Katholik Joe Biden könnte 2020 US-Präsident werden

USA: Religiöser Wahlkampf in der Corona-Krise

Veröffentlicht am 21.05.2020 um 12:11 Uhr – Lesedauer: 

Washington ‐ In diesem Jahr wird ein neuer US-Präsident gewählt und mit Joe Biden könnte erstmals seit John F. Kennedy ein Katholik ins Weiße Haus einziehen. In den protestantisch geprägten USA wäre das eigentlich ein Aufreger-Thema, doch wegen der Corona-Krise ist in diesem Wahlkampf vieles anders als sonst.

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Es kann kein Zweifel bestehen: Die USA befinden sich im Wahlkampfmodus. Zahlreiche Medien sind voll von Partei-Werbespots, die Umfrageinstitute liefern im Tagestakt die neuesten Prognosen und Stimmungsbarometer. Und dennoch ist in diesem Wahljahr vieles nicht so, wie man es aus den letzten Rennen um das "Oval Office" gewohnt war.

Etliche Themen, die in den zielgruppenorientierten Wahlkämpfen der beiden Großparteien gerne werbetechnisch ausgeschlachtet werden, sind von der Bildfläche verschwunden. Dies betrifft auch die sonst mitunter zielsicher platzierten religiösen Themenfelder: Kein Wort darüber, dass mit Joe Biden genau 60 Jahre nach dem Wahlsieg von John F. Kennedy der zweite Katholik in das Weiße Haus einziehen könnte. Ebenso vergeblich sucht man die religiös konnotierten Fragestellungen, die viele Meinungsinstitute während vorangegangener Wahlkämpfe besonders interessiert hätten. Donald Trumps Glaubensleben ist – anders als im Jahr 2016 – kein Thema.

Ja, diese Fragen könnten in den aktuellen Wochen wahrlich als Luxusprobleme gelten. Auch die sonst so polarisiert gezogenen Wahlkampflinien sind dieser Zeiten durchlässig geworden: Selbst liberale Politiker fordern Einreiseverbote, was vor wenigen Monaten noch als Strategien aus der "populistischen Mottenkiste" a lá Donald Trump gegolten hätte. Demgegenüber setzten sich auch republikanische Kreise für staatliche Unterstützungen von US-Bürgern, Unternehmen und Gesundheitsversorgungen ein – in früheren Wahlkämpfen undenkbar. Vieles ist anders im Jahr 2020, Grenzen scheinen zu verschwimmen.

Dennoch ist Religion nicht einfach von der politischen Bildfläche verschwunden: Die Corona-Krise hat das Land fest im Griff. In zahlreichen Bundesstaaten gelten immer noch Veranstaltungsverbote, das religiöse Leben leidet nach wie vor unter den Bedingungen der weltweiten Pandemie. Versammlungsverbote haben auch das kirchliche Leben ein gutes Stück beeinträchtigt, was nicht zuletzt besonders kleine protestantische Kirchengemeinden vor enorme wirtschaftliche Bedrängnisse stellt.

Donald Trump hat die Augen geschlossen und betet.
Bild: ©picture alliance / AP Photo (Archivbild)

Religion ist auch in der Politik der USA sehr wichtig: Geistliche beten mit dem damaligen Präsidentschaftskandidaten Donald Trump im Jahr 2016.

Mit dem gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lockdown in vielen Bundesstaaten wurden die Kirchengemeinden in ihren Aktivitäten begrenzt, damit aber auch deren wirtschaftliches Auskommen auf eine harte Probe gestellt. Ohne ihre Sonntagskollekte oder die Aktivität ihrer wöchentlichen Veranstaltungen war besonders jenen Gemeinden, die nicht auf ein institutionalisiertes Schema der Kirchenfinanzierung gebaut hatten, die wichtigste Einnahmequelle verwehrt. Damit wurde aber auch ihrem Personal, den Pastoren und deren Familien nicht selten die Lebensgrundlage entzogen.

Was in wirtschaftlicher Hinsicht besonders mittelständische und Kleinstunternehmen betrifft, lässt sich ohne große Probleme auch auf die Lage vieler US-amerikanischer Kirchen umlegen: Besonders die kleinen, unabhängigen Gemeinden, die sich keiner großen Konfession zugehörig fühlen oder nicht an institutionell vernetzte Großkirchen angeschlossen sind, wird die Lage umso brenzliger je länger die wirtschaftlichen und politischen Maßnahmen gegen die Pandemie dauern. Ohne Beiträge verlieren diese Kirchen nicht selten ihre wichtigsten Unterstützungen.

Besonders in finanzieller Hinsicht sind Kirche und Staat in den USA strikt getrennt

Von staatlicher Seite dürften sich die Gemeinschaften nicht viel erwarten, die institutionelle Trennung zwischen Kirche(n) und dem US-Government wird besonders in finanzieller Hinsicht strikt eingehalten. Die dahinter liegende Rechnung ist einfach: In wirtschaftlich schlechten Zeiten, besonders in der derzeit katastrophalen Lage am US-Arbeitsmarkt, können die Menschen für religiöse Zwecke weniger bis gar nichts mehr ausgeben.

Dieser bedrängende Hintergrund hat auch dazu geführt, dass etliche Religionsgemeinschaften vor Bundesgerichte gezogen sind, um ihr verfassungsmäßiges Recht auch freie Religionsausübung einzuklagen. Zahlreiche Vertreter religiöser Institutionen haben sich den Kampf gegen die religiösen Beschränkungen auf die Fahnen geschrieben: Dieses im ersten Zusatzartikel der US-Verfassung ("Bill of Rights") aus dem Jahr 1791 verbriefte Recht einer vom Staat getrennten und unbehelligten Religionsfreiheit drängt dieser Tage in vielen richterlichen Entscheidungen in den Mittelpunkt: Die US-Regierung dürfe "kein Gesetz erlassen, das eine staatliche Einsetzung einer Religion zum Gegenstand hat oder deren freie Ausübung beschränkt" – so will es der Wortlaut des berühmten "First Amendment".

Im Kampf um ihr religiöses Leben haben klagende Gruppierungen auch bereits die ersten Erfolge gefeiert. So hat im US-Bundesstaat Kansas Bundesrichter John Broomes entschieden, dass die behördliche Beschränkung von gottesdienstlichen Versammlungen auf maximal 10 Personen dem verfassungsmäßigen Recht auf Religions- und Meinungsfreiheit widerspricht. Seine einstweilige Verfügung setzte damit einen Erlass der Gouverneurin Laura Kelly außer Kraft und ermöglichte so wieder das Zusammenkommen zu Gebeten und Gottesdiensten in der Gruppe. Klagen dieser Art dürften erst der Beginn einer neuen religionspolitischen Debatte in den Vereinigten Staaten sein – die Kreise, die solche Urteile im Dauerzwist vieler Kirchengemeinden gegenüber staatlichen Eingriffen in das Glaubensleben der Menschen ziehen werden, lassen sich gegenwärtig nur schwer abschätzen.

Das Bild zeigt sich Kirche und daneben einige Hochhäuser.
Bild: ©picture-alliance/chromorange/R.Tscherwitschke

Innerhalb der US-Bevölkerung machen die Katholiken 20 Prozent aus. Die katholische St.-Patricks-Kathedrale steht zwischen Hochhäusern in New York.

Und die katholische Kirche? Zwar sind die Katholiken in den USA mit etwas über 20 % der Bevölkerung nach wie vor eine der stabilsten Religionsgemeinschaften im Land – was ihre Mitgliederzahlen sowie auch die implementierten Systeme ihrer Finanzierung angeht –, dennoch gehen Pandemie und damit einhergehende Wirtschaftskrise auch nicht spurlos an ihnen vorbei. Zahlreiche Diözesen sind aufgrund von Schadensersatzzahlungen in den vergangenen Jahren schon am Rande des Ruins vorbeigeschrammt, auch katholische Universitäten sind – anders als in der Vergangenheit – nicht mehr mit ungetrübter Liquidität gesegnet. Dazu kommen noch die enormen theologischen Bruchlinien, die in den Auseinandersetzungen dieser Tage umso deutlicher in das Blickfeld geraten. Dies betrifft die Kirchengemeinschaft besonders in ihrem inneren Gefüge.

In Corona-Krise zeigt sich Zerrissenheit der US-Katholiken

Denn innerhalb der US-Kirche entwickelt sich die Corona-Bedrohung zu einem wahren Kampfplatz, an dem lange unter der Oberfläche schwelende Richtungsstreitigkeiten ausgetragen werden. Der ohnehin weit verzweigte und nicht selten ebenso wie die politische US-Landschaft polarisierte US-Katholizismus wird auch in diesen Wochen und Monaten vor enorme innere Herausforderungen gestellt. Hier geht es in den öffentlich ausgetragenen Meinungsstreitigkeiten um die Verhältnismäßigkeit der kirchlichen Maßnahmen in der Corona-Krise nicht selten um handfeste theologische Differenzen. Dies ist selbstverständlich kein US-spezifisches Phänomen, sondern lässt sich auch in anderen Teilen der Welt finden. Dennoch erreichen die öffentlichen und medialen Auseinandersetzungen in der US-Kirche oftmals einen erhöhten Grad offenen Schlagabtausches, was nicht zuletzt an den vielen privat finanzierten TV-Sendern, Internet-Portalen und Nachrichtenkanälen liegt.

Die theologische und religionspolitische Deutungshoheit wird auch in Zeiten von Corona zu einem umkämpften Feld des US-Wahlkampfes werden. Zwar werden sich manche Themenstellungen im Vergleich zu vorigen Rennen um das Weiße Haus verschieben, dennoch dürfte das Gezerre um kirchliche und religiöse Autoritäten im US-Wahljahr 2020 erst begonnen haben. Dieser "Wahlkampf der Krise" ist sicherlich noch für einige Überraschungen gut – sowohl was die Kandidaten für das Amt des "Man in Charge" betrifft, als auch in Bezug auf die Wählergruppen, die die beiden Großparteien hinter sich scharen wollen.

Von Andreas G. Weiß