Behörde will Fristen aussetzen und neu starten lassen

"Asyl in der Kirche" kritisiert BAMF-Verfahren in der Corona-Krise

Veröffentlicht am 23.04.2020 um 18:12 Uhr – Lesedauer: 

Berlin ‐ Wegen der Corona-Pandemie überstellt das BAMF derzeit keine Flüchtlinge in andere EU-Länder – und will daher seine Fristen aussetzen. Für die Betroffenen ist das mit großen Belastungen verbunden. Deshalb gibt es nun Kritik an der Behörde.

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Die Ökumenische Bundesarbeitsgemeinschaft "Asyl in der Kirche" hat das Vorgehen des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) kritisiert, während der Corona-Pandemie Übergangsfristen auszusetzen. "Wir halten dieses Vorgehen für rechtlich nicht haltbar", sagt Dietlind Jochims, Vorstandsvorsitzende von "Asyl in der Kirche", katholisch.de am Donnerstag auf Anfrage. Das BAMF hatte zuvor angekündigt, wegen nicht durchführbarer Abschiebungen in andere EU-Länder Fristen für Flüchtlinge auszusetzen und später neu starten zu wollen, so dass die Rückführungen in die Ersteinreiseländer dann noch stattfinden können.

Nach dem Dublin-Abkommen der EU ist derjenige Mitgliedsstaat für den Asylantrag zuständig, in dem der Asylsuchende zuerst europäischen Boden betreten hat. Reist er in ein anderes Land, bevor das Asylverfahren beendet ist oder ohne einen Antrag zu stellen, kann er in dieses Ersteinreiseland zurückgeschickt werden. Um Asylsuchende aus Deutschland in ein anderes Land überstellen zu können, muss das BAMF die Rücküberstellung beim betreffenden Mitgliedsstaat beantragen und hat dann 6 beziehungsweise 18 Monate Zeit, den Asylsuchenden zu überstellen. Verstreicht diese Frist, ist Deutschland für den Asylantrag zuständig. Um dem Verstreichen dieser Frist zu entgehen, setzt das BAMF sie jetzt offenbar aus. Nach Ende der Corona-Pandemie sollen die Fristen demnach wieder von Neuem beginnen.

Große Belastung für die Betroffenen

Das sei eine große Belastung für die Betroffenen, so Jochims. "Man lässt die Menschen so vollkommen hängen, für deren Asylverfahren Deutschland zuständig geworden ist. " Die Juristen, mit denen sie gesprochen habe, seien sich einig, dass das Vorgehen des BAMF so nicht rechtens sei. Auch die EU Kommission sähe das so. "Vermutlich wird in vielen mühsamen einzelnen rechtlichen Verfahren über die Rechtmäßigkeit der Aussetzung gestritten werden müssen", so die evangelische Pastorin. "Für die Schutzsuchenden wäre das eine unnötige zusätzliche Zeit der Unsicherheit und Ungewissheit."

Dietlind Jochims im Porträt
Bild: ©dpa/Christian Charisius (Archivbild)

"Wir finden das nicht hinnehmbar, dass die Fristen einfach ausgesetzt werden", sagt Dietlind Jochims. Die evangelische Pfarrerin ist Vorstandsvorsitzende der Ökumenischen Arbeitsgemeinschaft "Asyl in der Kirche" und Flüchtlingsbeauftragte der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Norddeutschland.

Die Europäische Kommission hatte in der vergangenen Woche die Praxis des BAMF ebenfalls in einem Leitfaden für die Umsetzung der EU-Asyl-Bestimmungen als rechtswidrig erklärt. Werde die Überstellung eines Flüchtlings nicht in der geltenden Frist durchgeführt, gehe die Zuständigkeit auf den Mitgliedsstaat über, der die Überstellung ersucht. "Keine Bestimmung der Verordnung erlaubt es, in einer Situation wie der, die sich aus der COVID-19-Pandemie ergibt, von dieser Regel abzuweichen", heißt es in dem Dokument.

"Für die Gemeinden bedeutet Kirchenasyl in Corona-Zeiten Begleitung mit Abstandsgebot"

Da momentan nicht überstellt oder abgeschoben werde, könnten theoretisch viele Kirchenasyle beendet werden, sagt Jochims. Die Bedingungen in den Aufnahmeeinrichtungen seien derzeit allerdings so, dass viele Gemeinden davon absähen und die meisten Kirchenasyle weitergeführt würden: Es sei kaum möglich, dort Abstandsgebote zu wahren und Hygienevorschriften einzuhalten. Zudem müssten die Kirchenasyle vermutlich wieder beginnen, wenn auch die Überstellungen wiederaufgenommen würden. "Für die Gemeinden bedeutet Kirchenasyl in Corona-Zeiten Begleitung mit Abstandsgebot." Gut und angemessen durch diese Zeit zu kommen, sei daher auch hier schwieriger als sonst, vor allem in Bundesländern mit strengen Ausgangsbeschränkungen. Etliche Ehrenamtliche gehörten zudem zur Risikogruppe für eine Ansteckung mit dem Coronavirus.

Beim Kirchenasyl bringen Gemeinden und Ordensgemeinschaften von Abschiebung oder Zurückweisung bedrohte Ausländer in kirchlichen Räumen unter und beherbergen sie dort. Mit der Aufnahme sogenannter "Dublin-Fälle" ins Kirchenasyl versuchen Kirchengemeinden, die Betroffenen vor Gewalt durch Sicherheitskräfte oder drohender Obdachlosigkeit in anderen Mitgliedsstaaten der EU zu bewahren oder sie vor der Gefahr der Abschiebung in unsichere Herkunftsländer zu schützen. Damit versuchen die Gemeinden, das BAMF zu bewegen, den konkreten Fall noch einmal zu überprüfen. Wird der Antrag abgelehnt, wird die Überstellungsfrist auf 18 Monate verlängert. Diese Frist wurde 2018 erhöht. Das Kirchenasyl steht immer wieder in der Kritik. (cbr)