Kirchenrechtlerin Sabine Demel zum begonnenen Reformprozess

Der Synodale Weg: Und er kann trotzdem gelingen

Veröffentlicht am 11.02.2020 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 
Debatte

Regensburg ‐ Obwohl der Synodale Weg bereits begonnen hat, ist dessen kirchenrechtliche Bewertung immer noch im Gange. In einem Gastbeitrag für katholisch.de analysiert die Kirchenrechtlerin Sabine Demel die rechtlichen Grundlagen des Prozesses und formuliert Wünsche für sein Ende.

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Haben wir das vor 50 Jahren nicht schon einmal erlebt – im Vorfeld der Würzburger Synode?! Auch damals gab es gerade von kirchenrechtlicher Seite fast nur Warnungen und Hinweise, dass und warum die Würzburger Synode so nicht stattfinden könne: Das geht nicht! Laien können nicht das gleiche Stimmrecht haben wie Bischöfe! Rom wird die Regelungen niemals genehmigen! Sie sind kirchenrechtlich nicht möglich! Entscheidungen können nur Bischöfe treffen! Über die Wahrheit kann nicht nach Mehrheiten abgestimmt werden! Die vorgesehene Satzung ist ekklesiologisch nicht haltbar!

Und dann das: Rom hat doch genehmigt! Bischöfe und Laien haben doch auf Augenhöhe miteinander um die Wahrheit gerungen! Laien haben doch gleichberechtigt mit den Bischöfen abgestimmt! Und: Die Würzburger Synode ist zu einer einmaligen und einzigartigen Erfolgsgeschichte geworden! Mit Blick auf die derzeitige Diskussion über den Synodalen Weg soll hier eigens in Erinnerung gerufen sein: Hätte man sich damals nur auf die im geltenden kirchlichen Gesetzbuch vorgesehenen Möglichkeiten beschränkt, hätte die Würzburger Synode nicht stattfinden können. Doch die damaligen Verantwortlichen wagten ein Experiment und fragten in Rom um eine Sondergenehmigung für dieses außergesetzliche (nicht: ungesetzliche) Unternehmen an, die sie dann auch erhielten.

Was war das Besondere dieses neuartigen Unternehmens der Würzburger Synode? Aus kirchenrechtlicher Sicht waren es vor allem die folgenden Regelungen:

  1. war hier nicht nur eine Minderheit von Laien, sondern die Vielfalt des ganzen Gottesvolkes repräsentativ vertreten.
  2. hatten alle Teilnehmenden gleiches beschließendes Stimmrecht bei der Beschlussfassung.
  3. war für die Beschlussfassung nicht die Einmütigkeit notwendig, sondern bereits eine Zweidrittelmehrheit ausreichend.
  4. mussten die Bischöfe den Beschlüssen der Synodalen in einem zusätzlichen Akt explizit zustimmen, damit diese verbindliche Normen wurden; allerdings durfte diese Zustimmung nur dann verweigert werden, wenn Glaubens- und Sittengründe oder eine Verletzung tragender Rechtsnormen geltend gemacht werden konnten.

In dieser Konzeption der Würzburger Synode war durch die Anzahl der Laien wie auch durch deren Stimmrecht eine wirkliche Teilhabe des ganzen Gottesvolkes am Leitungsamt der Kirche ebenso gewährleistet wie die besondere Verantwortung der Bischöfe gewahrt war, da letztere ein eigenes Vetorecht hatten.

Ein Mann nimmt den Codex des kanonischen Rechts aus einem Regal.
Bild: ©katholisch.de

Sabine Demel: Kirchenrecht ist mehr als das kirchliche Gesetzbuch.

Was lehrt uns das? Was können wir daraus für den Synodalen Weg heute lernen? Einiges:

Kirchenrecht ist mehr als das kirchliche Gesetzbuch. Es ist die Interpretation des kirchlichen Gesetzbuches. Wie diese Interpretation ausfällt, hängt (mit)entscheidend von dem Kirchenbild des/der Interpret*innen ab? Gründet die Kirche als Volk Gottes in der Communio der Gläubigen oder in der Hierarchie der Weiheamtsträger? Ist also die Communio die Grundlage für die Hierarchie oder umgekehrt die Hierarchie die Grundlage für die Communio? Denn davon abhängig ist die Frage: Wer dient wem? Die Hierarchie der Communio oder die Communio der Hierarchie?

Je nachdem, welches Kirchenbild maßgebend ist, wird die Interpretation der kirchlichen Gesetze unterschiedlich ausfallen. Im einem Fall wird alles stark gemacht, was im Sinne der Communio ist, im anderen Fall alles, was für die Hierarchie spricht. Im einen Fall muss alles getan werden, um Widersprüche zur Communio zu verhindern, im anderen Fall alles, um Widersprüche zur Hierarchie zu vermeiden. Deshalb kritisieren zum Beispiel die einen am Synodalen Weg, dass die beschlossenen Ergebnisse am Ende nicht verbindlich sind, sondern nur Empfehlungscharakter haben, während die anderen das Leitungsamt der Bischöfe unterlaufen sehen, weil alle in der Synodalversammlung gleiches Stimmrecht haben. Deshalb weisen die einen darauf hin, dass der Glaubenssinn als die vom Heiligen Geist gewirkte Einsicht nicht mit öffentlicher Meinung oder gar Demokratie gleichgesetzt werden darf, dass der Glaubenssinn nicht einfach dort ist, wo die Mehrheit ist. Die anderen rufen dagegen in Erinnerung, dass aber auch umgekehrt gilt, dass der Glaubenssinn auch nicht einfach das ist, was die Minderheit vertritt, auch nicht das, was das Lehramt verkündet oder die Theologie erforscht.

Kirchenrecht wird oft gerne gerade dann ins Spiel gebracht, wenn man sich um eigentliche Themen drücken will. So sehr Strukturfragen nicht unterschätzt werden dürfen – gerade in einer Gemeinschaft, die sich als Sakrament versteht –, so sehr ist auch daran zu erinnern, dass sie sekundär sind. Ihre Aufgabe ist es, Inhalte zu transportieren und umzusetzen, und zwar so, dass sie möglichst authentisch und im Sinne der Gemeinschaft gerecht sind. Im bekannten Bildwort von der Flasche Wein ausgedrückt: Jeder Wein/Inhalt braucht die für ihn passende Flasche/Struktur. Der beste Wein geht kaputt, wenn er in einer unpassenden Flasche transportiert wird. Und einem schlechten Wein nützt die beste Flasche nichts, er bleibt ein schlechter Wein. Will heißen: Primär sind die Inhalte, die mit den Strukturen transportiert werden (sollen). Deshalb sollten kirchenrechtliche Fragen erst dann zum Tragen kommen, wenn bei einem Thema die Doppelfrage geklärt ist, welche Aspekte hier von unserem Ursprung her nicht aufgegeben und vor welchen Aspekten als Anfrage der Gegenwart und im Zukunftshorizont nicht ausgewichen werden darf.

Erste Synodalversammlung in Frankfurt
Bild: ©KNA/Harald Oppitz

Vom 30. Januar bis 1. Februar 2020 fand in Frankfurt die erste Vollversammlung des Synodalen Wegs statt.

Kirchenrecht muss gelebt werden! Kirchenrechtliche Erkenntnisse können noch so gut sein, wenn sie nicht ins Leben umgesetzt werden, nützen sie nichts. Das gilt auch umgekehrt: sie können noch so schlecht sein; wenn sie nicht ins Leben umgesetzt werden, schaden sie nicht. Aus der Perspektive des Kirchenbildes der Communio ist daher zu begrüßen, dass die Regelungen der Würzburger Synode bei der Satzung des Synodalen Weges Pate gestanden haben. Umso bedauerlicher ist es, dass sie in einem wesentlichen Punkt gerade nicht übernommen worden sind. Warum hat man nicht den Mut gehabt, den Verbindlichkeitscharakter für eine bestimmte Art von Beschlüssen festzulegen und ist stattdessen auf den Empfehlungscharakter aller Beschlüsse zurückgefallen? Natürlich hätte man dafür eine römische Genehmigung beantragen müssen; denn auch das geltende kirchliche Gesetzbuch kennt immer noch nicht eine solche Regelung. Die Genehmigung respektive Verweigerung wäre ein Lackmustest dafür gewesen, wie ernst die Synodalität als Prinzip und die Rede von der Bedeutsamkeit der Laien für die Kirche gemeint ist.

Jedenfalls ist die rechtliche Qualifizierung der Beschlüsse als Empfehlungen ohne eigene Rechtskraft ein gravierendes Strukturdefizit des Synodalen Weges. Das kann einerseits nicht weggeredet werden, sollte aber auch nicht alles andere ins Abseits stellen. Denn andererseits sollte es nicht unterschätzt werden, dass sich die Hauptakteure des Synodalen Weges um eine repräsentative Besetzung nach dem Prinzip der Delegation durch Wahl bemühen, dass von allen Seiten in großer Einmütigkeit betont wird, "in Augenhöhe" miteinander umgehen zu wollen, dass die bischöflich-laikale Doppelspitze ein Strukturprinzip des ganzen Synodalen Weges ist vom Präsidium über die Foren bis hin zu den Synodalversammlungen, dass die Sitzordnung in den Synodalversammlungen alphabetisch ist. Damit sind wichtige Grundlagen geschaffen, dass tatsächlich ein Kommunikationsprozess miteinander und wechselseitige Dialogbereitschaft aller Teilnehmenden des Synodalen Weges wachsen und so etwas wie eine "Vertrauensspirale" zwischen allen Akteur*innen entstehen kann, also ein positiv sich verstärkender Regelkreis aus Vertrauensvorschuss und Machtaskese. Aus der Psychologie wissen wir ja: Wer sich auf den Anderen einlässt, ihn verstehen will in dem, worum es ihm geht – ohne deshalb damit einverstanden sein zu müssen, wird erfahren, dass dann auch der Andere sich auf mich einlässt, um mich zu verstehen, worum es mir geht, und dass in diesem Miteinander allmählich neue Erkenntnisse wachsen.

Mehr als nur ein Traum?

Wer weiß, vielleicht ist es mehr als nur mein Traum, dass am Ende des Synodalen Weges die Erkenntnis steht: Nicht das, was wir am Ende als Empfehlung beschlossen haben, ist das Entscheidende des Synodalen Weges gewesen, sondern wie wir zu den Beschlüssen gekommen sind, das Wie unserer gemeinsamen Wahrheitssuche und Entscheidungsprozesse sowie das Wie der Inhalte unserer gefassten Beschlüsse. Kurzum, am Ende des Synodalen Weges muss stehen: Das entscheidend Neue ist die Haltung von uns allen auf dem Synodalen Weg gewesen. Uns ist es gelungen, einander verstehen zu wollen, weil wir bereit waren, auch der anderen Seite zuzugestehen, dass sie wie wir selbst auf den Geist Gottes hört und sich für die Glaubwürdigkeit und Zukunft von uns als Kirche einsetzt. Laien wie Diakone, Priester und Bischöfe haben nicht nur das eigene Denken und Handeln für geistgewirkt gehalten, sondern auch das Denken und Handeln all derer, die im Miteinander um den richtigen Weg in die Zukunft ringen.

Und vielleicht passiert dann auch das am Ende des Synodalen Weges oder sogar schon mitten auf dem Weg: Nicht nur einzelne Bischöfe, sondern nahezu alle Bischöfe erklären, dass sie sich an die Beschlüsse des Synodalen Weges binden (werden), obwohl sie laut Satzung lediglich als Empfehlungen ohne eigene Rechtswirkung gelten. Denn sie haben dank des Wirkens des Heiligen Geistes während des Synodalen Weges die Erfahrung gemacht, dass sie getrost darauf vertrauen können, dass die Beschlüsse auf dem Synodalen Weg zum Wohle der Kirche sind und sein werden, statt befürchten zu müssen, die Beschlüsse könnten zum Schaden der Kirche sein. Umgekehrt haben die Laien, Diakone und Priester gelernt, auf die Dialogfähigkeit und -bereitschaft ihrer Bischöfe vertrauen zu können, statt darüber nachdenken zu müssen, was wäre, wenn ein oder mehrere Bischöfe morgen die Selbstbindung wieder zurücknähmen.

Von Sabine Demel

Die Autorin

Sabine Demel (*1957) ist Inhaberin des Lehrstuhls für Kirchenrecht an der Fakultät für katholische Theologie der Universität Regensburg.