Theologe fordert gemeinsame Erklärung von Papst und Schiiten-Führern

Der zentrale Unterschied bei Christen und Muslimen macht sich bei der Person Jesu bemerkbar, sagt Islamwissenschaftler und Theologe Dennis Halft. Doch es gebe auch einiges, das beide Religionen vereint. Im Interview ruft der Dominikaner zu gegenseitigem Verstehen auf – und fordert nach dem Dokument von Abu Dhabi auch eine gemeinsame Erklärung mit den Schiiten.
Frage: Herr Halft, glauben Christen und Muslime an den gleichen Gott?
Halft: Sie stellen die schwierigste Frage gleich zu Beginn. Um ehrlich zu sein: Sich im interreligiösen Dialog an dieser Frage aufzuhängen, ist nicht sehr hilfreich. Man müsste zurückfragen, was mit dem "gleichen Gott" gemeint ist. Einerseits glauben alle monotheistischen Religionen an den "einen Gott". Andererseits unterscheiden sie sich aber in den konkreten Gottesvorstellungen und Gottesbildern. Um Ihre Frage zu beantworten, müsste man also ganz genau hinschauen, welche Übereinstimmungen es gibt und welche Unterschiede.
Frage: Dann fangen wir vielleicht mit dem zentralen Unterschied an…
Halft: Das ist sicher die Person Jesu. Aus christlicher Perspektive ist der Glaube an Jesus Christus als dem menschgewordenen und auferstandenen Sohn Gottes wesentlich. Im Gottessohn vereinen sich Göttlichkeit und Menschlichkeit in einer Person. Für Muslime ist Jesus dagegen zwar ein wichtiger, aber doch nur ein Prophet unter vielen. Das ist für Christen nicht annehmbar, während Muslime andersherum bei unserem Christusverständnis Schwierigkeiten haben.

Der Dominikaner Dr. Dennis Halft (38) ist Islamwissenschaftler und katholischer Theologe. Er leitet den neu eingerichteten Lehrstuhl für Abrahamitische Religionen mit Schwerpunkt Islam und interreligiöser Dialog an der Theologischen Fakultät Trier und ist Senior Research Fellow des von seinem Orden getragenen Forschungszentrums "Institut M.-Dominique Chenu" in Berlin.
Frage: Ist es für Christen und Muslime dann überhaupt möglich, sich als gleichwertig zu akzeptieren?
Halft: Im interreligiösen Verhältnis unterscheidet man zwischen verschiedenen Ebenen. Manche Glaubensaspekte können Christen und Muslime teilen, andere tolerieren und wiederum andere müssen sie jeweils zurückweisen. Gemeinsam haben Christen und Muslime eine hohe Wertschätzung für Maria. Aus der Sure Maryam, der Sure des Koran, die nach Maria benannt ist, geht hervor, dass sie in ihrem Vertrauen auf Gott auch im Islam als ganz herausragende Frau gilt. Als Beispiel für gegenseitige Toleranz kann man die Wallfahrt nach Mekka nennen. Zwar glauben Christen nicht, dass die Kaaba in Mekka ein von Abraham begründetes Heiligtum ist. Aber sie können im Bemühen von Muslimen, ihren Glauben in der Wallfahrt auszudrücken, sehr viel Positives finden. Zudem bezieht sich der Islam auch auf die Jüdische Bibel und das Neue Testament. Auch wenn er letztendlich zu einer ganz anderen Interpretation kommt.
Frage: Sehen Sie trotz dieser unterschiedlichen Interpretationen Chancen für gemeinsame Formen des Gottesdienstes?
Halft: Wenn wir die Religionen ernst nehmen, müssen wir auch hier die Unterschiede anerkennen. Bei interreligiösen Feiern hat sich eine Praxis bewährt, dass die einzelnen Vertreter nacheinander und entsprechend ihrer jeweiligen Tradition ein Gebet vor Gott tragen. Solche Formen können in Kindergärten, Schulen, Krankenhäusern oder multikulturellen Stadtteilen viel zum gegenseitigen Verständnis beitragen.
Frage: Der jüngste Schritt im Dialog mit dem Islam ist das Dokument von Abu Dhabi. Danach wurde Franziskus Häresie vorgeworfen. Er mache aus Gott einen "Relativisten". Stimmt das?
Halft: Überhaupt nicht. Die "Gemeinsame Erklärung zur Geschwisterlichkeit aller Menschen", wie das Dokument offiziell heißt, ist meiner Ansicht nach der bedeutendste Text im Religionsdialog seit der Konzilserklärung "Nostra aetate" von 1965. Der Text verhandelt primär gar keine theologischen Fragen, sondern will gerade für junge Menschen ein Leitfaden sein, um eine Kultur des gegenseitigen Respekts zu entwickeln. Die Religionen suchen die Zusammenarbeit, damit sie ihrer Verantwortung des Friedens und des Miteinanders gerecht werden. Die Botschaft ist: Die Religionen wollen Teil der Lösung gesellschaftlicher Probleme sein und nicht Teil des Problems. Religiöser Extremismus, Armut, soziale Ungerechtigkeit, Klimawandel: Durch das Dokument von Abu Dhabi sind die Religionen zusammen mit allen nichtreligiösen Menschen aufgerufen, diese Aufgaben gemeinsam anzupacken. Eine ähnliche Erklärung des Papstes und der höchsten Lehrautorität im sunnitischen Islam hat es noch nie gegeben. Das halte ich für revolutionär.
Frage: Gerade die Passage zur Religions- und Bekenntnisfreiheit hat trotzdem für Aufsehen gesorgt. Manche sagen, dass Franziskus damit einem Religionspluralismus das Wort rede…
Halft: Das ist Unsinn. In dieser Passage geht es darum, dass kein Mensch wegen seines Geschlechts, seiner Hautfarbe oder seiner Ethnie diskriminiert werden darf – und eben auch nicht wegen seiner Religion. Es wird anerkannt, dass es aus historischen Gründen eine Vielfalt von Religionen gibt. Ich halte es für unseriös, dem Papst hier eine religionspluralistische Haltung zu unterstellen. Im Gegenteil: Ich finde, dass es nicht bei diesem einen Dokument bleiben sollte.

Papst Franziskus besucht im April 2017 während seiner Ägypten-Reise die islamische Al-Azhar-Universität in Kairo. Der Großscheich und geistliche Leiter der Universität Ahmed al-Tayyeb umarmt den Heiligen Vater zur Begrüßung.
Frage: Was meinen Sie damit?
Halft: Der nächste Schritt sollte eine gemeinsame Erklärung mit schiitischen Muslimen sein, der zweitgrößten Gruppe von Muslimen weltweit. Sie leben im Irak, im Libanon, in Teilen Syriens, im Iran und in Südasien. Gerade wegen der politischen Instabilität in diesen Ländern wäre ein solches Dokument sehr hilfreich. Erste Überlegungen dazu gibt es schon, angeregt von Kardinal Louis Sako, dem Patriarchen der chaldäisch-katholischen Kirche im Irak. Ich würde es begrüßen, wenn Franziskus und die wichtigsten schiitischen Religionsführer einen ähnlichen Text erarbeiten und unterzeichnen würden. Gelegenheit wäre eine Irak-Reise des Papstes. Die war schon geplant, wurde aber wegen der instabilen politischen Verhältnisse aufgeschoben.
Frage: Interreligiöser Dialog findet auch in Deutschland statt. Mal auf der praktischen Ebene: Was wissen Christen und Muslime voneinander? Mir kommt es so vor, als gäbe es da im Allgemeinen eher wenige Berührungspunkte….
Halft: Die Menschen leben ja erst mal ihr Leben. Aber in unserer multireligiösen und zugleich säkularen Gesellschaft gibt es Berührungspunkte allerart: Unser Nachbar oder Kollege kann Christ, Muslim, Jude oder Atheist sein. Wir müssen bereit sein, uns auf den Nächsten, den Fremden, einzulassen. Wir sollten versuchen zu verstehen, wie der Andere tickt, warum er so denkt, wie er denkt, warum er macht, was er macht, mit welchen religiösen und kulturellen Vorstellungen das zusammenhängt. Das setzt die Kompetenz voraus, mit Differenzen und Pluralitätserfahrungen positiv und konstruktiv umgehen zu können. Es sollte uns nicht vom Hocker hauen, wenn im Ramadan Muslime fasten und tagsüber kein Wasser trinken, sondern wir sollten das einordnen können. Das Christentum hat ja auch eine Tradition des Fastens. Das ist eine in vielen Religionen zu findende Praxis. Viele Menschen nehmen das Fremde erst mal als bedrohlich wahr; als etwas, das die eigene Identität infrage stellt. Das muss aber nicht sein. Im Gegenteil: Je stärker der Einzelne in seiner eigenen Identität verwurzelt ist, desto mehr ist er bereit, die Identität des Anderen anzuerkennen und wertzuschätzen.