCUS noch nicht vorherzusehen. Doch er hatte erkannt, welches Potential für die Kirche in katholischen College-Studenten steckt, die sich zwar von ihr entfremdet haben, nach dem Auszug aus dem Elternhaus aber am Studienort offen für einen neuen Zugang zum Glauben sind. Ein Jahr nach der Gründung begann die Arbeit von FOCUS mit zwei Missionaren und 24 Studenten. Wenig später konnte Martin das Programm Papst Johannes Paul II. vorstellen. Der Pontifex schrieb den Missionaren ins Stammbuch, "Soldaten" für die Weitergabe des Glaubens zu sein – ganz im Sinne seiner Forderung nach einer Neuevangelisierung.
Ein Unternehmen mit jungen Katholiken als Kunden
Heute ist FOCUS die Speerspitze der Neuevangelisierung unter jungen Katholiken in den USA, keine andere Organisation bindet dort so viele Studenten an die Kirche. Die Zahl der Missionare und Mitarbeiter in der Verwaltung ist in den vergangenen zwei Jahrzehnten auf nahezu 800 angestiegen. An mehr als 150 Universitäten in den USA und aller Welt erreicht FOCUS etwa 20.000 junge Menschen, die dort eine kirchliche Heimat gefunden haben. Tendenz steigend. In den kommenden fünf Jahren soll ihre Präsenz auf 250 Standorte erhöht werden. An der Spitze der 57 Millionen US-Dollar schweren Organisation steht immer noch Gründer Martin – doch nun als CEO, also Geschäftsführer. Denn FOCUS wird wie ein Unternehmen geführt, das junge Katholiken als Kunden gewinnen will.
Unterstützt wird die Bewegung seit ihrer Gründung durch zahlreiche, meist konservative US-Bischöfe. Der damalige Erzbischof von Denver und heutige Oberhirte von Philadelphia, Charles Chaput, half bei der Gründung und ist dem Missionsprogramm noch heute verbunden. Der wegen seiner großen Online-Aktivität bekannte Weihbischof von Los Angeles, Robert Barron, nannte FOCUS im vergangenen Jahr ein "Hoffnungszeichen" angesichts der kirchlichen Krise in den USA. Die Studentenmissionare würden dafür sorgen, dass die Kirche die Verbindung zu den jungen Leuten nicht verliere.
Auch im deutschsprachigen Raum wird FOCUS von immer mehr Bischöfen gefördert: Seit 2016 wirken Missionare in Wien und Graz sowie seit zwei Jahren in Passau. 2019 kam schließlich das Erzbistum Köln mit dem Standort Bonn hinzu. Außerdem ließ sich vor wenigen Monaten der Regensburger Oberhirte Rudolf Voderholzer über das Konzept von FOCUS informieren und auch Dresdens Bischof Heinrich Timmerevers soll sich bei einer von der Deutschen Bischofskonferenz organisierten Reise zu den Hotspots der Berufungspastoral in den USA mehr als begeistert vom Konzept der Studentenmissionare gezeigt haben.
Missionare sind auf regelmäßige Spender angewiesen
Ein Grund des episkopalen Interesses an FOCUS ist zum einen wohl die enge Anbindung der Organisation an die Diözesen. So werden die Missionare nur auf Einladung des zuständigen Bischofs an den Universitäten tätig und halten engen Kontakt zur Ortskirche. Zum anderen sind sie für die Verantwortlichen in den Bistümern eine willkommene Möglichkeit, den Mitarbeiterstab der Hochschul- und Berufungspastoral kostengünstig aufzustocken. Denn nach Berichten von US-Medien kostet ein Team von vier vollzeittätigen FOCUS-Missionaren die jeweilige Diözese in etwa so viel wie ein pastoraler Mitarbeiter. Besonders aus Sicht der auf die finanzielle Unterstützung der Gläubigen angewiesenen Oberhirten in den USA ein nicht unerheblicher Vorteil. Die Missionare hingegen müssen ihren Lebensunterhalt durch einen Kreis von regelmäßigen Spendern sicherstellen.
In Deutschland weckt jedoch vor allem das Konzept der gleichaltrigen Studentenmissionare das Interesse der Diözesen. FOCUS stelle damit eine gute Ergänzung zum bewährten Konzept der Seelsorge in den Katholischen Hochschulgemeinden (KHG) dar, so Thillainathan. "Außerdem sind es multiprofessionelle Teams, die verschiedene Charismen in die Begleitung der Studenten einbringen", schwärmt der Kölner Berufungsverantwortliche. Die Missionare, die unmittelbar vor ihrem Einsatz Abschlüsse in verschiedensten akademischen Disziplinen gemacht haben, würden daher ein breites Spektrum an jungen Menschen anziehen und somit eine willkommene Auffrischung der meist eher Theologie-Studenten ansprechenden KHGs sein. Zudem erhofft sich Thillainathan eine bessere Vernetzung der Hochschul- mit der Berufungspastoral, denn beide würden von FOCUS, wie in den USA üblich, nicht als getrennt voneinander aufgefasst.
Die Methode, die FOCUS für die Neuevangelisierung an den Hochschulen nutzt, ähnelt den Herangehensweisen evangelikaler Organisationen aus den 40er- und 50er-Jahren, stellte jedoch für die katholische Kirche um die Jahrtausendwende eine Neuerung dar. Die Missionare gehen nach den drei Schritten "Win – Build – Send" vor. Zunächst einmal versuchen sie Studenten auf niederschwellige Art anzusprechen. Das kann durch ein spontanes Gespräch oder eine Einladung auf einen Kaffee oder ein Bier geschehen. Sie wollen Freunde der jungen Leute werden und sie für Jesus und den Glauben gewinnen. Im nächsten Schritt sollen sie sich in Einzelbegleitung oder durch Bibelgruppen tiefer mit dem Glauben vertraut machen. Die Gruppen finden nach Geschlechtern getrennt statt, da sie sich nicht nur mit der Auslegung der Heiligen Schrift beschäftigen, sondern auch Aspekte des christlichen Lebens, wie etwa eine Berufung zur Ehe, zum Ordensleben oder zum Priestertum thematisieren. Deshalb bestehen die FOCUS-Teams an den Hochschulstandorten immer aus zwei Frauen und zwei Männern.
Schneeballeffekt der Neuevangelisierung ist Ziel
Im letzten Schritt werden die Studenten aufgefordert, selbst "Jünger" zu werden. Sie sollen die gemachten Glaubenserfahrungen weitergeben und für die Kirche sowie die Teilnahme an den Sakramenten und Bibelgruppen werben. Der Erfolg von FOCUS in den USA zeigt, dass die "Investitionen" der Missionare im Rahmen von Freundschaften mit Gleichaltrigen zu einem Schneeballeffekt der Neuevangelisierung führen, zur "spirituellen Vermehrung", wie es im Jargon der Organisation heißt.
Wird die FOCUS-Methode trotz der eher unterschiedlichen Mentalität auch bei deutschen Studenten funktionieren? Das können Augustine und sein Team noch nicht sagen, sie sind erst seit wenigen Monaten in Bonn tätig. Außerdem "braucht Freundschaft viel Zeit", betont der Missionar. Doch sie seien sehr freundlich in der KHG Bonn aufgenommen worden und nun dabei, ihren Platz dort zu finden. Einzelne Aktionen, wie ein Mittagessensangebot für Studenten oder das Schnitzen von typisch amerikanischen Halloween-Kürbissen, hätten Sie bereits angeboten – mit großem Interesse seitens der Studenten. Generell wollen die Missionare nah am Puls der Universität sein, betont Augustine: "Wir haben vor, Hände und Füße der Hochschulpastoral auf dem Campus zu werden."
Doch trotz des ansteckenden Enthusiasmus der Studentenmissionare steht FOCUS auch in der Kritik. Der Organisation wird von ehemaligen Mitgliedern in Medienberichten vorgeworfen, den katholischen Glauben zu traditionell und eng auszulegen. Den Teilnehmern der Bibelkurse wird demnach mitunter vermittelt, dass es nur einen einzigen Weg gebe, die eigene Beziehung zu Gott zu leben. Eine Offenheit für andere Formen des Katholisch-Seins, die sich nicht am kirchlichen Lehramt orientieren, würden nicht akzeptiert. Das ziehe vor allem Menschen an, die nach Gewissheit suchten, funktioniere jedoch nicht in den Graubereichen des Lebens. Deshalb habe es in der Vergangenheit schon Probleme bei der Begleitung der Studenten gegeben, besonders beim Thema Sexualität. In der Tat legt die sechswöchige Ausbildung der Missionare einen Schwerpunkt auf die kirchliche Lehre und deren apologetische Verteidigung. Die pastorale Vorbereitung nimmt dabei einen eher geringen Raum ein.
Kontakte zu ultrakonservativen Katholiken
Auch die Verbindung des FOCUS-Gründers zu ultrakonservativen Katholiken passt in dieses Bild. So gehören Martin und weitere Mitglieder der Führungsriege der Organisation zu Legatus, einer Vereinigung wohlhabender katholischer Unternehmer in den USA. Sie wurde vom Milliardär Tom Monaghan ins Leben gerufen, dem Gründer der Pizza-Kette "Domino's", der dem Opus Dei nahesteht. Monaghan stiftete 2003 zudem die katholische Ave-Maria-Universität in Florida, die sich in ihrer Ausrichtung besonders dem kirchlichen Lehramt verpflichtet fühlt. Dort finden regelmäßig die Ausbildungswochen der Studentenmissionare statt.
Inzwischen hat FOCUS nicht mehr ausschließlich Studenten im Blick. Uni-Absolventen haben die Methode des Programms auch in Kirchengemeinden gebracht, um dort gemeinsam mit ihren Familien Neuevangelisierung zu betreiben. Im Laufe der Zeit sind zudem fast 800 Priester- und Ordensberufungen aus der Mission hervorgegangen. Jede vierte US-Ordensfrau unter 40 war vor ihrem Eintritt ins Kloster bei FOCUS engagiert. Mit der strategischen Expansion in die Gemeindepastoral hinein ist die Organisation auf dem besten Weg, auch in den Pfarreien der USA zu einer bedeutenden Größe zu werden. In Deutschland ist diese Entwicklung noch nicht so weit. Hierzulande beginnen die Missionare erst damit, in der Hochschulpastoral Fuß zu fassen.