Wie Sakramente auch in Quarantäne-Zeiten gespendet werden könnten

Theologe Ruster: Beichte ist in Corona-Krise per Telefon möglich

Veröffentlicht am 30.03.2020 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Bonn/Bornheim ‐ Durch Sakramente wirkt Gott in der Welt – doch in der Corona-Pandemie wird direkter Kontakt gefährlich. Gibt es einen Ausweg? Ja, sagt der Dortmunder Theologe Thomas Ruster – und schlägt im katholisch.de-Interview Telefon- und Online-Sakramente vor.

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Sakramente sind sichtbare und greifbare Zeichen für das Wirken Gottes in der Welt – doch unter den Bedingungen einer ansteckenden Krankheit ohne Impfschutz und Heilmittel wird es schwierig, die Sakramente wie gewohnt zu spenden. Könnte eine Lösung sein, über das Telefon zu beichten oder die Krankensalbung per Livestream zu spenden? Der Dortmunder Dogmatiker Thomas Ruster hält das für möglich.

Frage: Professor Ruster, bei der Firmung und der Weihe legt man die Hand auf, die Krankensalbung spendet man mit Öl, bei der Taufe übergießt man mit Wasser: Warum ist bei Sakramenten das Leibliche so wichtig? 

Ruster: Weil das Sakrament genau das bedeutet: Gott tritt in unsere reale Welt, in unsere leibliche Welt ein. Er macht sich leiblich bemerkbar. Salben, Übergießen mit Wasser, das gemeinsame Brotbrechen, das gemeinsame Essen, das sind sehr leibliche Vorgänge, die dann zum Ort der Erfahrung Gottes werden.

Thomas Ruster im Portrait
Bild: ©KNA/Henning Schoon (Archivbild)

Thomas Ruster ist Professor für Katholische Theologie an der Technischen Universität Dortmund.

Frage: Das wird aber schwierig unter den Bedingungen einer Pandemie und unter einer Kontaktsperre. Wie können Menschen dann noch diese Heilszeichen erfahren, wenn sie sich nicht mehr treffen können?

Ruster: Das wird in der Tat sehr schwierig, muss aber kein absolutes Hindernis sein. Zum einen ist das Sakrament die Verbindung zwischen Wort und leiblichem Element. Es tritt das Wort zum Element, und es entsteht das Sakrament, sagt Augustinus. Das Wort als Segenswort und Verheißungswort ist das Entscheidende. Das Wort wird durch das körperliche Zeichen verstärkt und unterstrichen. Es ist aber auch ohne das Zeichen wahrnehmbar und verständlich: Es ist eine Frage des Mediums, wie man das Wort herüberbringt. Zum zweiten hat das Sakrament seine Bedeutung darin, dass es gerade auf eine ungewisse, unplanbare Zukunft hin stärken will. Das gilt für die Taufe, für die Firmung, für das Ehesakrament – für alle Sakramente.

Frage: An Unsicherheit gibt es gerade keinen Mangel. 

Ruster: Genau. Unsere aktuelle Situation ist von viel Unsicherheit geprägt, wir wissen nicht, wie wir diese Zeit der Pandemie überstehen können; wir wissen nicht, was danach kommt. Daher sollten wir die Sakramente, auch wenn manche leiblichen Zeichen nicht mehr möglich sind, im Zentrum unseres Glaubens halten. Da liegt eine gewisse geistliche Kompetenz und Aufgabe der Kirche, diese Offenheit und Unsicherheit bewusst geistlich anzunehmen und zu gestalten. Das Volk Israel wusste nicht, was nach dem Auszug aus Ägypten kommen würde. Und genau in dieser Situation ist das Pessach eingesetzt worden, gewissermaßen das biblische Ursakrament.

„Das Wort wird durch das körperliche Zeichen verstärkt und unterstrichen. Es ist aber auch ohne das Zeichen wahrnehmbar und verständlich.“

—  Zitat: Thomas Ruster

Frage: Im Kirchenrecht ist sehr genau geregelt, wie Sakramente abzulaufen haben. Steht das einer derartigen Flexibilität entgegen? Passt das zum Handeln unter den Bedingungen der Unsicherheit?

Ruster: Wenn man sich genau an die sakramentenrechtlichen Vorgaben halten will, hat man wohl recht wenig Spielraum. Aber diese Verrechtlichung der Sakramente, die genau erklärt, wer was wann mit den Sakramenten tun darf, entstammt einer Epoche der Sakramentenpraxis, die hinter uns liegt. Einzelne Priester, einzelne Seelsorgerinnen und Seelsorger müssen in eigener Verantwortung entscheiden, was sie tun. Ich würde da auch ermutigen, sich nicht allzu sehr von rechtlichen Bindungen einengen zu lassen.

Frage: Gäbe das Kirchenrecht diese Flexibilität her?

Ruster: Sakramentenrechtliche Bestimmungen sind nicht für die Ewigkeit festgeschrieben; sie können angepasst und verändert werden. Bei der Priesterweihe ist etwa erst seit 1947 durch Papst Pius XII. die Handauflegung als Zeichen des Sakraments definiert worden. Das zeigt, dass da ein gewisser Spielraum besteht. Die Handauflegung hat seit Jahrhunderten nicht als Zeichen gegolten, daher wäre es denkbar, das Sakrament ohne die direkte Berührung zu vollziehen – auch wenn das gerade nicht ansteht.

„Was soll heute eine Generalabsolution bringen, wo wir doch eigentlich den persönlichen Zuspruch der Vergebung brauchen?“

—  Zitat: Thomas Ruster

Frage: Aktuell kommen aus Rom mit Blick auf die Beichte gerade sehr genaue Vorgaben, was zulässig ist und was nicht. Die Generalabsolution wurde allgemein in Corona-Krisengebieten erlaubt; eine medial vermittelte Beichte, etwa übers Telefon, wird gar nicht erwähnt – also keine neuen Spielräume, sondern eine Anwendung bestehender Instrumente. Wie bewerten Sie das?

Ruster: Das ist wirklich seltsam, hier mit Generalabsolution zu kommen. Das ist ein Instrument für Situationen, wenn Einzelbeichten wirklich nicht möglich sind, wenn zum Beispiel im Schützengraben vor der Schlacht die Absolution erteilt wird. Auch in den Corona-Risikogebieten passt das nicht zur Situation. Das finde ich völlig unangemessen. Man sollte viel stärker versuchen, die persönliche Form der Beichte, wo sie noch gewünscht wird, auch heute wieder stark zu machen. Was soll heute eine Generalabsolution bringen, wo wir doch eigentlich den persönlichen Zuspruch der Vergebung brauchen?

Frage: Ist das ein Plädoyer für eine Beichte am Telefon?

Ruster: Ja. Es braucht nicht die unmittelbare leibliche Präsenz. Bei der Beichte hat man sich ohnehin schon lange gefragt, was eigentlich das leibliche Zeichen ist und hat keines gefunden. Die Beichte ist damit ohnehin gewissermaßen als "Fernsakrament" möglich und braucht nicht die unmittelbare körperliche Präsenz. Auch Beratungsgespräche, die normalerweise face to face stattfinden, etwa in den katholischen Eheberatungsstellen, werden heute online oder telefonisch durchgeführt. Analog wäre auch denkbar, dass Beichte in anderen Formen, etwa per Videokonferenz, online oder telefonisch, durchgeführt würde. Da sehe ich grundsätzlich keine Schwierigkeiten. Die Frage, ob die Vollmacht zur Lossprechung telefonisch wirken kann, halte ich für sehr abwegig.

Drei mit heiligem Öl gefüllte Glas-Flacons stehen vor einer Marmorplatte: Das Katechumenenöl, das Krankenöl und das Chrisam.
Bild: ©chicagophoto/Fotolia.com (Archivbild)

Materielle Zeichen machen die Liebe Gottes deutlich: Die heiligen Öle für Taufe, Krankensalbung, Firmung und Weihe spielen eine wichtige Rolle bei der Spendung der Sakramente – doch manchmal ist Berührung gefährlich.

Frage: Heute wäre wohl besonders die Krankensalbung wichtig. In der sakramentenrechtlichen Literatur liest man dazu: Das Öl wird mit den Fingern aufgetragen, maximal ein Wattestäbchen oder ein Wattebausch ist zulässig, um sich vor Infektionen zu schützen. Ist hier auch eine medial vermittelte Spendung denkbar?

Ruster: Ja. Die Krankensalbung holt den Kranken wieder in den Bereich der Gesunden mit hinein, in die Gemeinde. Die Gemeinde drückt aus, dass dieser kranke Mensch nicht ausgeschlossen wird. Auch hier gilt: Das Öl ist ein Zeichen für die Stärkung, die man dem Empfänger des Sakraments zusprechen will. Diese Stärkung kann man auch ohne den direkten körperlichen Kontakt ausdrücken. So kann man den Gehalt des Sakraments, Gemeinschaft zu stiften, auch bei infektiösen Krankheiten ausdrücken. Das könnte sogar durch eine über das Fernsehen oder Internet übertragene Krankensalbungsfeier geschehen, die wieder das entscheidende Wort ausdrückt: Du bist nicht ausgeschlossen.

Frage: Auch in der Bibel gibt es ein "Fernsakrament": "sprich nur ein Wort, dann wird mein Diener gesund!" – kann das als biblische Grundlage für medial vermittelte Sakramente herangezogen werden?

Ruster: Ja, das ist eine Art von Fernheilung, die Jesus ausspricht, ohne dass er dem Kranken von Angesicht zu Angesicht gegenüber steht. Das kann man durchaus als eine kreative Deutung heranziehen, um Sakramente in diesem neuen Modus der Distanz zu praktizieren. Sakramente sind nicht alle biblisch vorgegeben und in ihrer Form von Jesus eingesetzt worden. Was Sakrament bedeutet, kann man am ehesten an Jesus selbst und an seinem Handeln erkennen, weil er das Ursakrament, das Sakrament Gottes schlechthin ist: Gott, der in unsere Welt eintritt. Daher haben wir auch das Recht, an Jesus Maß zu nehmen bei der Frage, wie mit Sakramenten praktisch umzugehen ist.

Von Felix Neumann