Der Synodale Weg braucht in der Corona-Krise ein Grundsatzpapier
Die gegenwärtige Corona-Krise könnte auch für die Kirche einen Epocheneinschnitt markieren. Georg Bätzing und Thomas Sternberg haben als Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz und des Zentralkomitees der deutschen Katholiken vor kurzem geschrieben, die Pandemie füge dem Synodalen Weg "eine neue Dimension hinzu". Sie haben damit zweifellos recht – und die Konsequenzen für die deutsche katholische Kirche sind noch kaum absehbar. Hierzu ein Vorschlag: Die nächste Frankfurter Synodalversammlung könnte eine Botschaft zur Coronakrise beschließen, die auch einen grundlegenden theologischen Orientierungsrahmen für die vier synodalen Themenforen böte – eine zukunftsweisende Botschaft, die "Freude und Hoffnung, Trauer und Angst" (GS 1) aller Menschen im Land aufnimmt und in einer einfachen, auch für Außenstehende attraktiven Sprache im "Licht des Evangeliums" (GS 4) deutet.
Würzburger Synode und Zweites Vatikanum
Eine solche Botschaft wäre ein "Bekenntnis zum Glauben in dieser Zeit", analog zu dem Grundsatztext "Unsere Hoffnung" der Würzburger Synode von 1975. Dieses von Johann Baptist Metz federführend verfasste Schlussdokument rückte die synodalen Beschlüsse in einen Horizont hoffnungsfroher Nachfolge Jesu auf den Straßen der eigenen Gegenwart: "Der Weg der Kirche in dieser Situation ist der Weg gelebter Hoffnung. […] 'Die Welt' braucht keine Verdoppelung ihrer Hoffnungslosigkeit durch Religion; sie braucht und sucht (wenn überhaupt) das Gegengewicht, die Sprengkraft gelebter Hoffnung. […] Die eine Nachfolge muss viele Nachfolgende, das eine Zeugnis viele Zeugen, die eine Hoffnung viele Träger haben. Nur so kann schließlich aus einem Erneuerungsversuch für die Kirche eine Erneuerung unserer Kirche selbst werden. […] Nachfolge genügt."
Eine synodale Corona-Botschaft müsste heute – in Analogie zum Zweiten Vatikanischen Konzil – keine neue Pastoralkonstitution "Gaudium et spes" sein, in der das gesamtpastorale Kirche-Welt-Verhältnis umfassend geklärt wird, sondern eher eine situative Zeitansage wie die "Botschaft an die Welt" vom 20. Oktober 1962. Es lagen zunächst mehrere konkurrierende Entwürfe (z. B. von M.-Dominique Chenu und Joseph Ratzinger) vor, ehe das Konzil dann auf dem Höhepunkt der Kubakrise mit dieser stark französisch geprägten Botschaft seine Arbeiten eröffnete – und seinem kirchlichen Reformanliegen somit ein "weltpastorales" Vorzeichen gab. "Treu dem Auftrag Christi" versprechen die Konzilsväter darin, ihre Kräfte darauf auszurichten, die Kirche zu erneuern, damit allen Völkern das liebenswerte Antlitz Jesu Christi aufscheine. Sie bekennen: "Aus allen Völkern unter der Sonne vereint, tragen wir in unseren Herzen die Nöte der uns anvertrauten Völker, die Ängste des Leibes und der Seele, die Schmerzen, die Sehnsüchte und Hoffnungen. Alle Lebensangst, die Menschen quält, brennt uns auf der Seele." Daher rufen sie "alle Menschen guten Willens" auf, miteinander "ans Werk zu gehen, um eine bessere und geschwisterlichere Gesellschaft" zu errichten. Und sie erflehen, dass "inmitten dieser Welt" das "Licht einer großen Hoffnung auf Jesus Christus aufstrahlen, unseren einzigen Erlöser".
Synodalität im Innen und nach Außen
Für das Zweite Vaticanum war die damals anstehende Kirchenreform kein institutioneller Selbstzweck, sondern vielmehr ein pastoraler Dienst am Heil der Welt – das kirchliche Innen reformiert sich mit Blick auf seine Mission im weltlichen Außen: Ressourcement als Aggiornamento. Der bereits im April 1962 von Kardinal Suenens vorgeschlagene und von Papst Johannes XXIII. dann offiziell übernommene konziliare Doppelblick "ad intra" wie "ad extra", könnte auch eine mögliche Corona-Botschaft des Synodalen Weges prägen. Sie würde in performativer Weise zeigen, dass Synodalität im Sinne eines gemeinsamen, miteinander geteilten Weges (griech. "syn-odos") nicht nur "ad intra" zu verstehen ist, sondern auch "ad extra": als eine solidarische Weggemeinschaft der "Jüngerinnen und Jünger Christi" (GS 1) mit allen übrigen Menschen unserer Zeit.
Synodalität im Innen und nach Außen – diese sich ergänzende Doppelperspektive würde die ganze Kirche als eine "Societas Jesu" erweisen, deren jesuanische Weggemeinschaft nicht "nur" entschlossen die systemischen Voraussetzungen von sexuellem und geistlichem Missbrauch angeht, sondern sich in gleichintensiver Weise ebenso entschlossen auch an den "Zeichen der Zeit" (GS 4) ausrichtet – und von dorther ein glaubwürdiges Zeugnis für die heilvolle Lebenskraft des Evangeliums ablegt. In seiner Ansprache zum 50-Jahrfeier der Bischofssynode weitete Papst Franziskus die Perspektive daher im Sinne einer auch extrovertierten Synodalität "auf die ganze Menschheit aus". Eine synodale Kirche, die mit allen "Menschen 'gemeinsam vorangeht'" träume davon, auf diesem Weg eine Gesellschaft "in Gerechtigkeit und Geschwisterlichkeit aufzubauen und so für die Generationen, die nach uns kommen, eine schönere und menschenwürdigere Welt zu schaffen" (Papst Franziskus).
Selbstevangelisierung der Kirche
Eine entsprechende Botschaft des Synodalen Weges könnte auch das berechtigte Anliegen jener Stimmen aufnehmen, die eine deutlichere Ausrichtung am "Primat der Evangelisierung" (Papst Franziskus) fordern – ohne allerdings in eine falsche Differenz von Evangelisierung und Kirchenreform zu geraten: Kirchenreform ist Evangelisierung, Selbstevangelisierung einer jesusbewegten und daher im Dienst der Welt umkehrbereiten Kirche. Aufgrund ihrer selbstverschuldeten Glaubwürdigkeitskrise ist diese nämlich längst selbst zu einem manifesten Evangelisierungshindernis geworden. Strukturfragen reflektieren Glaubensinhalte – oder sie sind nicht evangeliumsgemäß. Und auch in der Coronakrise dient dem Evangelium nichts weniger als eine Kirche, deren äußere Gestalt ein permanentes Zeugnis wider das Evangelium darstellt. Hier sei nur auf die Reklerikalisierung der Liturgie im digitalen Raum hingewiesen. Es braucht daher gerade auch mit Blick auf gegenwärtige Zeichen der Zeit eine entschlossene Umkehr aus missbrauchsanfälligen Kirchenverhältnissen. Papst Franziskus weist den Weg einer entsprechenden "conversión pastoral", die zur Umkehr aus evangeliumswidrigen Strukturen ruft und einen Prozess der synodalen Selbstreinigung in Gang setzt. Dieser ermöglicht einen längst überfälligen Wechsel des kirchlichen Gesamtrahmens: weg von einem klerikalen, hin zu einem synodalen Frame.
Der von Papst Franziskus ins Spiel gebrachte Begriff der Evangelisierung, der längst nicht mehr nur eine pastoraltheologische "Stopfgans" (Ottmar Fuchs), sondern auch ein kirchenpolitischer "Kampfbegriff" (Peter Kohlgraf) ist, wäre dann als ein wechselseitiger Lernprozess zu verstehen, dessen synodale Weggemeinschaft in eine Dynamik der anbrechenden Gottesherrschaft (und eben nicht: Klerikerherrschaft) hineinzieht, die auch angesichts der aktuellen Coronakrise ihre schöpferische Lebenskraft erweisen kann: "Evangelisiert werden immer beide oder niemand: die Welt und die Kirche, die Hörer und die Prediger, die Kranken und die Gesunden, die Laien und die Bischöfe, die Zweifelnden und die Glaubenden." (Rolf Zerfaß). Die weltpastorale Innen-Außen-Konstellation des Synodalen Weges stellt somit vor die nachkonziliare Entscheidungsfrage: Neuevangelisierung oder Selbstevangelisierung? Wählen wir einen Weg monologischen Lehrens ("missio ad extra") im Sinne der Päpste Johannes Paul II. und Benedikt XVI. oder aber einen Weg dialogischen Lernens ("missio ad intra") im Sinne der Päpste Paul VI. und Franziskus? Eine mögliche Corona-Botschaft des Synodalen Weges könnte auf dem zweitgenannten Weg durchaus neues Interesse am Evangelium wecken – innerhalb wie außerhalb der Kirche.
Einen Versuch wäre es wert.