Das Gewissen - der unsichtbare Kompass
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Der kürzlich verstorbene katholische Moraltheologe Eberhard Schockenhoff hat sich in seinem Buch: "Wie gewiss ist das Gewissen" intensiv mit ebendiesem auseinandergesetzt: Sein Fazit: Das eigene Gewissen ist für den Menschen ein ins Herz geschriebenes Gesetz, der beste Ratgeber, der sicherste Lebenskompass.
Meinungen über das Gewissen gehen auseinander
Doch wofür haben wir überhaupt ein Gewissen? Und was ist eigentlich mit Gewissen gemeint? Die Meinungen gehen da weit auseinander: Die katholische Tradition interpretiert das Gewissen "als allgemeinen Hang zum Guten", oder nennt es gleich Gottes Stimme.
Seit bei vielen Menschen Gott nichts mehr zu melden hat, versuchen sich verstärkt zeitgenössische Wissenschaften an einer Deutung. In der Philosophie, Psychologie und Soziologie gibt es jedoch keine Verständigungsgrundlage darüber, was exakt mit dem Gewissen gemeint sein könnte. Bestenfalls steht das Gewissen als Platzhalter für eine sittliche Qualität, als etwas diffus Gutes. Dabei ist es bei den meisten Menschen immer präsent – wie eine Grundmelodie des Lebens vor allem, wenn es das schlechte Gewissen ist, das sich regt. Der Psychologe Oskar Holzberg hat das kollektive Empfinden in ein anschauliches Bild gepackt: Das schlechte Gewissen ist wie die Stadt New York: es schläft nie. Die Anlässe sind banal: Es regt sich bei der Mülltrennung, beim zweiten Stück Kuchen, beim Vordrängeln.
Ärzte, Wissenschaftler und Journalisten, die einem Berufsethos verpflichtet sein sollten, sind mit ganz anderen Gewissensfragen konfrontiert und stehen entsprechend in großer Verantwortung: in einer hochkomplizierten Welt, in der die meisten Systeme moralfrei funktionieren, ist ein ethischer Kompass wie das Gewissen wichtiger denn ja. Weil es den Menschen selbst in die Verantwortung nimmt und weil es unabhängig ist von Kultur, Bildung und sozialem Status.
Glücklich jener Mensch, bei dem das Gewissen sich noch regt, stellt Eberhard Schockenhoff fest, nennt das Gewissen gar den besten Freund des Menschen. Und wie jedem besten Freund kann der Mensch ihm "guten Gewissens" trauen.
Das Gewissen, aus der Perspektive des Menschen betrachtet, teilt die Welt in Gut und Böse. Dabei ist das schlechte Gewissen die kleine Schwester der größeren, der bleiernen Schuld.
Heute sind glücklicherweise mehr und mehr Menschen davon überzeugt, dass eine innere Welt existiert, in der geheimnisvolle Seelenseismographen wie die Intuition oder das Gewissen beheimatet sind. Und die Sprache hat es vorweggenommen: Im Wort Gewissen steckt "Wissen"! Denn oftmals wissen wir Menschen sehr genau, was richtig ist und was falsch. Ob wir auch nach diesem Wissen handeln – das ist eine ganz andere Sache.
Moralgesetz statt Neigungen und Triebe
Die Würde des Menschen zeigt sich dadurch, dass er ein Gewissen hat, also in der Fähigkeit, sich kraft der Vernunft vom Moralgesetz statt von Neigungen und Trieben motivieren und in seinem Handeln leiten zu lassen, diese Erkenntnis stammt von Immanuel Kant und ist mehr als 200 Jahre alt. Für Sigmund Freud hingegen war das Gewissen einfach ein reines Angstprodukt.
Ganz gleich, was und wo das Gewissen sein mag: recht verstanden, meint Eberhard Schockenhoff, ist das Gewissen nicht Begrenzung, sondern Eröffnung von Freiheit.
Die Autorin
Brigitte Haertel ist Redaktionsleiterin von "theo – Das Katholische Magazin".Hinweis: Der Artikel erschien zuerst im "theo"-Magazin.