Viel Verständnis und nur vereinzelt Kritik

Nachgefragt: War das Gottesdienstverbot wegen Corona verhältnismäßig?

Veröffentlicht am 16.05.2020 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Bonn ‐ In Deutschland ist eine Debatte entbrannt, wie gerechtfertigt das Verbot öffentlicher Gottesdienste wegen Corona war. Wie denken Priester und Gläubige darüber? Ein Blick in die Gemeinden und Bistümer gibt Aufschluss.

  • Teilen:

Die Predigt, die Pfarrer R. im Bistum M. hielt, hat Wellen geschlagen. Ein Thema: Die in der Corona-Pandemie weitgehend verbotene Sakramentenspendung. Den katholischen Bischöfen warf er vor, zu wenig die Bedeutung der Eucharistiefeier betont zu haben.

Vorgetragen hat R. die Predigt in einer ausschließlich im Netz gestreamten Messe, obwohl öffentliche Gottesdienste im Bistum wieder erlaubt sind. Die Erlaubnis aber nennt er schwer umsetzbar, solange älteren Menschen von einem Messbesuch abgeraten wird. "95 Prozent der Kirchgänger in meiner Gemeinde sind über 60", so R. Also bleibe er vorerst beim Stream.

Auf seine Predigt habe er vielfältige Reaktionen erlebt, seinen Namen will er seither lieber nicht in der Presse lesen. Auch Kritik habe es gegeben, "aber meine Gemeindemitglieder waren sehr zustimmend", erzählt er. Ebenso einige "Taliban-Katholiken", von denen er sich ausdrücklich distanziert. Er sei kein Corona-Rebell oder Lockerungs-Gegner, von diesen Gruppen wolle er sich nicht instrumentalisieren lassen. Aber er vermisse die offene Debatte, in der Zivilgesellschaft wie in der Kirche.

Bild: ©KNA/CIRIC/Corinne Simon (Symbolbild)

Während des Verbots öffentlicher Gottesdienste zur Eindämmung der Corona-Pandemie setzten viele Pfarreien auf Livestreams.

Ganz anders der bundesweit bekannte Münchner Stadtpfarrer Rainer M. Schießler. Angesichts der Infektionszahlen habe es keine Alternative zum Messverbot gegeben. "Das Beispiel Elsass spricht für sich: Dort wurden noch Gottesdienste gefeiert, während bei uns schon der Lockdown angewendet wurde, und die Infizierungen waren enorm." Bis Palmsonntag hatte Schießler die Kirchen seiner Pfarrei ganz geschlossen, erst dann wurden sie für das persönliche Gebet wieder geöffnet. Die meisten Pfarreiangehörigen hätten die Entscheidung mitgetragen.

Umso glücklicher seien die Menschen, dass sie jetzt wieder gemeinsam Gottesdienst feiern dürfen. "Die Teilnahme ist von sehr großer Intensität geprägt", betont er.

Schmerzlich, aber notwendig

Auch im Erzbistum Freiburg stießen die Gottesdienstverbote auf viel Verständnis. "In Rückmeldungen wurde zwar deutlich, dass der Verzicht auf die gemeinsamen Gottesdienste für viele Gläubige sehr schmerzlich war", sagt die Vorsitzende des Freiburger Diözesanrats, Martina Kastner. "Aber die Entscheidungen der Politik und der Kirchenleitung wurden weithin akzeptiert und als im Kampf gegen Corona für notwendig erachtet." Proteste oder Demonstrationen gegen die Absagen habe es nicht gegeben.

Uneinheitlich ist das Bild in Berlin. Bundesweit bekannt wurde die konservative Gemeinde St. Afra, die von einer Priestergemeinschaft päpstlichen Rechts betreut wird und nicht den bischöflichen Weisungen unterliegt. Sie feierte als eine der letzten Gemeinden noch Anfang April öffentliche Gottesdienste, wenn auch mit begrenzter Teilnehmerzahl unter Abstandswahrung – so wie es heute überall üblich ist.

Bild: ©epd/Robert Boecker

So wie hier im Kölner Dom müssen die Gläubigen in allen deutschen Gotteshäusern Hygienemaßnahmen befolgen. Einge tragen sogar Mundschutz.

Der leitende Probst Gerald Goesche erstritt am 11. April gemeinsam mit einem hessischen Katholiken vor dem Bundesverfassungsgericht eine viel beachtete Entscheidung. Demnach stellen Gottesdienstverbote einen schweren Eingriff in das Grundrecht der Religionsfreiheit dar. Sie müssen befristet sein und ständig auf ihre Verhältnismäßigkeit überprüft werden. Dass Gemeinde-Gottesdienste in Deutschland schon Anfang Mai wieder erlaubt waren, ist auch eine Folge dieses Urteils. St. Afra erfreut sich seither wachsenden Zulaufs. Drei Sonntagsmessen mit je 50 Teilnehmern werden laut Goesche dort jetzt gefeiert.

Das andere Extrem ist die eher liberale Pfarrei Franziskus im Berliner Norden. Hier wurde von den Pfarrei-Gremien ein Shutdown beschlossen, der noch über die behördlichen Vorgaben hinausging: Alle Kirchen wurden über Wochen komplett dichtgemacht, nur Online-Gottesdienste fanden statt. Gläubige, die im Kirchenraum still beten wollten, "haderten hörbar und lesbar" mit dieser Entscheidung, wie Pfarrer Norbert Pomplun berichtet. Manche wichen auf Kirchen in Nachbarpfarreien aus. Nach den ersten Gemeindegottesdiensten am 11. Mai gab es dann "große Freude unter den Gemeindemitgliedern und den Priestern, dass es nun wieder geht".

Neues Verfahren habe sich "gut eingespielt"

Von begeisterten Gläubigen berichtet auch Dominik Meiering, leitender Pfarrer in der Kölner Innenstadt. "Bei meinem ersten Gottesdienst gab es am Anfang und am Ende sogar Applaus." Jetzt, nach zwei Wochenenden und etlichen Werktagsgottesdiensten, habe sich das neue Verfahren gut eingespielt. "Das läuft fast schon routiniert", so Meiering.

Für das Gottesdienstverbot hätten die meisten Gläubigen Verständnis geäußert. Und auch Meiering selbst sah die Kirche hier in der Pflicht. "Es war zwar ein komisches Gefühl, plötzlich keine öffentliche Messe mehr zu feiern", betont der Geistliche. "Aber angesichts des exponentiellen Wachstums musste man die Notbremse ziehen."

Von Andreas Laska (KNA)