In der Pandemie braucht die Kirche Nahbarkeit statt Abgrenzung
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Waren die Kirchen zu still, als die Pandemie unser Leben veränderte? Das kann man unterschiedlich bewerten. Wichtiger ist, was Christen kultivieren können, um die seelische, soziale, medizinische und wirtschaftliche Ausnahmesituation zu bestehen. Dazu haben sich Vertreter der weltweiten Ökumene vor einigen Tagen gemeinsam positioniert. Der Ökumenische Rat der Kirchen und der Vatikan haben in Co-Autorenschaft ein 20seitiges Papier unter dem Titel "Serving a Wounded World in Interreligious Solidarity" veröffentlicht.
Dieses Papier ist bemerkenswert: Es gibt keine religiöse Deutung der Pandemie und behauptet nicht zu wissen, wozu das alles gut sein soll. Es erschließt vielmehr den gemeinsamen Glauben als Fundus, dieser Herausforderung spirituell und praktisch zu begegnen. Es verzichtet zudem vollständig darauf, kirchliche Ansprüche zu stellen oder Systemrelevanz zu behaupten, und ruft stattdessen zu menschlicher Verbundenheit über alle menschengemachten Grenzen hinweg auf. Denn alle teilen die gleiche, von Gott geschenkte Würde und die bedrängende Erfahrung der Verwundbarkeit.
Angesichts von Covid-19, von Migration und Flucht und der ökologischen Krise christliches Profil zu zeigen bedeute zuallererst, menschliche Nähe zu leben. Das kostet etwas – doch wie der Gottesstreiter Jakob müsse, wer Segen erhofft, riskieren, verwundet zu werden. Eine Kultur der Compassion und der Großzügigkeit, des Respekts und der Gerechtigkeit lasse solchen Segen erfahren. Im Geist des Gottes Jesu Christi würden Distanz und Exklusion überwunden, Zynismus vermieden und Räume des Dialogs öffnet. Gerade Christen könnten deshalb eine Haltung kultivieren, die "Differenz als Gottes Geschenk zelebriert", Diversität bejaht und Empathie zur Basis professionellen Handelns erklärt. So könnten sie "Männer und Frauen der Hoffnung" und Instrument des Heils für alle Welt werden.
Für die katholische Kirche hat der Päpstliche Rat für Interreligiösen Dialog das Schreiben unterzeichnet. Doch seine Vision richtet sich nicht nur auf die religiösen Außenbeziehungen der Kirche. Sie ist ebenso sehr Bewährungsprobe nach innen. Es ist eine großartige Vision: Eine Kirche, die sich gegen die identitären Versuchungen unserer Tage nicht durch Abgrenzung profiliert, sondern durch Nahbarkeit; eine Kirche, die Diversität als Gnade anerkennt und "Respekt vor der einzigartigen und komplexen Situation eines jeden und seines Rechts, seine eigene Geschichte zu erzählen", ausstrahlt; eine Kirche, die sich verwundbar zeigt angesichts der Wunden, die sie selbst anderen geschlagen hat. Eine solche Kirche wäre ein echtes Hoffnungszeichen inmitten einer verwundeten Welt.