Auch in der Corona-Krise: Religionsfreiheit ist ein Grundrecht
HTML-Elemente (z.B. Videos) sind ausgeblendet. Zum Einblenden der Elemente aktivieren Sie hier die entsprechenden Cookies.
Kaum ein Grundrecht ist heute so erklärungsbedürftig wie die Religionsfreiheit – weil sie schützt, was vielen unverständlich ist. Kaum ein Grundrecht ist heute so wichtig wie die Religionsfreiheit – gerade, weil sie immer wieder angefragt wird, wenn es um für die Allgemeinheit nicht nachvollziehbare Handlungsweisen geht: Warum muss eine Muslima Kopftuch tragen (eine andere aber nicht)? Warum müssen Juden und Muslime ihre Söhne beschneiden? Warum dürfen Religionsgemeinschaften Beschäftigte entlassen, die ihren moralischen Verhaltensregeln nicht gerecht werden?
Das sind klassische Fragen der Religionsfreiheit, die der breiten Öffentlichkeit oft unverständlich sind. Warum müssen diese Gläubigen das tun? Warum sollen sie es dürfen? Die Antwort ist: Weil es zu ihrer Religion gehört, deren Ausübung vor der Mehrheitsmeinung geschützt ist. Eine Frage kommt nun neu dazu: Warum müssen die Religionsgemeinschaften unbedingt gemeinsam Gottesdienst feiern? Ist der Glaubensfreiheit nicht genüge getan, wenn alle glauben dürfen was sie wollen, das aber bitte daheim? Reaktionen auf Meldungen, dass Bischöfe einen Fahrplan für den Ausstieg aus den Verboten einfordern, sind vor allem in den sozialen Medien auf Proteste und Unverständnis gestoßen: Als gebe es nur noch ein Grundrecht, das auf Gesundheitsschutz, dem sich alle Maßnahmen unterordnen müssen.
Grundrechte sind Abwehrrechte gegen den Staat, und damit auch Abwehrrechte gegen Mehrheiten – unmittelbar gegen parlamentarische, mittelbar gegen gesellschaftliche. Zum Tragen kommen sie vor allem im Konfliktfall. Also jetzt. Gerade jetzt muss überprüft werden, ob es verhältnismäßig ist, das einsame Lesen eines Buchs auf einer Parkbank zu verbieten, Menschen aus ihren Zweitwohnsitzen zu vertreiben oder Contact-Tracing-Apps, mit denen die Kontakte Infizierter identifiziert und benachrichtigt werden können, einzusetzen. Das gilt umso mehr dafür, ob pauschale Gottesdienstverbote verhältnismäßig sind, und wie die im Konflikt stehenden Grundrechte so austariert werden können, dass keines davon unter die Räder kommt.
Die Religionsgemeinschaften haben durch die Bank – Christen, Muslime, Juden – in der Krise kooperativ und mit großer Gemeinwohlverantwortung gehandelt und ihre öffentlichen Gottesdienste eingestellt, jetzt arbeiten sie ebenso verantwortlich und kooperativ an Maßnahmen, die eine Lockerung ermöglichen. Dass in den Verordnungen der Regierungen religiöse Zusammenkünfte verboten wurden, wurde als vernünftig und geboten angenommen, und auch das Bundesverfassungsgericht hat vor Ostern in einem Beschluss darauf hingewiesen, dass in einer Abwägung zwischen Religionsfreiheit und Gesundheitsschutz ein befristetes Gottesdienstverbot zulässig sein kann.
Das Gericht hat aber gleichzeitig der Politik mitgegeben, dass tatsächlich ein sogar "überaus schwerwiegender Eingriff" in die Glaubensfreiheit vorliegt, wenn religiöse Versammlungen pauschal verboten werden. Die Verhältnismäßigkeit solcher Maßnahmen sei streng zu prüfen. Zur Religionsfreiheit gehört die Kultusfreiheit – wie Gläubige ihren Glauben leben, steht grundsätzlich nicht zur Disposition des Staates und keiner Mehrheitsgesellschaft. In der Krise zeigt sich, wie stark eine freiheitliche Verfassungsordnung ist. Dazu kann und muss es bisweilen gehören, Freiheitsrechte um der Freiheit und des Lebens willen deutlich einzuschränken – aber eben nicht ganz auszusetzen, wenn das Gemeinwesen ein freiheitliches bleiben soll. Wenn die Kirchen einfordern, bei eventuellen Lockerungen von Anfang an einbezogen zu werden, dann tun sie das nicht als Bittsteller, sondern als Grundrechtsträger.