"Corona-Krise relativiert Rolle von geweihten Männern in der Kirche"
Frage: Frau Wuckelt, es gibt fast aus jedem Bistum Livestreams von Eucharistiefeiern. Würden Sie sich da mehr Gottesdienste wünschen, für die es keine Priester braucht, wie Andachten oder Wort-Gottes-Feiern?
Wuckelt: Das wäre in der Tat angesagt. Es stellt sich generell die Frage, ob es sinnvoll ist, eine von einem Priester allein gefeierte Eucharistie zu streamen. Ich meine nein. Es sollte jetzt der ganze Schatz an liturgischen und spirituellen Ausdrucksformen in der Kirche zum Tragen kommen. Zum anderen sollten sich in gestreamten Gottesdiensten alle Gemeindemitglieder wiederfinden, auch Frauen – und nicht nur Bischöfe oder leitende Pfarrer. Kirche erschöpft sich nicht im Auftreten eines geweihten Mannes im Messgewand. Wir alle sind Kirche.
Frage: Welche liturgischen Formen könnten das sein?
Wuckelt: In den Kar- und Ostertagen wären das zum Beispiel Wortgottesfeiern, Eucharistische Anbetung, Kreuzwegandachten – überall dort könnten Frauen einen Beitrag leisten. Darüber hinaus könnte es kurze Meditationen geben oder einen biblischen Impuls. Auch kurze Feiern sind möglich, bei denen Frauen und Männer, die nicht geweiht sind, einen Segen spenden. Vielleicht sind jetzt gerade kürzere Formen gut, für die Menschen nicht 45 oder 60 Minuten am Monitor sitzen müssen. Wir sind in der Kirche so stark fixiert auf die Hochformen von Liturgie, dass wir vielleicht gar nicht merken, dass den Menschen in dieser Situation auch andere Formen und kleine Formate guttun. Da muss Kirche freier und kreativer werden.
Frage: Warum bleibt das Auftreten der Kirche trotz Corona so männlich?
Wuckelt: Ein Punkt ist der Zugang zu den Räumen mit den Kameras. Streaming-Gottesdienste werden vom Altar in Gemeinde- oder Kathedralkirchen gesendet, der wegen der Seuche oft vom restlichen Gotteshaus abgesperrt ist. Dazu haben Frauen nicht unbedingt Zugang. Das andere ist: Frauen tun im Moment das, was sie immer tun. Sie leben die diakonische Seite der Liturgie. Die Gottesdienstgruppe, die sonst Familiengottesdienste plant, entwirft eine Wort-Gottes-Feier für Familien und legt sie in deren Briefkästen. Das wird in einem Stream aber nicht sichtbar.
Frage: Mitten in die Corona-Zeit fällt eine überraschende Offensive von Papst Franziskus, der den Diakonat der Frau noch einmal von einer Kommission untersuchen lassen will. Was erhoffen Sie sich davon?
Wuckelt: Wir brauchen keine neue Kommission zum Frauendiakonat. Wenn die Gruppe so arbeitet wie frühere Kommissionen zu dem Thema, dann warten wir bis zum Sankt Nimmerleinstag, dass sich etwas ändert. Die Forschungen von Theologinnen und Theologen weltweit liegen seit Jahrzehnten auf dem Tisch. Es ist klar, dass es kirchenhistorisch keinen eindeutigen Befund gibt für einen sakramentalen Frauendiakonat. Genauso wenig gibt es aber einen eindeutigen Befund für das Priestertum des Mannes. Warum muss man sich das jetzt nochmal historisch absichern? Was soll da eigentlich noch erforscht werden?
Frage: Warum richtet Franziskus die Kommission dann ein?
Wuckelt: Darüber kann man nur spekulieren. Vielleicht steht er unter Druck, doch eine weltweite Entscheidung herbeizuführen. Damit würde er aber seinen eigenen Forderungen widersprechen, dass jede Ortskirche für sich entscheiden muss, was pastoral notwendig ist. Im Grunde könnte Franziskus einfach sagen, wenn es für Amazonien, wenn es für Afrika, wenn es für die deutsche, österreichische oder schweizerische Kirche einen pastoralen Sinn macht, dann soll es den Frauendiakonat dort geben. Die Frage ist auch, auf Basis welchen Frauenbilds diese Kommission arbeitet. Im Papstschreiben nach der Amazonas-Synode kam wieder ein absolut überholtes Frauenbild zum Ausdruck: Dass es zwei generell unterschiedliche Formen des Menscheins gibt. Männer haben Christus zum Vorbild und Frauen Maria. Frauen ist die Nachfolge Jesu nur ihm Nachahmen des dienenden Wirkens Mariens möglich. Der Mann dagegen profitiert davon, dass auch Jesus von Nazareth ein Mann war. Eine theologische Lehre, die unhaltbar ist!
„Wir brauchen keine neue Kommission zum Frauendiakonat. Wenn die Gruppe so arbeitet wie frühere Kommissionen zu dem Thema, dann warten wir bis zum Sankt Nimmerleinstag, dass sich etwas ändert.“
Frage: Eines der Kommissionsmitglieder, der Priester und Dogmatiker Manfred Hauke, gilt auch eher als Gegner des Frauendiakonats…
Wuckelt: Ja, das stimmt. Er vertritt seit Jahrzehnten die Lehre, dass es das Wesen der Frau nicht zulässt, dass sie geweiht werden können. Er führt dazu alle klassischen, aber mittlerweile wissenschaftlich entkräfteten Argumente gegen die Weihe von Frauen an. Das zweite deutschsprachige Kommissionsmitglied, die Theologin Barbara Hallensleben aus Fribourg in der Schweiz, hat meines Wissens zu dieser Frage noch gar nicht geforscht. Das ist schon recht frustrierend.
Frage: Große Hoffnung verbinden Sie mit dieser Kommission also nicht?
Wuckelt: Nein.
Frage: Wie wird die Corona-Krise auf lange Sicht den Kampf der Frauen um mehr Einfluss in der Kirche beeinflussen?
Wuckelt: Vor dem Hintergrund des Synodalen Wegs sehe ich ein offenes Zeitfenster, das genutzt werden muss. Die Corona-Krise stellt auf der praktischen Ebene vieles infrage: Braucht es für die Lebendigkeit der Kirche den geweihten Priester? Aktuell stehen sie ja recht einsam ohne Volk am Altar. Was dagegen an Diakonischem, Karitativen geschieht, wo sich insbesondere Frauen engagieren, dort zeigt eine lebendige Kirche. Das müssen wir mit Selbstbewusstsein nach vorn bringen. Etwa indem wir die Vorschläge der Bischöfe aufgreifen und wieder in Hauskirchen als Hausgemeinschaft miteinander Liturgie feiern. Und dann stellt sich die Frage nach der Eucharistie. Ist dann das gemeinsame Essen in einer Hausgemeinde, die das Evangelium teilt und miteinander betet, nicht auch Eucharistie? Und wie wichtig ist die Weihe für das Lebendighalten von Kirche? Durch die Corona-Krise zeigt sich, wie und dass Frauen auch ohne Weihe die Kirche stärker mitgestalten können. Und das relativiert die Rolle von geweihten Männern.