Privatmessen passen nicht zum heutigen Verständnis von Eucharistie
Angesichts der Krise, in der sich weltweit die Menschen und viele Gesellschaften aufgrund der durch das so genannte Coronavirus ausgelösten Pandemie befinden, sind auch die christlichen Kirchen in besonderer Weise herausgefordert. Natürlich sind auch deren aktuelle Reaktionen auf diese schwierige und in vielerlei Hinsicht unübersichtliche Situation teilweise von großer Sorge, von Ängsten und Unsicherheiten geprägt. Umso wichtiger ist der möglichst nüchterne Blick auf die Leitlinien des gemeinsamen Handelns – nicht nur, aber auch im Blick auf den Gottesdienst. Dabei gilt vor allem der Grundsatz: Auch die Kirchen müssen sich an wissenschaftlichen Empfehlungen orientieren und an staatlich festgelegte Schutzmaßnahmen halten. Damit ist der Rahmen gesetzt, innerhalb dessen sich die Gestaltung von Gottesdiensten ernsthaft diskutieren lässt.
Mit einer konkreten Handlungsoption wurden manche Gläubige am 3. Fastensonntag konfrontiert. Sie standen vor Kirchentüren, die wegen der Infektionsgefahr geschlossen waren, hinter denen aber zuweilen, wie zu lesen war, so genannte "Geistermessen" stattfanden: Priester feierten die Messe alleine. In manchen Gemeindebriefen wurde dazu unter anderem verlautbart, dass dies stellvertretend für die Gemeinde und im fürbittenden Anliegen derer geschehe, die durch die Pandemie betroffen sind. Und mancherorts und in einigen sozialen Medien wird dies begrüßt und unterstützt.
Die Heilige Messe ist kein Besitzstand des Priesters
Doch entspricht das der Situation und passt es zum heutigen Verständnis von Liturgie? Eindeutig nein; so wurde beispielsweise die Rollenverteilung missachtet, die freilich nicht nur für die Eucharistiefeier aus theologischen Gründen selbstverständlich sein muss. Mit der Liturgiereform des Zweiten Vatikanischen Konzils ist nachdrücklich klargestellt worden, dass Liturgie von allen Getauften gemeinsam und öffentlich vollzogen wird (Sacrosanctum Concilium, Art. 7). Daher war und ist die Kirche immer dann ganz bei sich selbst, wenn eine Gemeinde am Ort in ihrer differenzierten Gliederung zum Gottesdienst versammelt ist, vor allem an den Sonn- und Feiertagen. Insbesondere die Privatzelebration passt nicht zu diesem Verständnis von Eucharistie.
In der Geschichte hat es immer wieder Situationen gegeben, in denen Gottesdienste nicht oder nur unter größten Gefahren möglich waren – in Zeiten von Krieg, gesellschaftlichen Auseinandersetzungen, Naturkatastrophen, Hungersnot oder Epidemien. Darauf hat man zeittypisch aus der jeweiligen Mentalität heraus geantwortet: mit Gebet, Buße, Fürbitte, Andachte oder Prozessionen. Und für die Messfeier wurden tatsächlich schon in früherer Zeit Notprogramme entwickelt, so über das Prinzip der Stellvertretung. Dies führte zu einer Spiritualität der "Privatmesse", die der Priester zwar "auf Bestellung" für andere "las", aber doch als seinen ureigenen Besitzstand auffasste.
Gemäß einem solchen Verständnis ist nicht die gemeinsame Feier das sprechende Zeichen der Begegnung von Gott und Menschen mitten in der Welt, sondern der durch den Priester korrekt vollzogene Kult. Und genau deshalb waren die Gläubigen jahrhundertelang von der Kommunion innerhalb der Messe weitestgehend ausgeschlossen, kommunizierten höchstens außerhalb oder unterließen dies aus Angst vor der Berührung mit der heiligen Materie gänzlich. Es war ein langer Weg, bis das Konzil den Communio-Gedanken wieder an die erste Stelle rücken konnte: Die vor Ort versammelte Gemeinde ist Trägerin der Liturgie! Und darin verwirklicht sich ein bestimmtes Verständnis von Kirche und Amt, das man auch und gerade in Zeiten äußerer Not nicht leichtfertig aufs Spiel setzen sollte.
Wie sehr eigentlich überwundene Vorstellungen in der jetzigen Krise wieder an die Oberfläche kommen, zeigen einige diözesane Anweisungen, die Praxis vor Ort und der oft verräterische Sprachgebrauch. Die beschriebenen Privatmessen werden verstärkt eingefordert, wobei man sich dafür freilich auch auf das geltende Kirchenrecht berufen kann (can. 904 CIC 1983). Werden solche Messen in den sozialen Medien übertragen, kommt es zu einer peinlichen und möglicherweise verhängnisvollen Wiederauferstehung von zu Recht Überlebtem: Was im Verborgenen im Sinne der geistlichen Verbundenheit noch angehen mag, wird durch die mediale Präsentation leicht zu einer Erfahrung doppelter Exklusion: drinnen der exklusiv zelebrierende und kommunizierende Priester, draußen die auf virtuelle Präsenz und "geistliche Kommunion" reduzierten Laien. – In diesem Zusammenhang findet man auch den Vorschlag, bei geöffneter Kirche die Hostie in der Monstranz auszusetzen; ja, es kursieren sogar Videos von Geistlichen, die mit der Monstranz durch Städte gehen. Die Beziehung zur Feier der Eucharistie, die für die Eucharistiefrömmigkeit vorausgesetzt wird, ist hier nicht mehr gegeben. Das alles ist heute nicht mehr akzeptabel und beschädigt die Liturgie.
Stellvertretung von Gemeinschaft nicht durch den Priester allein
Daraus folgt selbstverständlich nicht, dass die Kirche auf die leibliche Präsenz von Seelsorgenden vollständig verzichten sollte oder dürfte. Gemeinsam mit staatlichen Stellen müssen die Kirchen dringend klären, wie auch die rituelle Zuwendung zu den Bedürftigen, Kranken und Sterbenden weiter zu gewährleisten ist. Seelsorgende müssen ihrer Tätigkeit – angepasst an die jeweiligen Situationen – möglichst weiter nachgehen können. Aber die Stellvertretung von Gemeinschaft lässt sich jedenfalls nicht durch eine einzige Person glaubwürdig repräsentieren. Wenn sonntags in der Pfarrei die Messe weiter gefeiert wird, so kann nicht der Priester allein, sondern nur eine wenn auch noch so kleine Gemeinde Stellvertretung sinnenhaft glaubwürdig repräsentieren. Wenn selbst dies, wonach es nach den neuesten Entwicklungen aussieht, aktuell nicht möglich sein sollte, sind alle, die im gemeinsamen Priestertum der Taufe verbunden sind, gefordert, nach Möglichkeiten zu suchen, sich in verantwortlicher Weise in Formen des gemeinsamen Hörens auf das Wort Gottes und des Gebets zu verbinden.
Insofern ließe sich die vor uns liegende Zeit nutzen, spirituelle Potenziale in den Familien, Freundeskreisen und sozialen Netzwerken zu wecken und zu fördern, wobei hier nicht zuletzt die digitalen Medien kreativ eingesetzt werden sollten. Dazu würde man sich unter anderem seitens der Bistümer und Liturgischen Institute Anregungen erwarten – erste gute Vorschläge dazu sind ja schon veröffentlicht worden. Es stellt sich letztlich aber auch die Frage, warum eigentlich so selten eine Vesper oder eine andere Form des Wortgottesdienstes medial übertragen wird. Es bleibt der Verdacht, dass die Theologie des Wortes, die eigentlich seit dem Konzil selbstverständlich sein sollte, wenig bei den Verantwortlichen durchgedrungen und noch weniger in der Praxis angekommen ist. Das rächt sich heute! Im besten Fall könnte die Krise womöglich zu einer Bereicherung der hoffentlich bald wieder stattfindenden liturgischen Versammlungen beitragen, weil sie schlummernde Charismen und Gaben entdecken und aktivieren lässt. Bilder wie die von Menschen in Italien, die zusammen auf Balkonen singen und musizieren, haben hier durchaus prophetischen Charakter!