Corona lässt fragen: Wie sollen wir mit Langeweile umgehen?
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Langeweile, so verbreiten sogenannte Lebensberater, existiere nur in den Köpfen von uns Menschen als negatives Empfinden. In Wahrheit sei die schöne, lange Weile ein erstrebenswerter, dem Leib und der Seele dienender Zustand. Auch nach Meinung von Medienmachern und Nachrichtenverbreitern, die in der Corona-Krise selbst unter Leerlauf leiden, weil kaum etwas passiert in der Welt außer Corona, soll Langeweile sogar die Quelle wertvoller Inspiration und Kreativität sein. Aber ist das auch richtig?
Nun sind wir Menschen unterschiedlicher Natur, was bei solchen Verlautbaren gern übersehen wird. Manche von uns langweilen sich schneller als andere, sie haben wenig Geduld und brauchen ständig Ablenkung. Seit Wochen werden gerade solch wendige Geister von der Öde gequält, Ausgangsbeschränkungen und Abstandsregeln warfen und werfen sie auf sich selbst zurück.
Langeweile als "Gefühl empfundener Sinnlosigkeit"
Auf Langeweile und Unterforderung, so wollen Psychologen herausgefunden haben, folgen Resignation und Krankheit, im schlimmsten Fall Alkohol und Drogenkonsum. Und die Seelenerforscher haben gleich einen neuen Begriff kreiert: das sogenannte Bore-out-Syndrom. "Langeweile ist ein Gefühl empfundener Sinnlosigkeit", schreibt der kanadische Hirnforscher und Neuropsychologe James Danckert.
Entscheidend kommt es darauf an, wie lange der Zustand der langen Weile anhält. Ein, zwei Wochen sind wohl für fast jeden von uns zu schaffen, sie scheinen sogar eine Notwendigkeit zu sein. Wer im Sommerurlaub tagelang mit nichts anderem beschäftigt ist, als dem Meeresrauschen zuzuhören, kann Totalentspannung erfahren, ja sogar eine Art Katharsis. Schwierig wird es, wenn eine nicht enden wollende Phase der Langeweile die Nerven martert.
Und dieses düstere Gefühl, so paradox es klingen mag, stellt sich um so leichter ein, je mehr Unterhaltungstechnologien für Reizüberflutung sorgen. Wir sollten uns zwischendurch fragen, ob wir zum Smartphone greifen, weil wir etwas zu erledigen haben oder einfach aus Langeweile. Das Zauberwort, so weiß James Danckert, heißt "Abschalten": Handy, Laptop, Fernseher – und dann den Kopf.
Aber was ist mit den ganz anders veranlagten Menschen, die sich selbst genug sind, die Stille und vor allem Entschleunigung besser ertragen, ja sogar genießen können? Gerade in Krisenzeiten könnte es Sinn machen, sich an jenen Begnadeten zu orientieren, für die "einfach nur leben" eine abendfüllende Beschäftigung sein kann.
Die Liturgie lässt keine Langeweile aufkommen
Sicher, das Bedürfnis nach sozialen Kontakten, nach Austausch wohnt sehr vielen von uns Menschen inne, aber anscheinend brauchen wir auch das andere: öfter mal in die Stille, also nach innen abtauchen und sich der eigenen Muse hingeben. Wer dennoch mehr Abwechslung braucht, für den brechen jetzt wieder bessere Zeiten an: Gottesdienste und damit Begegnung sind wieder möglich, wenn auch mit den gebotenen Hygiene- und Abstandsregeln – und das ist schon mal ein richtiger Schritt. Die katholische, jahrhundertealte Liturgie lässt traditionell keine Langeweile aufkommen: Unterschiedliche Farben, Gewänder, Geräte und Körperhaltungen wie Stehen, Knien und Sitzen folgen einer tieferen Bedeutung und liefern Inspiration und tiefes Empfinden – im besten Fall.
Aber auch das "Draußensein", die Natur, bewahrt vor tristen, sich endlos dehnenden Stunden. Eine Stunde unterwegs auf Gottes schöner Erde bettet jede Langeweile zur Ruhe.
Die Autorin
Brigitte Haertel ist Redaktionsleiterin von "theo – Das Katholische Magazin".Hinweis: Der Artikel erschien zuerst im "theo"-Magazin.